Elendar hob sein Hemd vom Erdboden auf, zog es sich über und nahm schweigend Siranys Hand. Sie sträubte sich leicht, doch er zog sie hinüber zu seiner Stute, legte dem Tier geschickt ein Halfter um und setzte Sirany auf den nackten Pferderücken. Dann schwang er sich hinter der jungen Frau aufs Pony, wendete das Tier und ritt hinein in den Wald.
Er hatte sich niemals so lebendig, so leicht gefühlt. Sirany erfüllte seinen ganzen Körper und ihre Anwesenheit legte sich wie Medizin auf sein Herz. Er spürte ihre Verwirrung und ihren Frust und rechnete es ihr hoch an, dass sie ihn nicht mit Fragen löcherte. Vielleicht spürte sie auch, dass er genau wusste, was er tat.
Ihr Körper zwischen seinen Beinen bereitete ihm Probleme, aber er zwang sich, vernünftig zu bleiben. Chuaya bahnte sich geschickt ihren Weg zwischen den entwurzelten Bäumen und spielte nervös mit den Ohren, als ihr Reiter sie nicht wie gewohnt Richtung Dorf lenkte.
Auch Sirany bemerkte die veränderte Wegstrecke. Unwillkürlich begann ihr Herz zu rasen. Womöglich war doch nicht alles verloren.
Die Stute trottete eine Weile vor sich hin, dann hielt Elendar sie mit einem sanften Zupfen am Zügel an.
»Dort«, sagte Elendar und deutete mit der Hand zwischen den Stämmen zweier Ulmen hindurch.
Sirany erkannte dahinter den still daliegenden Teich, auf dessen Wasser sich nun golden der Glanz des Mondes widerspiegelte. Zwei Enten schliefen darauf, die Köpfchen unter die Flügel gesteckt. Nur ab und zu paddelten sie mit den Füßen.
»Was ist da?«, fragte Sirany verständnislos.
Elendar legte die Zügel auf den Hals der Stute und schlang die Arme um die junge Frau.
»Dort werden wir eines Tages zusammenkommen«, erzählte er ihr mit leiser Stimme und sein Atem kitzelte ihr im Ohr.
Er sprach leise und zärtlich und unwillkürlich stellten sich alle Härchen auf ihrer Haut auf. Er bemerkte es und fuhr ihr mit der Hand über die Arme.
»Wir werden das leise Plätschern des Teiches und das sanfte Rauschen des Waldes als Hochzeitsmusik erklingen hören. Die Grillen bringen uns ein Ständchen und die Libellen fliegen um uns herum, um uns zu beglückwünschen. Im Licht der Sonne werden wir den Regenbogen in ihren Flügeln wiederfinden und die goldenen Bienen werden wie Lichttupfen in der Luft schwirren. Das Ufer wird unser Bett sein und der Sand unsere weiche Unterlage. Vielleicht haben wir auch Glück und ein paar rote Wasserrosen blühen, und eine davon werde ich dir ins Haar stecken. Das Schilf am Rand wird uns vor fremden Blicken schützen. Sein Rascheln wird dich beruhigen, während unsere Herzen im Takt miteinander schlagen und während ich dich liebe, wirst du die Sonne und den strahlend blauen Himmel sehen können und die Wärme legt sich dir auf das Gesicht und den Rest deiner nackten Haut. Du wirst unter mir schmelzen und ich in dir und wir werden zusammen sein. Für immer. Das verspreche ich dir.«
Sirany standen Tränen in den Augen und es fiel ihr nichts ein, was sie hätte sagen können. Sie spürte Elendars Lippen an ihrem Hals und sog seine nächsten Worte wie eine Ertrinkende in sich auf.
»Noch ist diese Zeit nicht gekommen. Ich werde nicht bei dir bleiben können, Sirany. Der König wird uns sicherlich in den nächsten Tagen zu sich rufen. Das spüre ich und mein Gefühl ist untrüglich, was das angeht. Ich werde dich verlassen. Wenn wir uns jetzt lieben, hier und jetzt, ohne darüber nachzudenken, was die Zukunft bringt, wirst du mich hinterher dafür hassen. Ich müsste schon am nächsten Morgen fortgehen und du würdest nicht wissen, wo ich bin, was ich mache oder ob ich dich vergessen habe. Das kann ich dir nicht antun.«
Elendar schluckte hörbar. »Ich muss erst ein freier Mann sein, um dein Geliebter werden zu können, Sirany. Wenn du dann noch ungebunden bist, werden wir das erleben, was wir uns jetzt wünschen.«
»Ich werde auf dich warten«, sagte sie leise.
Kapitel 8
Als Elendar den Botschafter des Königs in sein Lager reiten sah, wusste er, dass sein Leben in diesem Wald vorüber war.
Es war später Abend, die Sonne war gerade hinter den letzten Baumwipfeln verschwunden und das Dämmerlicht war hereingebrochen. Die Geräusche des Tages verschwanden und machten den sanfteren, leiseren Tönen der Nacht Platz.
Mit dem Schwinden des Lichtes verging auch Elendars Freude, während er der zitternden Stimme des Reiters vor ihm lauschte.
»Der König wünscht Euch zu sehen. Sofort«, sagte der Mann.
»Brecht Euer Lager ab und kommt zu ihm so schnell es geht«, sagte der Mann außerdem.
»Eure Mission an diesem Ort ist vorüber«, sagte der Mann zuletzt.
Was er nicht sagte, waren die Worte zwischen den Zeilen. Die Worte, die Elendar zuflüsterten, dass er Sirany verlieren würde.
Der Botschafter verschwand so schnell, wie er konnte. Die Angst vor den Assaren trieb ihn zurück zu seinen Leuten und jede Sekunde, die er bei diesem finsteren Volk verlor, bedeutete für ihn eine Qual.
Nachdem die Hufschläge des davoneilenden Pferdes schon lange verklungen waren, sagte niemand ein Wort.
Die Zukunft der Assaren lag dunkel vor ihnen, entzog sich wieder einmal ihrer Beeinflussung. Was jetzt kommen mochte, konnten sie nicht ändern.
Normalerweise war es Elendar, der nach solch befehlenden Worten eines Fremden die Stimmung wieder aufheiterte. Er sprach Mut und Hoffnung zu, erzählte von einer Zukunft, die nicht mehr fern sein konnte. Von einer Zukunft, in der die Assaren wieder triumphieren würden.
Dieses Mal war Elendar derjenige, der diese Worte am dringendsten benötigte. Es war, als wäre mit einem Mal sein hoffnungsvolleres Leben vorüber. Obwohl er es innerlich bereits erwartet hatte, versank er tief in Zukunftsängsten.
Lange Zeit sagte niemand ein Wort. Die Männer starrten trostlos in das munter knackende Feuer. Die leisen Geräusche des Holzes in den Flammen waren für eine Ewigkeit das einzige Geräusch im ganzen Wald.
Irgendwann stand Elendar schweigend auf und ging hinüber zu seinem Zelt. Mit ruhigen, vielfach geübten Griffen begann er mit dessen Abbau. Seine Männer blickten ihm nach und folgten schließlich seinem Beispiel, während sie verzweifelt auf ein Wort aus dem Mund ihres Anführers warteten.
Elendar blieb selbst in Schweigen gehüllt, als die Assaren längst auf ihren Ponys saßen und den Wald durchquerten. Dumpfe Hufschläge erschütterten den Boden und schreckten die Tiere aus ihrem Schlaf, Leder knarrte in der Stille der Nacht, vermischte sich mit dem Klirren von Stahl und Eisen.
Erst als sie den Waldrand erreicht hatten, zügelte Elendar sein Pony. In der Finsternis konnte man Siranys Heimatdorf erkennen, das schlafend im Mondlicht lag.
Blicklos starrte Elendar hinüber, als suchte er Siranys Gestalt in der Ferne. Sein Herz war so schwer wie seit Jahren nicht. Doch um seiner Männer willen musste er nun stark sein.
»Wartet hier auf mich«, sagte er leise.
Er trieb die Stute hinunter zum Fluss und hielt dabei die Leine eines zweiten Ponys fest in der Hand. Er trug schwer unter einer nur ihm bekannten Angst und seine sonst stolze, Furcht einflößende Gestalt war zusammengefallen wie bei einem Greis.
Efnor blickte seinem Freund besorgt hinterher. Auch er rang mit seiner Trauer. Der Wald, obwohl er ihm anfangs fremd und unheimlich erschienen war, war ihm mittlerweile zur zweiten Heimat geworden. Hier fühlte er sich wohl. Die dunklen Bäume mit ihren bedrohlichen Schatten hatten für ihn Sicherheit bedeutet. Das alles wurde ihm nun wieder entrissen.
»Vielleicht ist es besser, wenn wir weiterziehen«, durchbrach Sheyn schließlich das dumpfe Schweigen. »Je eher er Sirany vergessen kann, desto besser.«
Keiner erwiderte darauf etwas. Sie