Der Gesang des Sturms. Liane Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liane Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959913478
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nach. In Gedanken verlängerte er den vor ihnen liegenden Weg und kam zum gleichen Schluss. »Verdammt.«

      Mit jeder verstreichenden Stunde wurde Elendar nervöser. Der Kommandant machte keine Anstalten, von seiner Route abzuweichen. In spätestens zwei Tagen würden sie Siranys Dorf erreicht haben. Elendar bezweifelte, dass sie diese Menschensiedlung anders behandeln würden als die anderen. Wenn dem so war, befand sich Sirany in unmittelbarer Gefahr.

      Seine Sorge übertrug sich auf seinen Wallach, der nach kurzer Zeit übellaunig und schreckhaft war. Unruhig bewegte er sich unter seinem Reiter und kämpfte mit den Zügeln.

      Nach einem weiteren Tag entschloss sich Elendar zu handeln. »In der Abenddämmerung breche ich aus der Armee aus und reite voraus.« Nervös spielte er mit den Zügeln in seinen Händen. »Ich warne die Dorfbewohner und komme so schnell wie möglich wieder zurück. Sie haben dann noch ein paar Stunden, um sich zu verstecken.«

      Efnor sah ihn entsetzt an.

      »Elendar, du kannst dich kaum im Sattel halten. Dein Pony ist erschöpft und einem Gewaltritt nicht gewachsen. Außerdem kommt erschwerend hinzu, dass du gesehen werden könntest. Wenn das passiert, bringen wir alle in Gefahr. Sirany, unseren Trupp und unsere Familien!«

      Natürlich hatte Elendar diese Risiken bereits gegeneinander abgewogen und war zu dem Entschluss gekommen, es dennoch zu wagen. Er sah seinen Freund an und blickte ihm tief in die Augen. »Caina und ich waren die einzigen Überlebenden meiner Familie. Jetzt bin ich der letzte. Mich bindet nichts mehr an die Hände der Shari.«

      Efnor glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Solche Worte jemals aus dem Mund seines Anführers zu hören, hätte er niemals erwartet.

      »Das Versprechen deinem Volk gegenüber bindet dich.«

      »Und ich werde mein Bestes geben, um es einzuhalten.« Elendars Blick wurde flehend, fast verzweifelt. »Versteh mich bitte, wenn ich das Einzige, was mir noch lieb ist, schützen möchte.«

      Es war das erste Mal, dass Elendar seinem Freund gegenüber zugab, etwas für Sirany zu empfinden.

      »Dann musst du tun, was zu tun ist«, sagte der Assar leise. Elendar dankte ihm still und trieb sein Pony unverzüglich so unauffällig wie möglich an den Rand des Menschenheeres. Nur wenige Minuten später fand man ihn nicht mehr zwischen den Assaren. Er hatte still und heimlich seinen Platz verlassen, ohne je gesehen worden zu sein.

      Erst als er sich so weit von den Augen der aufmerksamen Wachen entfernt hatte, dass sie ihn bestimmt nicht mehr erblicken konnten, gab er seinem Pony die Sporen. Das Tier legte seine Ohren widerwillig an und fiel in einen langsamen Galopp. Eine Weile duldete Elendar dieses Tempo, dann erhöhte er es.

      Die Reitertruppen, die Samell Mi zur Brandschatzung der Dörfer vorausschickte, waren schnell. Sie saßen auf ausgeruhten und flinken Pferden, die für lange Distanzen gezüchtet worden waren.

      Die Gebirgspferde der Assaren fanden ihre Stärken eher in ihrer Ausdauer und Wendigkeit als in ihrer Schnelligkeit. Deshalb trieb Elendar den Wallach rücksichtslos an, bis dieser voller Panik über das kurze Grasland stob.

      Keine zwei Stunden später schickte Samell Mi fünfzehn seiner besten Männer los, um sich des Dorfes anzunehmen, das unweit vor ihnen lag. Er kannte es aus einer alten Schlacht und wusste genau, wo es zu finden war.

      Elendar brauchte lange, bis er auch nur in Siranys Nähe kam. Der Tag zog dahin und die Sonne versank hinter dem Horizont, doch der Assar hatte keinen Blick für das wunderschöne Lichtspektakel am Himmel. Sein Wallach schnaufte mittlerweile wie ein verendendes Tier, dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er blieb mit zitternden Flanken stehen.

      Seufzend stieg der Assar ab und führte das Pony in ein nahes Wäldchen, band es dort an einen Baum und ließ es zurück. Der Assar hatte kaum Hoffnung, es später lebend vorzufinden. Wahrscheinlicher war, dass es dort verenden würde.

      Jetzt konnte sich Elendar lediglich auf seine eigene Schnelligkeit verlassen. Er begann einen wilden Wettlauf mit den langen Beinen der heraneilenden Reiterschar. Diese war nur eineinhalb Stunden von ihm entfernt.

      Die Nacht eilte ihm zu Hilfe, denn in der Dunkelheit verlangsamten die Krieger zur Sicherheit ihrer Pferde das Tempo. Elendar hingegen fand sich auch in der Nacht wie eine Katze zurecht.

      Die Angst um Sirany trieb seine Beine zur Höchstleistung an, sein Herz schlug im Rhythmus seines Atems. Er spürte die Nähe der Gefahr und eilte ihr voraus, in der Hoffnung, rechtzeitig anzukommen.

      Dann erreichte er völlig entkräftet das Dorf, stolperte zwischen den ihm so vertrauten Häuserzeilen hindurch und erreichte zitternd vor Schwäche Siranys Heim.

      Kapitel 11

      Sirany wurde davon wach, dass jemand mit unglaublicher Wucht gegen die Tür schlug. Augenblicklich saß sie senkrecht im Bett, sprang auf und jagte die Treppe hinunter.

      Ihr Vater hatte die Tür bereits erreicht. Er hatte einen dicken Ast in der Hand, den er nun drohend hob. Mit der anderen Hand drückte er misstrauisch die Klinke hinunter. Seine Tochter trat neugierig neben ihn, die Muskeln gespannt, jederzeit bereit, ihrem Vater zu Hilfe zu eilen.

      Wen immer sie vor der Tür auch erwartet haben mochte, Elendar war es gewiss nicht gewesen. Er sah aus wie der leibhaftige Teufel, über und über mit Schlamm bespritzt. Sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich hektisch und sein Atem rasselte hörbar in der Lunge.

      Am schlimmsten waren seine Augen, die tief in ihren Höhlen lagen und wie dunkle Schatten ihrer selbst wirkten. Sie erzählten von zu wenig Schlaf und zu viel Anspannung.

      Ehe ihr Vater es überhaupt begreifen konnte, flog Sirany bereits an seiner Seite vorbei und fiel dem erleichterten Elendar um den Hals. Elendar zog sie in seine Arme und hielt sie eine Weile eng umschlungen, während er versuchte, zu Atem zu kommen.

      »Mein Gott, Elendar, was machst du hier?«, fragte Sirany schließlich und löste sich von ihm.

      Er zitterte vor Anstrengung am ganzen Körper und fühlte sich heiß und klamm zugleich.

      »Ihr müsst fliehen, sofort«, keuchte er mühsam.

      Sirany sah ihn mit großen Augen an.

      »Die Shari sind im Anmarsch auf euer Dorf. In spätestens einer Stunde haben sie euch erreicht.« Schweiß rann ihm von der Stirn und er wischte ihn ärgerlich fort. »Weckt die anderen. Ihr müsst euch im Wald verstecken, sonst droht euch der Tod.«

      Sirany brauchte nur Sekunden, um das Gehörte zu verstehen. Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund und blickte ihren Vater ängstlich an. Der reagierte sofort. »Weck du Mutter, ich gehe zu den Nachbarn.« Kurz wandte er sich Elendar zu. »Was können wir für Euch tun?«

      »Nur etwas Wasser bitte.«

      Sirany eilte ins Haus und holte ihre Mutter. Anschließend rannte sie in die Küche und brachte dem völlig erschöpften Elendar einen Becher Wasser. Der Assar hatte sich mittlerweile auf den Boden der Veranda gesetzt und versuchte seine zitternden Muskeln zu beruhigen.

      Das Dorf erwachte in der Zeit zum Leben, in der Elendar das kühle Nass seine Kehle hinunterstürzte. Sirany beobachtete ihn dabei und ließ sich neben ihn auf die Knie herab. Sie sahen einander lange schweigend an.

      Erschrockene Rufe durchdrangen die Nacht. Die Menschen strömten auf die Straße, nur mit wenigen Habseligkeiten beladen. Keiner zweifelte an der Neuigkeit und somit verging nur kurze Zeit, bis die ersten Menschen zum Waldrand eilten.

      Elendar schloss für einen Moment die Augen und horchte in die Dunkelheit. Es dauerte nicht lange, da hatte er gefunden, wonach er suchte. Die Reiterei würde gleich das Dorf erreicht haben.

      Er war zu spät gekommen, denn Sirany saß noch neben ihm. Sie hatte sich nicht