»Und wir sollten nicht Ritter werden? – Weil wir mit fünfzehn Jahren noch zu jung dazu sind? – War doch mancher Held, von dem die Sänger melden, nicht älter und erfocht sich ein Königreich!«
Noch keuchend von dem Kampfspiel ruft es der keck aufgeworfene Mund eines der zwölf Knaben. Sein nackter Arm schlägt mit dem kurzen Schwert auf den wagrecht ausgestreckten Schild und weist dann mit der in Filz gewickelten Spitze über den schon abendlich beschatteten Wiesenhang hinweg zur Burg empor. Dort klingt das Gelächter und Gefiedel einer Festlichkeit aus den Fenstern.
»Die bechern und sind lustig! Von uns aber wollen die hohen Herren nichts wissen; wir sind eben vom »niedern« Adel . . . Freunde, was schlagen wir uns nicht selber zu Rittern und ziehen in die Welt hinaus?«
Ein mutiger Blondkopf fragt es aus der sechsten Kämpfergruppe herüber. Alle betrachten sich gegenseitig: und jeder findet den andern in der schlanken Schönheit seiner Jugendkraft würdig, ein Ritter zu sein. Unschlüssig und doch verlangend bewegen sich die Arme mit Schild und Schwert; die Muskeln spielen übermütig unter der straffen Haut.
»Nein, auf der Stelle soll eine Heldentat geschehen!« schreit da ein dritter ungestüm in der Mitte. ». . . Seht dort unten! Kommt nicht auf der Straße ein fahrender Ritter zum Walde heraus? Er soll uns bestehen, ehe er weiterzieht –«
Und sie streifen die Filzkappen von ihren Schwertspitzen und stürmen, die Waffe schwingend und den Schild vorhaltend, unter wildem Geschrei blindlings den Abhang hinunter. Sie denken nicht daran, daß der Ritter geharnischt sein könnte; ihre nackten Arme und halbnackten Beine, die weißleuchtend auf dem dunkelgrünen Gras dahinwirbeln, kennen keine Gefahr des Leibes, nur den Drang nach Abenteuern. So wenig wohnt Feigheit in ihrer Brust, daß sie fast unwillig-enttäuscht statt dem reisigen Ritter eine Schar Knaben und vereinzelte Mädchen wahrnehmen, die mit einem Ochsengespann und einem teppichbehangenen Leiterwagen aus dem Waldschatten herauskommen und nicht ahnen lassen, wie viele andere Wagen und Karren, große und kleine Kinder ihnen noch im Rücken folgen.
»Wer seid ihr? Wo wollt ihr hin?«
»Wir reisen nach dem heiligen Lande!« kräht ein kleiner Bub. »Und der dort auf dem Wagen ist Stephan, unser Führer. Er wird König von Jerusalem sein.«
Und er zeigt nach dem Blahendach, vor welchem Stephan mit seiner Fahne sitzt und, längst nicht mehr verwundert, die neuen Ankömmlinge mustert. Er weiß, daß er vom Schicksal auserkoren wurde, selber Schicksal zu sein; und in der Wirkung, die seine Erscheinung ausübt, erblickt er die immer neue Bestätigung seiner Sendung.
Die Zwölf aber schauen einander an, fassen einander an. Noch nicht lange, so haben sie die Ritter auf der Burg darüber lachen hören, daß jetzt sogar Unmündige einen Kreuzzug versuchten; und sie selber haben es nicht glauben können, ob sie es auch auf das sehnlichste wünschten. Und nun sollte das Wunder da sein? Jetzt, in dieser Abendstunde, wo sich der bleiche Lichthimmel erwartungsvoll über den schwarz eingedunkelten Wäldern wölbt? Ein Augenblick des Zauderns, Staunens, Sichversicherns: und wie von einem andern Geiste beseelt umdrängen sie den Wagen, blicken sie zu dem jugendlichen König auf und sprudelt überschäumend ihre Rede hervor.
»Wir kommen auch mit! – Wir sind deine zwölf Paladine! – Nein, deine zwölf Apostel! – Wir begleiten euch ein Stück durch den Wald dort vorn, sonst fürchtet ihr euch! – Nein, wir gehen gleich ganz mit ins heilige Land! – Heil dem König von Jerusalem!«
Und sie finden es so herrlich, einem König zuzujubeln, daß sie immer wieder ihre Schwerter schwenken und ihre jungen Stimmen ertönen lassen. An ihren lauten Heil-Rufen wächst ihr eigener Mut ins Unbegrenzte; sie pflügen sich gegenseitig die Seelen auf wie ein Erdreich, in welches der Same seines Wortes fallen soll. Sie warten –
»So wollt ihr meine Leibgarde sein?« lächelt ihnen da Stephan von der Wagenbrüstung herab zu. »Im Namen Gottes, heftet euch Kreuze auf die Brust; seid treue Ritter des heiligen Grabes und helft mir, die geweihte Erde den Heiden entreißen! – Gebt ihnen die Zeichen!«
Die kleineren Kinder klatschen in die Hände und jauchzen; die größeren fangen an zu singen, wie sie es immer tun, wenn eine neue Schar zu ihnen stößt. Und während sich die Ochsen wie von selbst in das Geschirr legen und der Zug sich wieder in Bewegung setzt, werden den zwölf jungen Rittern von Mädchen, die sich scheu an sie heranmachen, bereits im Gehen die weißen Tuchkreuze vorgeheftet. Stolz umgeben acht von ihnen den Wagen: zwei vorn, zwei je in der Mitte zu beiden Seiten, und zwei hinten; ihrer vier aber, stramm nebeneinander ausgerichtet, schreiten der ganzen Schar voraus.
Um sie herum tönt, eine fromme Abendflamme, der jugendliche Gesang; und siehe: bald dämpft er ihnen den Knabenübermut und entfacht ihre Jünglingssehnsucht. Sie merken kaum, wie das Schloß und zuletzt die ganze ihnen vertraute Gegend hinter ihnen zurückbleibt: schon singen sie selber mit, spüren im Herzen den Glauben der andern und werfen erhobenen Hauptes ihre Blicke auf die Sterne, die zwischen den Tannenwipfeln stehen und vom Zauber der Ferne glitzern. Ihr Leib hat keine Empfindung für die frische Kühle der Nacht; ihre Gedanken wissen nichts mehr von Vater und Mutter und von einer Heimat auf Erden; ihre Brust ist nur noch das Gefäß einer einzigen, glühenden Hingebung an etwas Göttliches, das hoch über dieser sicht- und greifbaren Welt thront und in einer Stunde des Übermutes als furchtbarer Ernst sich auf ihre jungen Schultern herabgesenkt hat . . .
Droben auf der Burg liegen die Ritter unter dem Tisch. Nur zwei trinkfeste Kumpane stehen nebeneinander im offenen Fenster, um die kühlen Nachtlüfte zu Hilfe zu rufen im Kampfe gegen die Geister des Weines. Sie stieren mit verglasten Augen auf die im Sternendämmer liegende Landstraße hinunter.
»Was ziehen denn dort für Wagen und Karren vorbei? – Das sind doch keine Kaufleute?«
»Es werden die Kinder sein, die nach dem heiligen Lande pilgern und von denen es gestern hieß, daß sie demnächst daherkommen.«
»So? Meinst du? Die Kinder? – So schenk noch einmal die Becher voll! Wir wollen ihnen eins zutrinken . . . Prosit! Glückliche Reise!«
16. Gerold und Isa
Die kühlwehende Luft des nahenden Frühlingsabends trocknet ihr allmählich die Schweißperlen auf der Stirne und spielt mit ihrem krausen roten Haar.
Wie doch vier, fünf Stunden Wanderns die Empörung eines Mädchenherzens zu dämpfen vermögen! Wo ist die flatternde Wäsche geblieben? Wo steht der Tisch, auf dem jetzt ein warmes Mus aufgetragen wird? In ihrem Bündelchen trägt sie nur ein Hemd, Schuhe und Strümpfe mit sich.
Umkehren? Niemals. An den paar Bauernhöfen, die sie kennt und wo man auch sie hätte kennen können, ist sie hastig, mit abgewandtem Gesicht, vorbeigeschritten; und jetzt ist weit und breit kein Mensch, kein Haus mehr zu sehen. Lautlos über sumpfigen Wiesen schweben weiße Nebel in der goldig verglimmenden Abendluft. Die Straße steigt einem waldigen Bergrücken entgegen.
Das Grauen der sinkenden Nacht weckt in Isa immer mehr das Entsetzen vor der unbekannten Welt. Aber sie beißt die Zähne zusammen und setzt unermüdlich ihre nackten Füße voreinander: solange ihr niemand in die Quere kommt, wird sie das Wandern schon aushalten! Und eingekeilt in die gespenstische Drohung der noch kaum belaubten Büsche und Bäume, die sie allmählich zu beiden Seiten umgeben, schaut sie erst recht mit krampfhaftem Mute auf den hellen Streifen der Straße – und steht plötzlich, kaum hat sie das Hufegetrappel vernommen, vor einem reisigen Jüngling, welcher aus einem Nebenweg angeritten kam und sie, von ihrer Erscheinung nicht minder überrascht, vom hohen Sattel herab betrachtet.
»Wohin willst du noch so spät?« fragt Gerold, indem er das Bild der geliebten Herrin, das ihm fortwährend