Wächter der Runen (Band 3). J. K. Bloom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. K. Bloom
Издательство: Bookwire
Серия: Wächter der Runen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038961604
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erkenne, wie sich sein Mund zu einem Maul verformt. Seine Zähne werden spitzer, wie die eines Wolfes. Das Weiß seiner Augäpfel verschwindet ganz, als die schwarzen Pupillen riesig zu werden scheinen.

      Er sieht einfach entsetzlich aus. Wie ein Monstrum, das halb Mensch, halb Tier ist. Seine Füße gleichen nackten Bärentatzen, und seine Arme ähneln denen der riesigen Gorillas von den Königsinseln. Der Anblick bereitet mir eine solche Angst, dass ich mit meiner letzten Kraft zurückweiche und nicht glauben kann, was für ein Monster Roan aus Ravass gemacht hat.

      »Er ist noch nicht fertig. Ihm fehlen noch einige Körperteile«, gibt Roan recht unzufrieden von sich und aktiviert erneut die Rune, die Ravass wieder zurückverwandelt.

      Die Muskeln schrumpfen, der Rücken wird gerader und die animalischen Züge bilden sich zurück.

      Wie kann man einem Menschen nur so etwas antun? Kora hatte recht, was das angeht. Diese grauenvolle Gestalt ist weitaus schlimmer als der Tod oder irgendwelche Folter. Ich hoffe, dass Ravass wirklich nicht mitbekommt, was Roan aus ihm gemacht hat. Wenn tatsächlich sein Verstand bereits benebelt wurde, ist es vielleicht sogar eine Erlösung für ihn.

      Aber wie zum Henker soll ich aus diesem Gewölbe flüchten, wenn ich selbst kurz davorstehe, zu einer solchen Bestie heranzureifen? Wann setzt mein Verstand aus? Wie lange habe ich noch Zeit?

      Als Ravass wieder seinen alten Körper besitzt, sackt er in sich zusammen und bleibt regungslos auf dem Boden liegen. Die Soldaten besorgen neue Ketten und Fesseln, die sie an der Wand und dann an Ravass befestigen.

      »Ein wunderschöner Anblick«, meint Roan. »Irgendwann werden diese Bestien in ganz Amatea verstreut sein.«

      Was für eine kranke Vorstellung. Mutierte Menschen, die Menschen beherrschen. Vermutlich nutzen sie diese, um den Krieg gegen Oceana zu gewinnen. Wie stark ist eine solche Kreatur? Wie viel Schaden kann sie anrichten?

      Roan verschwindet mit seinen Leuten und ich sinke ebenfalls auf dem Boden zusammen. Mit einem Schlag wird mir bewusst, wie hoffnungslos all das hier ist. In meinem jetzigen Zustand werde ich es nicht einmal schaffen, einen Dietrich zu benutzen, um meine Fesseln zu lösen. Selbst wenn er noch neben mir läge, besäße ich nicht die Kraft dazu, ihn aufzuheben.

      Tränen treten in meine Augen und ich blicke zur kalten, finsteren Decke hinauf. Das hier ist mein Grab. Ich werde genau wie Ravass zu einem Monstrum mutieren, Menschen töten und zum Ende der Welt beitragen.

      Ist das wirklich mein Schicksal? Nach allem, was ich durchgemacht habe?

      Mein Brustkorb hebt und senkt sich. Ich kämpfe erneut gegen die Übelkeit an und versuche die Angst um mein Leben in den Griff zu bekommen.

      Erst wenn man merkt, wie sehr man wirklich am Boden ist, und die Wahrheit hinter der Situation erkennt, in der man steckt, wachsen in einem die Zweifel.

      Sie ernähren sich wie ein Parasit von mir, flüstern mir immer wieder zu, wie aussichtslos meine Lage ist.

      Während meines inneren Kampfes, in dem ich mich bemühe, nicht vollkommen den Verstand zu verlieren, regt sich plötzlich Ravass. Er zieht meine Aufmerksamkeit auf sich und ich kann dadurch meine Zweifel beiseitedrängen.

      »Finn«, krächzt er und dreht sich mit Mühe zu mir um. Wir liegen beide auf der Seite, meine Augen sehen in seine. »Ich habe es gespürt.«

      Mein Atem geht unregelmäßig, als ich mir wieder seine grauenvolle Gestalt ins Gedächtnis rufe. »Was meinst du?«, keuche ich.

      Seine Lider sind schwer, sie fallen ihm ständig zu. Er kämpft darum, seine Besinnung nicht zu verlieren. »Du weißt, wovon ich rede. Ich bin ein … bin ein …«, ächzt er schwach.

      »Du bist kein Monster«, falle ich ihm ins Wort, um ihm seine Angst zu nehmen.

      Aus seinem Mundwinkel tritt ein Blutrinnsal. Wie schrecklich muss es ihm wirklich ergehen?

      »Doch, das bin ich. Eine Bestie. Ich habe gespürt, wie meine Arme wuchsen und mein Rücken sich krümmte.«

      Dann habe ich nicht seinen Schmerz in den Augen gesehen, sondern seine Panik. Die Angst vor der Mutation. »Roan will die ganze Welt damit verseuchen.«

      Ravass hustet, wobei Blutspritzer auf den kalten Pflastersteinen landen. »Ich weiß.«

      Offensichtlich schmerzt ihn die seitliche Lage seines Körpers, sodass er sich auf den Rücken legt und tief ein- und ausatmet. Dabei wünschte ich mir so sehr, ihm helfen zu können und ihn von diesem menschenverachtenden Ort wegzubringen. Niemand von uns beiden hat ein solches Ende verdient.

      »Weißt du, ich bin froh, dass Maria all das hier nicht mehr ertragen muss.«

      Maria, seine Geliebte, die ich damals habe im Kerker sterben lassen, obwohl ich sie hätte retten können. Doch der Schatten in mir hielt ihre Rettung für überflüssig, da er nur die Aufgabe übertragen bekam, Ravass zu helfen. Selbst heute noch bereue ich, was ich getan habe.

      Ich sollte zu einem Monster werden – nicht Ravass.

      »So muss sie mich nicht als diese schreckliche Kreatur sehen oder mit dem Gedanken leben, dass ich nie wieder zurückkehre.« Er hält kurz inne, als würde er über etwas Wichtiges nachdenken. »Ich glaube zwar nicht an ein Leben nach dem Tod, aber wenigstens wäre ich danach frei.«

      Meine Schuldgefühle zerfressen mich, während Ravass darüber philosophiert, wie schön das Ende sein kann.

      Ich muss es ihm sagen. Wenn ich es nicht tue, werde ich mir das niemals verzeihen. Er hat es verdient zu wissen, was damals wirklich im Verlies von Massott passiert ist. »Ich bin schuld, dass Maria gestorben ist.«

      Mein totes Herz verkrampft, als ich die Worte ausspreche, während Ravass verstummt ist. Seine Brust hebt und senkt sich, aber er öffnet noch immer nicht die Augen. Es vergehen mehrere Sekunden, in denen ich sehnlichst darauf hoffe, dass er antwortet.

      »Es gibt nur einen Menschen, der Schuld an ihrem Tod trägt«, ächzt er und fährt sich über seinen mit Blut beschmierten Bauch. Darunter sind Dreck und Ruß gemischt. Da ich bereits so sehr an den Gestank hier unten gewöhnt bin, riecht alles einfach nur nach schwerem Eisen. »Sie kam meinetwegen ins Verlies. Ich habe sie dort hingebracht, weil ich sie liebte.«

      Das darf er sich nicht einreden! »Als ich dich aus dem Gefängnis herausholen sollte, sah ich sie in einer der Folterkammern an den Ketten hängen. Ich hätte sie mit meinen Fähigkeiten retten können. Aber ich tat es nicht, weil …« Meine Stimme bricht und mich verlässt der Mut für den Moment. Ravass wird mich dafür hassen, was ich nun gestehe. »… sie mir als Schatten nicht wichtig genug erschien. Deswegen ließ ich sie sterben und floh nur mit dir aus dem Verlies. Als ich später zurückkehrte, war sie längst tot.«

      Stille kehrt zwischen uns ein und Ravass hat noch immer nicht die Augen geöffnet. Er atmet schwer, doch sonst deutet nichts darauf hin, dass er wieder das Bewusstsein verloren haben könnte. Seine Muskeln zucken mehrere Male, während ich ihn erwartungsvoll ansehe.

      »Eigentlich«, beginnt er mit rauer Stimme, »sind wir zwei uns ziemlich ähnlich, auch wenn ich dich am Anfang nicht ausstehen konnte.« Ein Lachen entfährt ihm, das jedoch durch das Blut in seiner Kehle in ein Husten übergeht. »Ich habe dich so sehr gehasst, als ich hörte, dass du meine Schwester entführt hast. Als Fiora mir die Auflage gab, Massott nie wieder zu verlassen, tat ich es dennoch und landete dafür im Verlies.«

      Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mir Rave geschnappt hatte und sie mitnahm. Sie war wirklich eine grauenvolle Begleiterin, doch wäre sie das nicht gewesen, hätte sie mich niemals zum Nachdenken gebracht. Eigentlich ist es ihr zu verdanken, dass ich mich damals für das Richtige entschieden habe, auch wenn es mir heute zum Verhängnis wird. Doch das war es mir wert.

      Dafür habe ich Rave kennengelernt. Dafür habe ich sie lieben gelernt.

      Eine Träne rinnt an meiner Wange hinab und tropft auf den kalten Stein unter mir.

      »Maria versuchte ihren Vater dazu zu überreden, mich freizukaufen, doch als er erfuhr, dass ich