Dankbar für ihre Treue klopfte er ihren Hals, bestieg den Rücken seines Zweitpferdes und blickte nur kurz zu Siranys Fenster hinauf.
Er würde ihr nicht Lebewohl sagen. Sein Herz würde daran zerspringen.
Daher zwang er den Wallach in einem engen Bogen herum und trieb ihn in einem harten Galopp zurück zu seinen Männern.
Sirany konnte nicht sagen, was sie geweckt hatte. Aber schon lange bevor Elendar ihr Haus erreicht hatte, saß sie reglos an ihrem Fenster und schaute hinaus in die Dunkelheit.
Ihr war, als hätte sie nicht mehr genug Luft zum Atmen. Das Herz schmerzte ihr mit jedem Schlag, ließ sich nur mühsam zu einem weiteren zwingen.
Als sie einen Reiter vom Felde heranreiten sah, wusste sie sofort, um wen es sich dabei handelte. Wie erstarrt beobachtete sie jede von Elendars Bewegungen, sah, wie er Chuaya an der Veranda festband und auf das andere Pony sprang.
Er sah nur kurz zu ihr hinauf, konnte sie jedoch in der Dunkelheit ihres Zimmers nicht entdecken. Sie hingegen sah auf seinem nur kurz vom Mondlicht beschienenem Gesicht die dunklen Furchen, die ihm der Abschied in die Haut gegraben hatte.
Dass er fortging, war für Sirany offensichtlich. Sie spürte auch seine Angst, ihr von Angesicht zu Angesicht Lebewohl sagen zu müssen. Daher blieb sie, wo sie war, bis er hinter der ersten Häuserzeile verschwunden war.
Erst danach stand sie auf und ging hinunter zu der Stute, die nervös an der Veranda auf sie wartete. Sirany band sie los und führte sie hinüber in den Stall, der fortan ihre neue Heimat sein würde.
Kapitel 9
Der König der Shari war ein mächtiger Mann und das wusste er sehr genau. Er war einer jener Männer, die genau über ihre Schwächen und Stärken Bescheid wussten und sich nicht der Illusion hingaben, unfehlbar zu sein.
Er wusste genau, wo er seine Schwachpunkte finden konnte. Über die Jahre hinweg hatte er es vermocht, einige Schwächen zu seinen Stärken zu formen. Andere versteckte er wohlweislich und arbeitete an ihnen.
Im Prinzip arbeitete er die ganze Zeit, egal was er machte. Ob er nun Schlachtpläne entwickelte, sich mit Frauen vergnügte oder nur still dalag, in dem Versuch, sich zu entspannen – stets arbeitete es wie ein nicht enden wollendes Uhrwerk in seinem Kopf.
Er entwickelte Pläne und verwarf sie wieder, hatte Ideen und setzte diese um, eroberte Länder und vernichtete Völker, immer in dem Glauben, sein Handeln sei richtig.
Der König der Shari hieß Alexej Karamu. Er war erst neunundvierzig Jahre alt, vielfach verheiratet und vielfach verwitwet. Keine seiner Frauen war an Altersschwäche gestorben und auch nie durch seine eigene Hand. War er ihrer überdrüssig geworden, so hatte er elegantere Methoden, um sie loszuwerden.
Drei seiner Frauen hatten ihm Kinder geschenkt. Drei Töchter, doch nur einen Sohn. Mochte sein Herz zu Eis erfroren sein, diesen einen Sohn wagte er tatsächlich zu lieben. Es ihm zu zeigen war allerdings ein zu hohes Risiko und so wuchs der Knabe mit dem stetigen Gedanken auf, seinem Vater ein Groll zu sein.
Von seinen Töchtern wusste Alexej nicht einmal ihre Namen und sie interessierten ihn auch nicht sonderlich.
Es gab wenige Dinge, die dem König Freude bereitete. Die Befriedigung seiner körperlichen Bedürfnisse vermochte es schon lange nicht mehr. Er versuchte es von Zeit zu Zeit, fand daran aber keine wirkliche Begeisterung mehr.
Das Einzige, woran sein Herz wirklich hing, waren Eroberungen. In jungen Jahren hatten sich diese Eroberungen nur auf Frauen bezogen, deren Herzen er nach und nach brach. Mit zunehmenden Alter und der Thronbesteigung hatten sich seine Eroberungen auf ganze Länder ausgedehnt.
Heute war er König über das größte Reich, das jemals in der Geschichte der Welt existiert hatte. Tausende von Hektar Land konnte er sein Eigen nennen, Millionen Menschen seine Untergebenen. Jeder blickte zu ihm auf, was ihm ein berauschendes Gefühl der Macht verlieh. Nur dieses eine Gefühl bereitete ihm wirklich wahre Freude.
Er war ein mächtiger Mann. Nicht unfehlbar, doch nah dran. Ein Mann, der über seine Fehler Bescheid wusste.
Über seine größte Schwäche dachte er jedoch, sie sei eine seiner Stärken.
Alexej Karamu hasste seine Feinde und verachtete sie, wenn er sie besiegt hatte. Es gab nur ein einziges Volk, bei dem es ihm nicht so ergangen war.
Die Assaren hatte er nie wirklich besiegt. Ja, er hatte sie vernichtet und ihre Oberhäupter in die Knie gezwungen, ja, er hatte sie an den Rand der Verzweiflung getrieben – aber er hatte nie wirklich über sie triumphiert.
Er hatte die Assaren vor knapp dreizehn Jahren überlistet. Sie waren betrogen worden von jemandem aus ihren eigenen Reihen, verraten und verkauft. Ohne diese List hätte Alexej den Kampf gegen dieses Volk verloren.
Diese Schmach lastete schwer auf ihm, reizte ihn tief in seinem Herzen und verleitete ihn dazu, dieses Volk zu schinden, wie es ihm beliebte.
Das war seine größte Schwäche, eine Schwäche, die er nie erkannte.
Vor vielen Jahren hatte Alexej das Land der Assaren überfallen. Es war nur ein kleines Volk und der König erwartete keine größere Auseinandersetzung.
Er hatte jedoch nicht mit der ungeheuren Willensstärke gerechnet, die den Assaren eigen war. Sie kämpften um ihre Freiheit mit einer Wut in ihren Herzen, die den Shari auf ihren langen Eroberungsfeldzügen nie begegnet war.
Mit ihren wilden Haaren und den grimmigen, meist bemalten Gesichtern erinnerten sie eher an Barbaren, die man mit Strategie und Kriegslist schnell in die Knie zwingen konnte. Der Schein trog.
Auf ihrem eigenen Land hatten die Assaren einen Vorteil, den sie gnadenlos gegen ihre Gegner ausspielten.
Sie begannen ein Katz-und-Maus-Spiel, traten im Dunkeln auf wie Geister und verschwanden wieder in ihren Hochebenen. Zurück ließen sie ein Blutbad ohne Vergleich.
Das träge Heer der Shari, geschult im Kampf auf offenem Feld, hatte den wenigen Assaren kaum etwas entgegenzusetzen. Suchtrupps, die man in die Berge geschickt hatte, um das fremde Volk hervorzutreiben, kehrten nie wieder zurück und wenn, dann niemals lebendig.
Alexej wusste, dass jeder Gegner eine Schwäche hatte. Es galt nun, die der Assaren herauszufinden. Das stellte sich bei einem Gegner, den man selten zu Gesicht bekam, als sehr schwierig heraus.
Bald entdeckte der kluge König ihre engen Familienbande. Frau und Kind standen für jeden Krieger der Assaren über alles.
Diese Schwäche ausnutzend, hatte er es geschafft, die Assaren kurz vor seiner eigenen Niederlage zu schlagen. Man hatte ihm verraten, wo die Männer ihre Frauen und Kinder zurückgelassen hatten. Das Blatt wendete sich zu seinen Gunsten, doch er selbst hatte an jenem Tag eine schwere persönliche Niederlage erlitten. Wohl die schwerste in seinem bisherigen Leben.
Um die Kampfmoral der assarischen Männer zu senken, hatte er befohlen, das Dorf zu überfallen und die meisten Frauen zu töten. Die Kinder sollten verschleppt und als Geiseln genommen werden.
Alexej hatte damals den Kampfgeist eines kleinen Jungen unterschätzt, der sich mit dem Mut der Verzweiflung wehrte, um seine Mutter und seine zwei Schwestern zu retten. Drei seiner Soldaten hatten durch ihn ihr Leben ausgehaucht, der König selbst wurde schwer verletzt.
Es war eine Schande, aber er hatte es überlebt – und er war vorsichtiger geworden.
Besiegte