Dare hatte so getan, als bekäme er einen Herzinfarkt, bestand aber auch darauf, dass Liam ihn irgendwann Mein Lieblingsonkel nennen sollte. Teague, der sich nach seinem Selbstmordversuch vor einigen Monaten schon viel besser schlug, blieb auf sicherer Distanz zu dem Baby, aber Roan erkannte, dass er einfach keine Erfahrung im Umgang mit Kindern hatte.
Der große, böse Hudson Ballard – Teagues bessere Hälfte – wollte sofort anfangen, Liam beizubringen, wie man ein Boot repariert, und lieferte sich mit Noah sogar einen stummen Streit – komplett mit aufgeregter Gebärdensprache – darüber. Natürlich bestand Noah darauf, dass Liam ein Feuerwehrmann wurde, wenn er groß war.
Roan war so erleichtert, dass sie ihn und Liam gut aufgenommen hatten und ihm seine Geheimniskrämerei verziehen, ohne ihm auch nur einen anklagenden Blick zuzuwerfen. Er musste sich sogar in Cams kleines Büro schleichen und die Tränen zurückkämpfen, die ihn in den vergangenen paar Tagen immer wieder überwältigten.
Liams erster Kontakt mit der lebhaften und aufgeweckten Milly – Gannons Assistentin/beste Freundin – war erst heute Morgen zustande gekommen, als sie ihn überrascht hatte, indem sie vor der Beerdigung vor Cams Tür stand. Als sie angeboten hatte, auf Liam aufzupassen, stellte Roan fest, dass er nicht ablehnen konnte. Zum Teil, weil Milly ihm gesagt hatte, dass er nicht ablehnen durfte.
Da Roan wusste, dass sein Vater und seine Stiefmutter nicht begeistert waren, dass er Liams gesetzlicher Vormund war, hatte er eingewilligt. Er hoffte, das Drama bei der Beerdigung damit zu vermeiden. Es funktionierte und jetzt saßen Daniel und Lydia in Cams Wohnzimmer und machten beim Anblick ihres Enkels ooh und aah, während Roan ihnen ein bisschen Zeit mit ihm ermöglichte.
»Ist Eva schon wieder zurück nach Ohio?«, fragte Cam so leise, dass es im Wohnzimmer nicht zu hören sein würde.
»Ja.« Seine Schwester Eva war bei der Beerdigung und am Grab gewesen, doch jetzt saß sie wieder im Flugzeug nach Ohio, wo ihr Ehemann und zwei Kinder auf ihre sichere Rückkehr warteten.
»Wo waren ihr Mann und ihre Kinder?« Cam lehnte sich gegen die Anrichte und verschränkte die Arme vor der Brust.
Roan hob eine Augenbraue. »Sie meinte, sie bräuchten sich diese Sache nicht antun.«
Cam brummte. Bestimmt empfand er genau so wie Roan. Eva war Cassies Schwester. Ihre Familie hätte hier sein sollen, um ihr und dem Rest der Familie beizustehen. Da Roan wusste, dass Eva und Cassie sich nie nahegestanden hatte, konnte er es irgendwie verstehen. Es gefiel ihm nicht besonders, aber er verstand es.
Cam drehte sich um, stützte die Hände auf der Anrichte ab und folgte Roans Blick. »Alles cool?«
Roan nickte. So cool es eben sein konnte. Im Moment kämpfte er gegen den Drang an, sich Liam zu schnappen und an die Brust zu drücken, um sicherzugehen, dass niemand versuchte, ihn ihm wegzunehmen. Das hier waren Liams Großeltern, um Himmels willen. Es war ja nicht so, als würden sie mit Absicht irgendetwas tun, was Liam schaden würde. Und ihnen allen war klar, dass niemand davon profitierte, wenn man den kleinen Jungen gerade jetzt von Roan trennte.
»Du solltest da reingehen.«
Ja. Roan hatte gehofft, es vermeiden zu können. Er wusste, dass Lydia über Liam reden wollte, und er würde so ziemlich alles tun, um diesem Gespräch aus dem Weg zu gehen.
»Augen zu und durch«, sagte Cam in neckendem Tonfall, bevor er schnell wieder ernst wurde. »Wir sind hier. Du musst diesen Kampf nicht allein führen.«
In dem Wissen, dass Cam ihm den Rücken frei hielt, zwang Roan seine Schritte in Richtung Wohnzimmer.
»Roan«, rief Lydia sofort, als er vor ihr zum Stehen kam. Sie sah auf Liam hinunter. »Wir haben uns gefragt, was du mit Liam zu tun gedenkst.«
»Tun?« Roan kam nicht dahinter, was sie meinte.
»Wo werdet ihr wohnen? Mit wem werdet ihr zusammenwohnen?« Ihr Blick huschte kurz zu ihm hoch. »Solche Dinge.«
»Ähm…« Roans Hände ballten sich an seinen Seiten zu Fäusten. »Ich bin gerade auf der Suche nach einem Haus.«
Lydia hob den Kopf und richtete sich ein Stück weit auf. »Hältst du es wirklich für klug, Liam in einem schwulen Haushalt großzuziehen?«
Nun. Sie kam direkt zum Punkt, oder etwa nicht?
Roans Blick wanderte zwischen seinem Vater und seiner Stiefmutter hin und her. Es war offensichtlich, dass Daniel versuchte, sich ganz aus diesem Gespräch herauszuhalten.
»Mir war nicht klar, dass das ein Problem ist.«
»Es ist nur…« Lydia sah zu Daniel hinüber. »Wir halten es für wichtig, dass Kinder mit einer Mutter und einem Vater aufwachsen.«
Hmm. Merkwürdig, dass Lydia damit fortfuhr, wir zu sagen, obwohl Roan einen Teil seines Lebens von einem alleinerziehenden Vater großgezogen worden war.
»Also habt ihr Bedenken, weil ich schwul bin? Ich bin verwirrt.«
Lydia wand sich. »Ich sage nicht unbedingt, dass es… falsch ist. Aber es ist nicht natürlich, Roan.« Noch immer wich sie seinem Blick aus. »Ein Kind sollte eine Mutter und einen Vater haben.«
Okay, offensichtlich hatte sie nicht die Eier, um zu sagen, was sie wirklich meinte. Dass sie von wir sprach, bedeutete, dass sie sich hinter seinem Vater versteckte. Und die Tatsache, dass sie ihn nicht ansah, bedeutete, dass sie sich in ihrem Standpunkt nicht ganz sicher war.
Jedenfalls zog Roan diese Schlüsse aus ihrem Verhalten.
Roan glaubte, dass jedes Kind mit liebevollen Eltern aufwachsen sollte – Mom und Dad, Dad und Dad, Mom und Mom, alleinerziehende Mom, alleinerziehender Dad, Großeltern, es spielte verdammt noch mal keine Rolle. Solange ihnen das Kind am wichtigsten war, solange sie das Kind bedingungslos liebten, wen kümmerte es dann schon, welches Geschlecht die Eltern hatten oder ob es zwei Elternteile in der Familie gab? Doch das konnte er Lydia gegenüber nicht sagen. Sich mit ihr zu streiten, würde die Situation nur verschlimmern.
»Da ich Single bin, verstehe ich nicht, warum das ein Problem darstellen sollte.«
Und es war auch kein Problem.
Nicht, dass er sich darum scherte. Er hatte nur eine Priorität: Liam. Nichts und niemand sonst war von Bedeutung.
Da er weiterem Schwachsinn entgehen wollte, kehrte Roan in die Küche zurück und fing auf dem Weg dorthin Cams Blick auf.
Er ging direkt zum Kühlschrank, riss die Tür auf und starrte auf den Inhalt. Nichts davon sah er wirklich, doch die kühle Luft wirkte Wunder für seine überhitzte Haut.
»Geht's dir gut?«, fragte Cam, als er an ihm vorbeilief.
»Ja.« Roan schloss die Kühlschranktür und drehte sich um, um seinen Vater und seine Stiefmutter im Auge zu behalten. Er rechnete fast damit, dass sie Liam wie einen Football unter den Arm klemmten und sich aus dem Staub machten.
»Gannon und ich gehen einkaufen. Brauchst du irgendwas?«
Roan schüttelte den Kopf. Er wandte sich an Cam. »Wir machen euch bald keine Umstände mehr, versprochen.«
Cam wirkte schockiert und vielleicht ein bisschen verärgert. »Ihr macht uns keine Umstände. Gannon und ich haben euch gerne hier. Ich kann verstehen, wenn du ein eigenes Haus haben willst, aber glaub ja nicht, ihr würdet uns nerven.«
»Ich habe darüber nachgedacht, eine Wohnung zu mieten, aber ich glaube, es wäre das Beste, wenn ich uns ein Haus kaufe. Damit Liam auf Dauer ein Zuhause hat. Um Wurzeln zu schlagen, weißt du? Mir gefällt die Vorstellung nicht, allzu oft mit ihm umziehen zu müssen.«
»Roan, du wirst ein großartiger Vater sein. Liam hat verdammt viel Glück, dich zu haben.«
Roan schluckte schwer. Er war sich nicht sicher, warum er diese