Jimmy hatte geweint, weil er den kleinen Hund Berry hatte in South-ampton lassen sollen.
Vaters Bruder, Onkel Fred, und dessen Frau hatten sich dem Gedanken sofort angeschlossen und keine Bedenken gehabt, die Heimat, die ihnen doch nichts bot, zu verlassen.
Die hübsche blauäugige blondhaarige Pat war eigentlich die einzige, die wirklich ein wenig traurig gewesen war, denn sie hatte die grauen, dunklen Gassen und den Nebel ihrer Heimatstadt geliebt.
Sie hatten viele Vorhaltungen von ihren Nachbarn mit angehört, die Hellmers, aber sie hatten alles mit stoischer Ruhe über sich ergehen lassen; ihr Entschluß hatte von der ersten gemeinsamen Besprechung an festgestanden: Wir fahren!
Joel McCardiff, der angeblich in seiner Jugend einmal in Amerika gewesen war, als Kohlentrimmer auf einem Ozeandampfer, hatte ihnen abgeraten. Händeringend hatte der alte Graukopf in Hellmers Küche, die gleichzeitig den Wohnraum der beiden Familien darstellte, vor dem Vater gestanden und mit krächzender Greisenstimme ausgerufen:
»Ihr werdet es bitter bereuen, das sage ich euch. Bitter bereuen! Die Indianer kommen auf schwarzen Pferden, wild und nackt jagen sie durch die Prärie, mit feuerroten Gesichtern und gelben Augen, zu Tausenden und aber Tausenden kommen sie, um jeden Weißen zu skalpieren…«
Die schauerlichsten Stories hatte er den Hellmers erzählt. Aber es war umsonst gewesen. Vater Ric hatte nur leise und still gelächelt.
»Wir fahren, Joel«, hatte er erklärt, »weil wir fahren müssen. In England ist kein Leben mehr für uns. Fred und ich, wir schuften seit einem Vierteljahrhundert – und hocken trotzdem noch in diesem Loch hier. Wir werden uns drüben eine neue Heimat schaffen!«
Norman Anthony, ein junger Taylor, der ein Auge auf die hübsche Patricia geworfen hatte, war zum Hafen gegangen und hatte einen Steuermann, der oft in Amerika gewesen war. Er brachte ihn noch am Vorabend der Reise mit zu den Hellmers.
»Sagen Sie den Leuten doch um Himmels willen, was sie drüben erwartet, Mister Clece!« hatte der Schneider den Seemann aufgefordert.
Clece war ziemlich einsilbig, und erst als der Taylor ihm den dritten Whisky eingeschenkt hatte, löste sich seine Zunge, und er begann, ähnliche Schauergeschichten von sich zu geben, wie sie schon der grauhaarige McCardiff den Auswanderern aufgetischt hatte.
Die beiden Hellmers-Brüder aber blieben bei ihrem Entschluß: Sie bestiegen am Morgen den 6. April 1881 den britischen Frachtdampfer Benvenuto und segelten ihrer neuen Heimat entgegen.
Die Benvenuto war ein alter knarrender Kasten, der eine langsame Fahrt machte, und als der erste Sturm von Windstärke sechs aufkam, gewaltig ins Schlingern geriet.
Die sieben Engländer standen mit bleichen Gesichtern im kleinen Kabinengang, und niemand von ihnen hätte sich ernstlich gewundert, wenn das große Abenteuer da schon zu Ende gewesen wäre.
Aber der alte Seelenverkäufer schaffte die Route, wie er sie seit vielen Jahren und in manchen Stürmen geschafft hatte.
In Boston legte er an.
Und die beiden Familien betraten am 2. Juni spätnachmittags nach siebenwöchiger Fahrt amerikanischen Boden.
Aber offenbar stand kein guter Stern über ihrer Ankunft in der neuen Welt.
Bei der Untersuchung durch den Zoll stellte sich heraus, daß Patricia Hellmers in einem Korb den kleinen Hund Berry mitgenommen hatte. Ohne das Wissen der anderen war es ihr in Southampton gelungen, das Lieblingstier der ganzen Familie und den besonderen Freund des kleinen Jim mit an Bord zu bekommen. Unterwegs hatte nur ihre Mutter ihr Geheimnis entdeckt. Und in Boston gab es dann den großen Ärger.
Der kleine deutsche Schäferhund wurde ihr natürlich weggenommen – und der Schreck darüber machte das Mädchen und den kleinen Jungen regelrecht krank.
Sie blieben drei Tage in den Zollbaracken, ehe sie weiterdurften.
Am Morgen des 6. Juni brachte ein Doppelfuhrwerk ihre gemeinsame Habe zur Verladestation Arlington.
Schon im Zollbarackenlager hatten sie ihn kennengelernt. Er war dreißig Jahre alt, groß, hager, hatte ein gelbliches Gesicht und grüne Augen. Jerry Newton kam aus Manchester. Ein ehemaliger Webereihilfsarbeiter, der arbeitsscheu war und eines Tages aus unbekannten Quellen das Geld für die Überfahrt in die Staaten zusammen hatte.
Die mittellosen Hellmers interessierten ihn nicht – wohl aber die hübsche Patricia. Im Lager hatte er mehrmals versucht, sie anzusprechen, war aber jedesmal auf kühle, eindeutige Ablehnung gestoßen.
Das Mädchen empfand von der ersten Stunde an eine unerklärliche Abneigung gegen den Mann.
Auf der Verladestation war er wieder da. Dabei hatte er gar nichts zu verladen. Er war plötzlich da und lehnte an der Rückwand eines Schuppens neben dem Mädchen, das mit blassem Gesicht dastand und wein-
te.
Pat hatte allein sein wollen – mit ihrem Kummer um Berry.
Plötzlich hörte sie neben sich das Geräusch. Als sie aufsah, blickte sie in das gelbliche Gesicht Newtons.
Ein widerliches Grinsen stand in dem Gesicht des Mannes.
»Hallo, Pat!«
Das Mädchen sah ihn kühl an.
»Miß Pat für Sie, Mister Newton. – Wo kommen Sie so plötzlich her? Wir dachten, Sie wollten nach Texas. Sie sollten doch nach Dedham kommen…«
»Ich sollte! Ja, aber wer hat mir schon etwas zu sagen. Ich lasse diese Sammys reden. Sie kümmern mich wenig. Ich werde nach St. Louis fahren. Mit Ihnen.«
»Nach St. Louis? Was wollen Sie denn dort? Haben Sie nicht erzählt, daß Sie einen Onkel in Texas hätten…?«
Da ergriff der Mann plötzlich ihren Arm, spannte seine knochige Rechte darum, daß sie leise aufschrie.
Vorn an der Verladerampe hörte niemand ihren Schrei.
Aber dann plötzlich schrie der Mann.
Ein Hund hatte ihn von hinten angesprungen und wild bellend niedergerissen.
Berry!
Mit Tränen in den Augen hatte Pat das Tier erkannt. Der treue Vierbeiner war ihnen bis hierher gefolgt; die Männer in dem Zoll-Lager hatten ihn nicht halten können.
Die Freude über Berry war so groß, daß das Mädchen ihren Schreck über Newtons Überfall verschwieg.
Der Manchester Mann hatte sogar die Stirn, den Hellmers vorzulügen, er hätte den Hund aus dem Lager geschmuggelt und wäre seinetwegen hergekommen. Obgleich er das flammendrote Gesicht des Mädchens während seiner Prahlerei sah, sprach er weiter.
Seit dieser Stunde hatten die anderen Hellmers, die ihn bisher ganz und gar nicht gemocht hatten, nichts mehr gegen ihn.
So waren sie denn am Abend nach St. Louis abgefahren.
Es war eine scheußliche, rumpelnde, anstrengende Fahrt durch Massachusetts, durch den Südzipfel des Staates New York, quer durch ganz Pennsylvania, Ohio, Indiana und Illinois.
St. Louis. Damals schon breitete sich die Stadt stärker am Westufer des großen Flusses, des gewaltigen Mississippi aus, hinein in das Land, dem der von Westen kommende sagenumwobene Missouri seinen Namen gegeben hatte.
Ric und Fred Hellmers hatten sich von ihren letzten Ersparnissen zwei große Planwagen und vier Pferde gekauft.
Die Wagen waren gut, weil Fred Hellmers etwas davon verstand. Aber die Gäule waren schlecht. Schon zwischen Jefferson City und Columbia gab einer der beiden Braunen Ric Hellmers’ auf. Er schien aus einem unerfindlichen Grund zu lahmen, trottete immer langsamer und hielt den ganzen Treck auf.
Bei der Ansiedlung Prärie Home trafen die Hellmers auf einen anderen Auswanderertreck, der hier noch eine Zeitlang bleiben wollte und das Pferd für fünfzehn Dollar übernahm.
Ein