Wächter der Runen (Band 3). J. K. Bloom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. K. Bloom
Издательство: Bookwire
Серия: Wächter der Runen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038961604
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was ist, wenn etwas schiefläuft? Keine weitere Teilschöpfung darf Baltora betreten, darauf hofft der Imperator doch nur.

      Aufgeregt laufe ich zu den Schubladen neben der Tür und suche hektisch nach einer Schreibfeder. Ich finde zwar eine, doch leider gibt es nirgends Tinte, mit der ich schreiben könnte.

      Auch wenn es keine gute Idee ist, meine gerade verheilte Wunde wieder aufzureißen, habe ich keine andere Wahl, als mein Blut zu benutzen. Ich stoße die Spitze durch die Kruste in meiner rechten Hand und unterdrücke einen weiteren Schrei, als sich erneut der Schmerz durch meinen ganzen Arm zieht. Blut quillt aus der wieder geöffneten Wunde und ich antworte mit einer grauenvollen Handschrift auf die Nachricht.

      Mir geht es gut. Aber bleibt, wo ihr seid. Ihr dürft Baltora auf keinen Fall betreten. Der Imperator wartet nur auf eine solche Gelegenheit.

      R.

      Mit links zu schreiben, fällt mir unheimlich schwer, und ich brauche auch fast dreimal so lange, als ich es normalerweise tue. Aber als ich fertig bin, rolle ich den Zettel wieder zusammen und binde ihn an Neagans Fuß, der brav gewartet hat. Ich streichle über seinen kleinen Kopf und hätte ihn am liebsten an mich gedrückt, da es unheimlich guttut, einen alten Freund wiederzusehen. Niemals hätte ich gedacht, den Falken ein weiteres Mal zu treffen, zumal wir bei dem Vorfall an der Grenze getrennt wurden.

      Wie es wohl Sleipnir und Schneeweiß ergeht? Auf eine seltsame Art vermisse ich die beiden. Tiere haben immer schon eine beruhigende Wirkung auf mich gehabt. Ihre Anwesenheit ließ mich immer klar denken und selbst die verzwickteste Situation optimistisch betrachten.

      »Mach’s gut, Neagan«, flüstere ich, als der Vogel ein leises Kreischen von sich gibt und aus dem Fenster hinausschießt.

      Ich sehe ihm noch so lange nach, bis er mit der Dunkelheit der Nacht verschmilzt und ich ihn nicht mehr erkennen kann.

      Es war damals Finns Idee gewesen, unsere letzten drei Buchstaben zu nehmen, um daraus einen neuen Namen zu kreieren. Für gewöhnlich ist diese Tradition nur bei den eigenen Kindern üblich, aber da wir beide wohl niemals ein normales Leben führen werden, haben wir sie auf unseren gemeinsamen Begleiter angewendet.

      Ich schließe wieder das Fenster und lege mich erneut ins Bett. Mit den noch übrig gebliebenen Verbänden drücke ich die neue Stelle zu, die ich vorhin mit der Feder aufgerissen habe, und versuche trotz des Pochens wieder einzuschlafen.

      Hoffentlich werden Iain und die anderen meine Nachricht erhalten. Wie lange wird Neagan fliegen, um die Wasserstadt zu erreichen? Muss er dafür nicht durch die trockene Genjil-Wüste? Was ist, wenn er kein Wasser findet? Oder sich verirrt?

      Aber er hat den Weg hierher gefunden, sodass ich fest daran glaube, dass er ihn auch zurückfinden wird.

      Es vergehen zwei oder drei Tage. Ich kann es nicht genau sagen, da ich hier unten jegliches Zeitgefühl verliere.

      Sie geben uns Brotreste oder Gammelfleisch zu essen, was ich nur mit viel Mühe hinunterschlucken kann. Als Todeskriecher brauche ich zwar keine Nahrung aufzunehmen, doch in meinem derzeitigen Zustand habe ich keine andere Wahl. Meine Fähigkeiten werden noch immer durch die Rune am Hals unterdrückt, was dazu führt, dass ich auch wie ein Mensch überleben muss – trotz meines untoten Daseins.

      Direkt nach dem Folterprozess durch Roan haben meine Kräfte versagt, und als ich wieder aufwachte, um nach dem Metallstab zu suchen, der meine Fesseln geöffnet hätte, bemerkte ich, dass dieser verschwunden war. Entweder hat ihn eine der Wachen gefunden und entsorgt oder sogar Roan persönlich, als er wieder nach mir sehen wollte. Meine Chance ist damit verstrichen, auf diesem Weg zu entkommen.

      Ravass’ Zustand verschlimmerte sich. Er kehrte nach einem Tag wieder zu mir zurück und musste eine weitere Folter durchhalten. Danach wirkte er verändert, so als wäre sein Geist abwesend oder durch die Schmerzen verstummt.

      Er starrt seitdem vor sich hin, und das Blut, das an ihm hinunterläuft, scheint ihn nicht mehr zu stören. Ich weiß nicht einmal, ob er Schmerzen empfindet, und wenn doch, weshalb er sie nicht mehr zeigt.

      Seit Stunden rede ich auf ihn ein, doch jeder Versuch scheitert.

      Als Roan erneut auftaucht, ist mir klar, dass ich nun wieder an der Reihe bin, die schlimmsten Schmerzen auszuhalten, obwohl sich mein Körper alles andere als bereit fühlt.

      Mir wird speiübel bei dem Gedanken, auf den Tisch zurückzumüssen.

      »Was habt ihr mit Ravass gemacht?«, brülle ich, während die Wachen meine Fesseln lösen und mich von meinem Platz hochheben.

      Roans dunkle Augen funkeln vor Begeisterung. »Mein Elixier schlägt endlich bei ihm an.«

      »Was soll das heißen?«, hake ich einfach weiter nach.

      Er hebt vielsagend den Zeigefinger und begleitet mich bis zum Tisch, worauf ich erneut angekettet werde. »Das bedeutet, dass Ravass mutiert. Zu einer Art … Bestie.«

      »Was?!«, entfährt es mir entsetzt.

      Eine Bestie? So ein Monster, von dem uns Nura damals erzählt hat? Eine Kreatur aus den Tiefen von portes tenebra?

      Aber was wird dann aus mir? Ich will kein Monster werden, das später Freund und Feind nicht mehr unterscheiden kann und sinnlos Menschen tötet. Großer Schöpfer! Dann ist diese Bestie, von der alle in Baltora reden, eines von Roans Experimenten?

      Ich kriege fast keine Luft mehr. »Du bist ein kranker Bastard, Roan!«

      Er lacht amüsiert. »Nichts ist schöner als die Veränderung eines menschlichen Körpers. Er kann so viele verschiedene Formen annehmen, wenn man ihm nur das richtige Mittel gibt.«

      Nein, nein, nein! Ich will keine Bestie werden! Niemals! Dann sterbe ich lieber als Todeskriecher, statt zu etwas Entstelltem zu mutieren, das ich nicht bin.

      Panik wallt in mir auf und ich versuche mich von den Fesseln zu lösen.

      Verliert man zuerst seinen Verstand, bevor man selbst merkt, dass man längst zu einem Monster geworden ist? Spricht Ravass deswegen nicht mehr mit mir? Vielleicht ist das auch gar nicht mehr Raves Bruder.

      Doch es gibt keine Chance, zu entkommen. Roan setzt erneut seine Klinge an meinen Bauch und reißt die verkrusteten Wunden auf, um seine seltsame Tinktur in mich hineinfließen zu lassen.

      Ich schreie dabei so laut, als gäbe es kein Morgen mehr. Die Ketten klackern, als ich mich gegen den Schmerz wehre. Meine Beine strampeln wild, während meine Arme alles daransetzen, die grauenvollen Fesseln von mir zu reißen.

      Aber nichts hilft. Die Rune an meinem Hals ist zu stark und wurde wohl während meines Schlafes erneuert. Denn je mehr ich meine Kräfte herbeirufe, desto stärker wird das Brennen auf meiner Haut.

      Der Prozess kommt mir wie eine Ewigkeit vor, und mein Körper fühlt sich wie verprügelt an. Durch meine Muskeln zuckt nur noch ein Krampf nach dem anderen. Ich bin nicht einmal mehr imstande, mich aufrecht zu halten, als sie mich zurück an meinen Platz bringen.

      Magensäure und Blut stoßen mir auf, als ich zur Seite falle und mich erneut übergeben muss.

      Roan neigt sich zu Ravass herab und brennt ihm eine Plakette in die Arme, deren Symbol mir unbekannt ist. »Mal sehen, ob es schon wirkt.«

      Er beschwört die Magie der Rune herauf, und Ravass’ Körper verkrampft sich. Er beugt sich nach vorne, an seinen Oberarmen drücken sich seine Adern deutlich hervor. Was auch immer diese Macht mit ihm anstellt, er muss unvorstellbar innerlich leiden, auch wenn er es äußerlich nicht preisgibt. Seine flehenden Augen verraten die Wahrheit.

      Schließlich werde ich Zeuge von einer beängstigenden Entwicklung. Ravass beginnt zu brüllen, und seine Muskeln fangen an zu wachsen. Sie werden sogar so übermächtig, dass sie die Fesseln sprengen und sich sein Rücken merkwürdig verkrümmt. Schließlich nehmen seine Beine und Arme die gleiche Länge an und er wird doppelt so groß wie Roan, der mit voller Begeisterung vor ihm steht und das