Wächter der Runen (Band 3). J. K. Bloom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. K. Bloom
Издательство: Bookwire
Серия: Wächter der Runen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038961604
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      ›Das ist mir bewusst, Danev.‹

      Ihre Stimme klingt nun schwerer, als müsste sie sich anstrengen zu sprechen: ›Merkwürdig. Irgendwie fühlt sich alles so seltsam an.‹

      Ich werde stutzig. ›Was meinst du?‹

      Darauf erhalte ich allerdings keine Antwort mehr, was mir Sorgen bereitet. Ob Danev krank wird? Kann sie das überhaupt? Vielleicht tut ihr der Ort nicht gut oder die Nähe des Imperators, an dem die meiste Macht von portes tenebra haftet.

      Ich hoffe, dass der Abend so schnell wie möglich endet.

      Da ich noch immer von den meisten angestarrt werde, setze ich mich wieder auf den Stuhl zurück und bemerke gleichzeitig, dass Roan von Finn abgelassen hat. Er atmet zwar weiterhin schwer, doch die großen Schmerzen scheinen ihm genommen worden zu sein.

      »Nun lasst uns essen«, ruft der Imperator, der die Dienerschaft dazu auffordert, die Speisen auf dem silbernen Tisch zu platzieren.

      Da ich meine rechte Hand nicht benutzen kann, lasse ich mir nur Suppe geben und nehme den Löffel in meine linke. Meine Arme zittern ein wenig, weil mich die Anwesenheit des Adels und die wachen Augen des Imperators zu nervös machen. Selbst Lokris kann seinen Blick nicht von mir abwenden, und öfter landet seine widerliche Hand auf meinem Schoß.

      Immer wieder sehe ich zu Finn, um mich zu vergewissern, wie sein derzeitiger Zustand ist. Unsere Blicke kreuzen sich hin und wieder, sprechen von Wehmut und Sehnsucht. Ich will ihm so gerne helfen, ihm die Qual nehmen, die er in den dunklen Gewölben ertragen muss, doch ich kann mich nicht einmal selbst retten. Und genau dieser Gedanke entpuppt sich als einer der schlimmsten.

      Ich bin zu schwach für ihn. Zu schwach für uns.

      Mit der Zeit vergeht mir der Appetit, wobei ich noch nicht einmal die Hälfte der Gemüsebrühe geschafft habe. Warum sollte ich überhaupt etwas essen? Um bei Kräften zu bleiben? Um immer wieder und wieder nur Leid und Schmerz zu ertragen?

      ›Ravanea‹, höre ich Danev mit brüchiger Stimme sagen. Sie klingt plötzlich viel menschlicher. Was hat sie nur? ›Bitte, du darfst dir nicht das Ende einreden. Wir werden es hier herausschaffen.‹

      ›Rede keinen Unsinn‹, entgegne ich gereizt. ›Du musst diese Qualen ja nicht aushalten, schließlich ist es nicht dein Körper, der leidet.‹

      Daraufhin verstummt sie, weil sie wohl ganz genau weiß, dass ich recht habe. Doch was ist ihr verdammtes Problem? Dieser unüberwindbare Palast ist unser Ende. Wir werden nie mehr etwas anderes als diese grässlichen, einsamen Mauern sehen. Wenn sie einen neuen Körper besäße, könnte sie von Neuem beginnen und ich bekäme meine Erlösung.

      Natürlich bin ich mir bewusst, dass es feige ist, den Tod zu wählen, und damit die Probleme, die noch vor uns liegen, zurückzulassen. Aber ich kann hier nichts mehr ausrichten, da die machtgierigen Hände des Imperators meinen Hals umschlungen halten, Lokris seine Finger bereits zwischen meine Schenkel zu schieben versucht und Roan Finn in seiner Gewalt hat.

      Durch meine Nachricht an Iain werden die Teilschöpfungen ebenfalls keine weiteren Versuche starten, um mich aus Baltora herauszuholen. Vielleicht bin ich sogar bis dahin längst tot.

      Es gibt keine Hoffnung mehr. Jedenfalls nicht für uns drei.

      Nach dem Essen spielt das Orchester die Musik etwas lauter und es wird getanzt. Dadurch leert sich der Tisch und ich bin dafür dankbar, endlich nicht mehr unter Beobachtung zu stehen.

      Der Imperator und Torava machen die ersten Schritte und mir fällt dabei auf, wie gefühllos die beiden tanzen. Besonders der Herrscher, der nichts mehr empfindet außer Hass und Machtgier, wirkt wie eine sich bewegende Statue. Aschfahl, kalt und unberechenbar.

      Ich wende den Blick ab und stelle fest, dass Finn mich die ganze Zeit verstohlen ansieht. Wie gern ich einfach aufstehen würde, um bei ihm zu sein. Ich vermisse seine Wärme, seine Nähe und das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Ob es ihm genauso ergeht?

      Während wir uns ansehen, ist mir nicht aufgefallen, dass sich eine Träne aus meinem Auge gelöst hat und nun meine Wange hinabwandert. Ich wische sie schnell weg, bevor sie noch Roan oder Lokris zu Gesicht bekommt.

      Die Geschwister beschließen ebenfalls auf die Tanzfläche zu gehen und ich bin froh, dass ich dazu anscheinend kein Recht habe. Mit einem prüfenden Blick über meine Schulter merke ich, wie sich die anderen vollkommen konzentriert ihrem Tanz widmen. Ist das vielleicht meine Chance?

      Heimlich stehe ich auf und bewege mich langsam an den leeren Stühlen vorbei, um keine Blicke auf mich zu ziehen. Dabei bemühe ich mich, mit aufrechtem Rücken zu gehen, um mich der Menge anzupassen.

      Finn sieht mich angespannt an, als hielte er mein Vorhaben für keine gute Idee. Selbst neben ihm sitzt niemand mehr, seine Familie ist wohl erleichtert gewesen, als sie sich von ihm entfernen durfte. Sie tanzt nun ebenfalls auf der Tanzfläche.

      Dabei habe ich immer daran geglaubt, dass Familie zusammenhält. Aber dieser Glaube gilt nicht für alle Gemeinschaften in dieser Welt.

      Gerade als ich die Kurve erreiche, packt mich plötzlich jemand an der Hand und zieht mich zurück. Ich sehe in die himmelblauen Augen von Lokris, der mich amüsiert angrinst. »Du wolltest doch nicht gerade im Ernst zu deinem Geliebten, oder?«

      Ich schlucke schwer und schaue reumütig, beinahe hilflos zu Finn, der aufzustehen versucht.

      Doch Lokris hebt eine Hand, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. »Wenn du nicht willst, dass dich mein Bruder hier vor allen Leuten umbringt, dann solltest du die Füße stillhalten«, droht er ihm.

      Als ich über meine Schulter auf die Tanzfläche schaue, bemerke ich erst jetzt, dass Roan uns niemals aus den Augen gelassen hat. Besonders Finn nicht, seinen Sklaven, mit dem er machen kann, was er will.

      Wenn Lokris ihn nicht gewarnt hätte, wäre es wirklich möglich gewesen, dass Roan seine Kräfte an ihm ausgelassen hätte. Aber wieso hat er das überhaupt getan? Ist es nicht Lokris’ Bedürfnis, Leid und Schmerz zu säen? So wie sein Vater? Oder jeder andere, der mit dem Imperator groß geworden ist?

      »Bitte«, flehe ich und schaue erneut zu Finn. »Ich will doch nur kurz zu ihm.«

      Lokris lässt sich nicht weichkriegen. »Nein.«

      Er zieht mich vom Tisch weg, auch wenn ich mich nur zögerlich fortbewege. Ich wollte Finn doch nur berühren, für einen kleinen Moment. Der Imperator hat ihn absichtlich eingeladen, damit mich das Gefühl der Sehnsucht zerfrisst. Ich soll ihn ansehen, aber weder berühren noch mit ihm reden dürfen.

      Tatsächlich erweist sich diese Folter als eine der schlimmsten. Lieber hätte er mir noch einmal in die Hand stechen sollen, als mir Finn weiterhin auf diese Weise vorzuführen.

      Außerdem muss ich doch wissen, wie es um ihn steht, was Roan mit ihm gemacht hat und wie es meinem Bruder geht.

      Voller Bedauern lasse ich mich wieder von Finn wegziehen und kämpfe währenddessen mit den Tränen, die sich erneut in meinen Augen anbahnen. In letzter Zeit kann ich meine Gefühle immer weniger kontrollieren, spüre dafür jedoch Stück für Stück, wie mich dieser Ort innerlich zerreißt.

      Lokris bringt mich an den Rand der tanzenden Menge, wo er mich ebenfalls dazu auffordert, ihm einen Tanz zu gewähren. Was habe ich schon für eine Wahl?

      »Ich kenne aber keinen der Schritte. Schon vergessen, dass ich mit einem Schwert und dem nackten Überleben groß wurde?«, erinnere ich ihn in einem zynischen Tonfall.

      Lokris lächelt nur und nimmt meine gesunde Hand in seine. »Dann lässt du dich besser von mir führen, sonst könnte es wirklich passieren, dass du mit deinen Dummheiten heute noch deinen Arm verlierst.«

      »Kann dir doch egal sein«, entgegne ich knurrend.

      Lokris lässt sich davon nicht beeindrucken und beginnt den ersten Schritt zu tun. Tatsächlich stellt er es so geschickt an, dass ich weder auf seine Füße trete noch ihn anremple. Wir bewegen uns leichtfüßig und im Gleichschritt