Traumprotokolle. Christof Wackernagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christof Wackernagel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783866747821
Скачать книгу
tun haben wollen, völlig bescheuerter Schwachsinn, bei dem ich zufälligerweise anwesend war und den ich gesehen habe, über den ich mich aber kopfschüttelnd auf dem Boden an ein Haus gelehnt aufrege, und Gert beugt sich über mich und flüstert mir ganz im Vertrauen zu, dass ich zu den Bullen gehen soll und erzählen, was ich gesehen habe, das habe nichts mit Verrat zu tun, aber ich solle es trotzdem diskret tun, was ich okay finde, aber bin der Meinung, dass er dann auch mitgehen soll, zumal wir dann sehen werden, wen wir wohl treffen, wenn wir aufs Polizeirevier kommen, Herman van Hoogen ja wohl nicht, der ist ja längst pensioniert – ich überlege kurz, ihn anzurufen, finde es aber dann blöd, sozusagen indirekt die alten Kisten aufleben zu lassen; außerdem kennt er ja auch keinen mehr dort –, denn ich weiß ja gar nicht, an wen ich mich wenden soll, wen ich dort nach wem fragen soll, und auf dem Weg zu den Bullen schauen wir uns erstmal noch ein bisschen die Amsterdamer Altstadt an, die wirklich wunderschön ist, ich bin nackt beziehungsweise habe nur ein blaues Air-Maroc-Tuch, das ich mir notdürftig um die Hüften binde, vor allem, damit man meinen Arsch nicht sieht, wir hängen uns an eine Touristengruppe dran und gehen durch enge Altstadtstraßen, finden es immer wieder wirklich unglaublich schön, hat man früher viel zu wenig drauf geachtet, wissen aber gar nicht, wo das Polizeirevier ist, da sehe ich auf dem Boden einen kleinen, etwa Gecko-großen Bullen, der aussieht wie ein Pelztier, eine Stoffpuppe, braunrotgrün, richtig mit Uniform und Polizeimütze, der zuckend auf dem Boden hin und her wuselt und kichert, total aufgeregt da hin und her wuselt, und nachdem wir gefragt haben, wo es zum Polizeirevier geht, wuselt er noch verrückter auf dem Boden hin und her zuckend rum und weist in die Richtung, in die es geht {wie Johnson, obwohl tot, auftauchte}, wir zeigen fragend um Bestätigung bittend in dieselbe Richtung und er nickt und nickt und wir gehen dann aber auch mit einem Gruseln da hin, wo ich zu der Schwachsinnsaktion befragt, teilweise verhört, letztlich aber nur um meine Meinung gebeten werde, woraufhin ich das Protokoll sehe, die Namen der Bullen, wobei einer so ähnlich wie Terstappen aussieht und ich mich frage, ob das nicht einer war, der auch bei unserer Verhaftung dabei war, aber wenn man überlegt, wie alt wir jetzt sind, müssten die ja, da sie älter sind als wir, längst in Pension sein, und dann kommt irgendwie eine Meldung, dass Kuchen auf dem Konto ist, ein unheimlich guter Kuchen, aber es ist kompliziert, den abzuheben, erfordert ein ganz umständliches Verfahren, und die Meldung erscheint zweispaltig in der Luft, etwa in Augenhöhe oder etwas höher, schräggestellt, teilweise mit einem Rollo drüber, rechts zu mehr als der Hälfte, links nur oben ein wenig • ich stehe auf meiner Veranda und trau meinen Augen nicht: die Hälfte der Mauer zu den Nachbarn ist weg, einfach weg, sieht erst so aus, als sei sie durchsichtig geworden, oder ich frage mich, ob sie das geworden ist, aber sie ist weg, abgebaut und ich rufe Madu, der hochkommt, das sieht, auf das Dach der Nachbarn rübergeht und sich die Bescherung kopfschüttelnd ansieht, wir uns einig sind, dass man daran wieder mal sehen kann, was für blöde Nachbarn wir haben, die haben einfach diese Mauer weggemacht und wir haben es gar nicht gemerkt, da stellen wir fest, dass die auch an unserer zu ihnen reichenden Außenmauer rumgebaut haben, irgendeinen Anbau, unverputzte Mauern mit Gerüsten davor mit unserem Haus verbunden stehen jetzt da, und in diesem Moment kommt auch der Maurer, zynisch grinsend und ohne uns zu grüßen, und macht sich an die Arbeit, steigt auf eine Plattform und fummelt an den unverputzten Steinen rum, da klettert Madu auf unserer Seite bis auf seine Höhe und spritzt ihn mit Wasser an, was ihm aber nichts ausmacht, weswegen ich denke, dass ich vielleicht eine ganze Schüssel Wasser auf ihn gießen sollte und in diesem Moment eine ziemlich fette Ratte außen seitlich an der unverputzten Mauer entlangklettern sehe und denke: »jetzt haben wir schon Ratten wegen diesen Scheißleuten da, das hat’s ja noch nie gegeben!« • bin bei Gabriele Heidecker und Marosch, er kommt gerade von der Arbeit zurück, breitet die Arme aus und umarmt mich hocherfreut, aber dann gehe ich mit Gabriele nochmal raus in eine sandige, fast Wüsten-artige Landschaft, eine Runde spazieren, während Marosch das Essen fertig macht, und sie erzählt von einer Performance, die sie in Israel gemacht hat und die ein riesen Erfolg war; es war eine Vorstellung von mehreren Künstlern, aber als sie dran kam, ihre Szene, sie und ihre Kollegen mit derart voller Brust gesungen haben – wozu sie sich auf dieselbe klopft und mich anlacht –, dass ihnen fast die Lungen geplatzt sind, weshalb ich ihr auch lachend auf die Schulter klopfe, was sie aber zum Anlass nimmt, sich umzudrehen und zum Haus zurückzugehen, und ich frage mich, ob sie das vielleicht falsch verstanden hat, etwa als Annäherungsversuch, aber das ist dann weiter kein Thema, denn als ich auch wieder diese Souterrainwohnung betrete, kommt Marosch gerade die Treppe runter, mit einem großen Topf in der Hand, den er auf den Tisch stellt, und dann reden wir über Religionen, wozu ich sage, dass wir – wobei unklar bleibt, ob damit Fantasia oder die RAF gemeint ist – die einzig multiplesklerose Religionsgruppe gewesen seien, was aber ein Versprecher ist, denn es sollte irgendwas mit »multi«, also alle Religionen mit einschließend, heißen; ich guck aber nochmal im Lexikon nach, um das Wort zu finden, das ich suche, da begegnet mir aber das Wort beziehungsweise der Name »Erika«, was ja auch eher an Krankheit, an Alzheimer erinnert und erst recht nicht gemeint war –

      – es ist ein Kindergeburtstag, bei dem Ebby Musik macht, und plötzlich sind aufgeregte Rufe zu hören: »die Ablassvögel, die Ablassvögel«, die über uns fliegen, die man aber nicht sehen kann, dafür in einer Zeitung deren Blick vom Himmel: ganze Kontinente sind zu sehen, so hoch fliegen die, die halbe Welt, ich komm aus dem Staunen nicht mehr raus, und Ebby grüßt sie verschmitzt nach oben sehend –

      – wenn man die Blaupausen unseres Hauses in Razel nimmt und dreht, zumindest den Grundriss, kann man das für das Haus auf dem Dorf nehmen beziehungsweise zumindest schon mal transportieren nach dort; das kann man irgendwie machen, also rein technisch gesehen, dann so bauen auf diese Weise in dem Sinne, dass der Grundriss durch den Transfer dann schon gebaut ist, aber irgendwie geht es nicht, es lässt sich dort nicht machen oder dauernd ist jemand dagegen oder es ist verboten oder wird verhindert – die Kopie, der Scan oder die Blaupause ist sozusagen schon im Zwischenspeicher für »copy and paste« als materielle Realisierung, aber ich werde sie irgendwie nicht los, weswegen ich dieses Fundament dadurch einfach anfange, dass ich die Felsbrocken dorthin werfe, und man hört ganz laut das »Klack, Klack« des Auftreffens, wodurch das zwar dann schon mal da ist, das Problem grundsätzlich aber nicht gelöst, weswegen ich mit einem Mediator darüber rede, aber der schüttelt den Kopf und sagt: »das lässt sich nicht transferieren nach Cääle«, aber ich muss, wie beim Drucker auch, die Datei erst ausmachen und dann kann ich sie transferieren, um damit das Fundament zu bauen • ein Stück, das in Europa spielt und in Wittelpoa, aber vorher muss ich bei einer Strindberg-Inszenierung einspringen, wir haben eine schöne Probe mit den Kollegen, ziemlich viele Schauspieler, ein ziemlich unübersichtliches Bühnenbild mit vielen, zum Teil schrägen Ebenen und einem Abgrund vor dem Orchestergraben; wir müssen improvisieren und spielen uns die Bälle zu, was wunderbar klappt, es fluppt wie geschmiert und eine Stelle besteht darin, dass ich ein Buch aus einem Versteck hole und daraus vorlese, was natürlich das allereinfachste ist und Spaß macht, also alles überhaupt kein Problem; es ist eine sehr moderne Inszenierung, in der viel durcheinander geredet wird und gemacht und getan, aber sehr natürlich, spannend und witzig, bin erstaunt, dass es so gutes Theater überhaupt gibt, aber bei der eigentlichen Vorstellung ist dann wieder alles völlig anders, aber eben in diesem Stil; es ist eine Art Werkraumtheater mit nicht allzuviel Publikum, eine Außenstelle der Kammerspiele in München, jeder macht, was er will, es entsteht praktisch ein neues Stück ganz nebenbei, was aber den Eindruck einer wohldurchdachten einstudierten Angelegenheit macht, es läuft wirklich ausgezeichnet mit den Kollegen, wir geben uns wie geschmiert die Stichworte, spielen uns gegenseitig die Bälle zu, die Regelung der Grundorganisation ist perfekt und ich bekomme deutliche Hinweise, dass die Stelle mit dem Buch, aus dem ich vorlese, auf jeden Fall mit eingebracht werden soll, das also wie geplant stattfinden soll, und ich gehe dann, wie vereinbart, von der Bühne runter zu dem Versteck des Buches, das irgendwo in einer Seitenwand des Zuschauerraums ist, wobei ich bemerke, dass so viele Leute auch wiederum nicht da sind, sehe viele leere Plätze, schnappe mir das Buch, das in einem Pfosten, einer Tragesäule drin steckt, und versuche dann zurück auf die Bühne zu kommen, aber es ist ziemlich dunkel alles, man sieht fast nichts mehr und dieser Abgrund vor dem Orchestergraben ist glitschig und rutschig und es gibt keine Möglichkeit, zu einem Aufgang auf die Bühne zu sehen, und ich frage mich, was das überhaupt noch mit Strindberg zu tun hat, wie das noch gerechtfertigt werden sollte als Strindberg-Inszenierung, auch wenn ich es genial inszeniert finde,