Der Anstetterbauer wandte sich an seinen Ältesten.
»Ich glaub’, wir müssen.«
Tobias nickte und trank seinen Kaffee aus, bevor er dem Vater nach draußen folgte. Markus sah seine Mutter an.
»Und was hast du vor?«
Erika Anstetter blickte auf die Uhr.
»Ich hab’ um halb neun einen Termin beim Dr. Wiesinger.«
Ihr Jüngster sah sie erschrocken an.
»Du bist doch net etwa krank?«
»Nein, nein«, beruhigte sie ihn. »Es ist nur so, zur Kontrolle.«
»Soll ich dich fahren?«
»Net nötig«, schüttelte sie den Kopf. »Bleib’ nur und leiste der Vroni ein bissel Gesellschaft.«
Kurze Zeit später waren sie alleine im Haus.
Markus hatte es sich auf der Eckbank in der Küche bequem gemacht und blätterte in der Morgenzeitung. Vor ihm stand seine Kaffeetasse mit dem Rest aus der Maschine. Vroni hatte den Tisch abgeräumt und machte den Abwasch.
»Was gibt’s denn zum Mittag?« fragte Markus.
»Ich hab’ gedacht, nach der Schlemmerei gestern abend, reicht uns eine Suppe. Außerdem ist noch von dem kalten Braten übriggeblieben. Ich mach’ ein paar Bratkartoffeln und Remouladensoße dazu.«
»Lecker«, nickte er. »Weißt, drüben haben wir eine Kantine auf der Baustelle eingerichtet. Das Essen war wirklich gut, aber der Koch versteht sich nur auf südamerikanische Gerichte. So richtige Schmankerl, wie hier zu Haus’, vermiß’ ich dort schon.«
Vroni trocknete das Besteck ab und legte es in die Schublade zurück.
Und mich? Hast’ mich auch vermißt?
Diese Frage stellte sie allerdings nur in Gedanken. Sie auszusprechen, wagte sie nicht.
»Am Samstag ist wieder Tanz im Löwen«, sagte sie statt dessen. »Gehst’ mit hin?«
Markus faltete die Zeitung zusammen.
»Freilich«, antwortete er. »Ich hab’ schon lang net mehr das Tanzbein geschwungen.«
Er stand auf und kam herüber. Als wolle er mit ihr tanzen, stellte er sich hinter sie, legte seine Hände auf ihre Schulter und wiegte sich im Takt einer Walzermelodie, die er summte.
Vroni fühlte wie das Blut in ihrem Kopf rauschte, sie zitterte unwillkürlich und hoffte, daß er nichts davon merkte.
»Ach laß doch«, sagte sie und griff zu einem Spankorb, der auf dem Schrank neben ihr stand. »Hol’ lieber ein paar Äpfel, sonst wird’s nix mit dem Kuchen.«
»Zu Befehl«, antwortete Markus und ging hinaus.
Vroni atmete tief durch, der Duft seines Resierwassers stach ihr in die Nase. Noch immer spürte sie den Griff seiner Hände auf ihrer Schulter. Es war ein unbeschreibliches Gefühl gewesen, als er so dicht hinter ihr stand. Und dennoch war ihr, als habe sie etwas Verbotenes getan. Schließlich stand Tobias’ Antrag im Raum. Ganz bewußt hatte sie Markus’ Ankunft abgewartet, bevor sie sich entscheiden wollte. Und wenn sie Für und Wider abwägen wollte, dann neigte sich die Schale immer noch zugunsten Markus’.
Der Ingenieur kam und brachte die Äpfel herein. Vroni schälte sie schnell und träufelte ein paar Spritzer Zitrone darauf, damit sie sich nicht verfärbten. Den Mürbeteig hatte sie schon vor dem Frühstück zubereitet und im Kühlschrank ruhen lassen. Jetzt holte sie ihn heraus und rollte ihn aus.
»Kann ich dir helfen?« fragte Markus
»Wenn du magst’, dann kannst’ die Form ausfetten«, antwortete das Madel und deutete auf Kuchenform und Margarinetopf.
Anschließend schichtete sie die Apfelspalten auf den Kuchenboden und streute Mandeln und Rosinen darüber. Den Rest des Teiges schnitt sie in Streifen und legte damit ein kunstvolles Gittermuster obenauf. Dann wurde alles mit Eigelb bepinselt und ins Rohr geschoben.
»Sag’ mal, hast’ eigentlich nie daran gedacht, eine and’re Stelle anzunehmen?« fragte Markus plötzlich. »Ich mein’, es gibt doch bestimmt leichtere Arbeit für jemanden mit deiner Qualifikation.«
Vroni setzte sich zu ihm an den Tisch. Sie stützte den Kopf in ihre Hände und zuckte die Schulter.
»Daran gedacht hab’ ich schon«, gab sie zu. »Aber weg hab’ ich nie wollen. Hier ist doch meine Heimat, mein Zuhaus’. Außerdem glaub’ ich, daß deine Eltern mich brauchen, und indem ich bleib’, kann ich ein bissel was von dem zurückzahlen, was sie mir gegeben haben.«
Markus sah sie lange und schweigend an. Und der Blick, mit dem er sie betrachtete, ließ sie erröten.
»Weißt’ eigentlich, daß du eine tolle Frau bist?« fragte er.
Diese Frage ließ das Rot in ihrem Gesicht noch dunkler werden.
»Gibt’s denn jemanden, außer mir, dem das noch aufgefallen ist? Hast’ keinen Verehrer? Ich mein’, die Burschen müßten sich doch eigentlich um dich reißen.«
Vroni senkte verlegen ihren Blick.
Was sollte sie ihm darauf antworten? Daß es für sie nur einen gab? Nur ihn?
»Na ja…«, antwortete sie ausweichend und zuckte die Schulter. »Einen vielleicht, aber…«
Markus sah sie forschend an. Eine stille Ahnung stieg in ihm auf. Himmel, dachte er, kann’s etwa sein, daß sie mich meint?
Draußen fuhr der Traktor auf den Hof. Wenig später kam Wolfgang Anstetter herein und unterbrach die traute Zweisamkeit. Vroni stand auf und sah nach dem Apfelkuchen. Ihr schwirrte der Kopf und es wollte ihr gar nicht so recht gelingen, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Erst als Markus mit seinem Vater hinausging, wurde sie wieder ruhiger.
*
Zwei Tage später fuhr Pfarrer Trenker auf den Hof. Es war so früh, daß selbst die Bauersfamilie noch im tiefen Schlaf lag.
Allerdings nicht alle. Ein Licht im Küchenfenster zeigte an, daß doch schon jemand aufgestanden war. Sebastian hatte gerade seinen Wagen gewendet, als die Haustür geöffnet wurde, und Markus heraustrat. Wie der frühe Besucher trug auch er Wanderkleidung. Die beiden Männer begrüßten sich.
»Prima, daß es so schnell geklappt hat«, sagte der Bauingenieur.
Noch am Abend seiner Ankunft hatten er und der Geistliche sich zu einer Bergtour verabredet. Schon früher, Markus und Tobias gingen noch in die Schule, hatten sie Sebastian begleitet, und später, als Markus in München lebte und studierte, da waren es immer die Semesterferien gewesen, auf die er sich freute, denn mindestens einmal trieb es ihn hinauf in die Berge.
Wie Pfarrer Trenker es ihm gesagt hatte, nahm Markus keinen Proviant mit.
»Meine gute Frau Tappert gibt mir immer reichlich mit, das ist genug für zwei.«
Tatsächlich sorgte sich die Haushälterin des Geistlichen nicht nur um dessen körperliches Wohl. Ihre größte Angst war, Hochwürden könne auf einer seiner geliebten Touren verunglücken. Abstürzen oder gar Schlimmeres. Dann sollte er wenigstens genug zu essen dabei haben.
Sie fuhren zum Ausgangspunkt ihrer Wanderung, einem Parkplatz unterhalb des Koglers. Sebastian hatte diesmal zwei Rucksäcke dabei. Den mit dem Proviant schnallte sich Markus um, den anderen, mit Nofallapotheke, Haken, Eisen und anderen unentbehrlichen Dingen, trug der Bergpfarrer.
»Auf geht’s«, nickte er seinem Begleiter zu.
Noch war der Aufstieg leicht, es war eher ein Wandern, als wirkliches Bergsteigen. Die Schwierigkeiten würden erst in einigen hundert Metern Höhe beginnen.
»Herrlich«, rief Markus begeistert,