»Aha. Und weshalb soll das etwas anderes sein?«
»Ein Revolverkämpfer – ein Gunman – äh… Damned, ich wollte es doch gerade von dir erklärt haben, Pat!« sagte er verzweifelt. »Die Boys sprechen anders von Doc Holliday als sie von Kid Carvena, von Wes Hardin, von Lewt Rosenby und Cass Marowe sprechen. Das sind Revolvermänner. Schießer. Coltmen. Gefürchtete Menschen, die sich mit dem Revolver Geld verdienen. Die so sind, wie der Mann in Kansas City war.«
Pats Gesicht wurde sofort sehr ernst, und eine unmutige Falte grub sich zwischen ihre Brauen.
»Der Mann in Kansas City ist ein Mörder.«
Der Junge entgegnete rasch:
»Das ist es, worüber ich eigentlich mit dir sprechen wollte. Er ist ein Mörder. Well, dann sind auch alle anderen Revolvermänner Mörder. Ich weiß es nicht, aber die Boys sagen, daß das nicht stimmt…«
Der Junge merkte, daß er seine Kusine etwas verstimmt hatte und meinte deshalb:
»Vor allem ist Doc Holliday doch der Freund von Wyatt Earp!«
Sie lächelte wieder.
»Was du nicht alles weißt!«
»Jeder Junge weiß das hier, Pat. Ich möchte Wyatt Earp einmal sehen. Und Doc Holliday auch. Ich habe es Vater gesagt – aber er will nicht über Dodge City fahren. Vielleicht ist das eine Stadt, wo wir bleiben könnten. Maurice Fabiany in Hutchinson sagte, daß es eine Treibherdenstadt sei, wie es keine zweite im Westen gäbe. Oft seien mehr als tausend Cowboys in der Stadt.«
»Tausend Cowboys? Findest du das schön?«
»Ja.«
Pat schüttelte den Kopf. Auch sie begriff nicht ganz. Schließlich aber sagte sie doch:
»Weißt du, Jim, du bist ein kleiner Junge und wächst in dieses fremde Land vielleicht besser hinein als wir…«
»Bist du schon alt?«
»Nein, Jim. Aber ich bin doch nicht mehr so jung wie du und kann nicht mehr mit den kleinen Jungen und Mädchen sprechen, um Dinge zu erfahren, die du leicht erfahren kannst. – Weißt du, vielleicht ist es ja mit Doc Holliday etwas anderes – vielleicht ist ja ein Revolverkämpfer keiner jener Banditen, die durchs Land ziehen, um andere Menschen umzubringen, und die für diese Verbrechen noch Geld verlangen.«
»Ach, Pat, du verstehst mich nicht.«
»Ich will es versuchen. Was hältst du davon, wenn wir Mike fragen?«
Jim winkte ab.
»Mike versteht nichts davon. Der denkt nur daran, bald irgendwo zu bleiben, um ein Haus zu bauen. Der sucht nur Waldland, wo wir Bäume fällen können für das Haus…«
»Meinst du nicht, daß es besser ist, als über Doc Holliday nachzudenken?«
Jim zog die Schultern hoch und stützte den Kopf in die Hände.
»Ich nehme an, daß es ganz gut ist, über Doc Holliday nachzudenken. Er ist wie Amerika – ich meine, wie der Westen. Oder nein, er ist ganz anders. Die Boys in Hutchinson sagen, daß er ein König ist!«
Ganz ernsthaft hatte er es gesagt, und als Patricia lachte, wurde er ärgerlich.
»Du bist eine alberne Gans, Pat. Und du verstehst mich auch nicht. Sie meinten natürlich keinen König mit einer Krone und einem Hermelin und vielen Dienern und einer großen goldenen Kutsche – sie meinten es eben anders.«
»Wie denn?«
»Yeah…«
»Du sollst nicht immer yeah sagen, deine Mutter hat es dir oft genug gesagt.«
»Yeah. – Er ist jedenfalls ein König. Alle haben Angst vor ihm – und doch ist er kein Verbrecher, kein Mörder, kein Bandit.«
Pat stand auf und strich dem Kleinen durch den Schopf.
»Du denkst für deine zehn Jahre viel zuviel nach, Jimmy!«
Sie ging fort, und der Hund folgte ihr.
Jim blickte ihr nach.
»Siehst du, wollte sie ihn weiternecken, »Berry hat mich viel lieber, er kommt mit mir!«
»Wetten, daß er sofort zu mir kommt, wenn ich will?«
Das Mädchen kraulte dem hübschen Tier das dicke Fell.
Da stieß Jim einen kurzen scharfen Doppelpfiff aus, und sofort wandte sich der Hund um und schoß auf ihn zu.
Jim lachte hellauf.
»Schade, daß ich nicht um ein dickes Stück Käse mit dir gewettet habe…«
Pat rief ihm zu:
»Gute Nacht. Und sieh zu, daß dir Doc Holliday nicht im Traum erscheint!«
Da rutschte der Kleine von dem Ladebrett und sagte trotzig:
»Dann werde ich ihn bitten, mit Wyatt Earp nach Kansas City zu reiten, um den Mann, der Onkel Fred niedergeschossen hat, zum Gunfight zu fordern.«
Pat war verblüfft stehengeblieben.
»Wozu denn…?« fragte sie stok-kend.
»Zum – ach…« Jim winkte ab und ging auf den Wagen seiner Eltern zu. »Es hat keinen Zweck, dir das zu erklären, Pat. Du verstehst es doch nicht.«
*
Es war Nachmittag, anderthalb Tage später.
Der kleine Treck zog gerade hügel-ab in eines der langgezogenen Wellentäler der Rolling Prärie. Schlingernd und rumpelnd drängten die Wagen den Zugtieren in die Hinterbeine.
Und plötzlich riß der kleine Jim, der wie immer vorn neben dem Vater saß, die Augen weit auf.
»Das da! – Ein Bandit!«
Der Alte blickte auf, zog die Brauen zusammen und schluckte dann. Dennoch entgegnete er dumpf:
»Rede nicht solchen Unsinn, Junge!«
Er hatte den Wagen aber trotzdem angehalten.
Auch Mike stoppte sofort den nachfolgenden Schoner. Vor ihnen, auf dem nächsten Hügelkamm, hielt ein Reiter.
Die Hellmers konnten ihn deutlich sehen, da er kaum hundertfünf-
zig Yard von ihnen entfernt war und sich seine Konturen scharf vom blaßblauen Kansashimmel abzeichneten.
»Weshalb fahren wir nicht weiter, Dad?« fragte Jim mit nicht ganz
fester Stimme in die von den Rädern aufsteigende Staubwolke.
»Sei still!«
Der Mann auf dem Hügel war mittelgroß, hatte einen eckigen Schädel, der halslos auf dem Rumpf zu sitzen schien.
Er war mit einer braunen Weste, einem verwaschenen blauen Hemd, einer grauen Hose und einem gelben Halstuch bekleidet.
Jim sah ganz deutlich, daß er zwei Revolver trug.
»Ein Zweihandmann…«, kam es fast lautlos von seinen Lippen.
»Was ist…?« krächzte der Alte, ohne den Blick von dem Reiter zu lassen.
»N-nichts«, murmelte Jim.
Mike stieg über die Radnarbe vom Wagen und kam nach vorn zu seinem Vater.
»Der steht da wie…«
»… ein Indianer!« vollendete Jim den abgebrochenen Satz seines Bruders.
»Habe ich dir nicht gesagt, daß du still sein sollst?« herrschte ihn der Vater mit belegter Stimme an.
Mike sah zu dem Reiter hinauf.
»Er hält mitten auf der Fahrstraße.«