Traumprotokolle. Christof Wackernagel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christof Wackernagel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783866747821
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mich in meinem Verdacht bestätigt, dass der Niger nämlich in Wirklichkeit nur ein schwächliches Bächlein ist, gehe näher ran und frage mich, ob der ziemlich große und lange Kahn, der direkt vor mir vorbeizischt, vielleicht sogar Räder hat, weil dieses Rinnsal doch keine Tiefe hat, weswegen ich dann auch drüber gehe und feststelle, dass dabei kaum meine Füße nass werden, aber an den glitschigen Felsen auf der anderen Seite komm ich nicht hoch, bin erst etwas ratlos, nicht gerade panisch, aber doch unruhig, wie ich aus dieser Situation wieder rauskommen soll, da sehe ich weiter unten eine breite Vortreppe aus Beton mit den üblichen betonierten runden, kegelförmigen Pföstchen, letztlich ein Touristenteil mit Treppen, die durch die Felsen gebrochen bis runter ans Flussbett reichen, also wenn er voll wäre, halb unter Wasser wäre, und gehe da hin, um rauszukommen, kann dort auch tatsächlich hochgehen, aber dann sind da erstmal spielende Kinder, weiße, die mit schwarzen spielen, und deren Eltern, wirklich Touristen, weshalb ich möglichst schnell vorbeigehe, aber kurz darauf einen Mann mit Kinderwagen sehe, der mit seinem Kinderwagen stehen bleibt, woraufhin das Kind »Towabu13!« sagt und ich wieder einmal hingehe und dem Kind das Problem erkläre, das dazu nichts sagt, aber der Vater stimmt zu, sagt, dass ich recht habe, umarmt mich und küsst mich auf die Stirn und sagt fast mit Tränen in den Augen: »du bist ein lieber Towabu!« und geht mit seinem Kind im Kinderwagen und dann bin ich mit meinem Bett unterwegs und will einkaufen, schiebe es an der Moskitonetzstange vor mir her, was teilweise mit der schlecht gepflasterten Straße nur schlecht geht, frage mich auch, wieso ich das überhaupt mitnehme, weil ich doch gar nicht übernachten will, aber jetzt ist es schon mal dabei und schiebe es im Hintereingang von dem Supermarkt oder fast schon Einkaufszentrum rein und finde sogar eine Stelle, an der ich es abstellen kann, wobei es viel kleiner ist oder wirkt, als man denkt, und ich denke: »wird schon nicht geklaut«, gehe dann rein in den Supermarkt, der von Johannes, nur viel größer, sein könnte, suche eigentlich nur eine Flasche Öl, sehe zwei Damen, die auch etwas suchen, gleichzeitig aber ihr Geld zählen und sortieren, da kommt ein Inder, ein essender Inder, und spricht essend und im Vorbeigehen die beiden Damen an, sie sollten sich doch setzen und neben ihn setzen, und setzt sich am Beginn einer abwärts gehenden Ebene hin, so wie am Flughafen, wo man zum Bus, der einen zum Flugzeug bringt, runtergehen kann, isst weiter und fordert die Damen weiter auf, bis die dann ziemlich böse sagen, sie wollten nicht mit ihm reden, und ich wieder rausgehe und an einer Straße vorbeikomme, in der Geschäfte sind, deren Besitzer ich alle kenne, wo ich aber lange, lange nicht mehr war, auf die ich aber keinen Bock habe, die ich nicht grüßen will, weshalb ich in einer Art Trab zu rennen beginne, wobei ich weder rechts noch links schaue, damit ich nicht grüßen muss, wundere mich auch über diese – in Afrika gebaute! – gepflasterte Straße mit Gehsteig, und dieses trabende Laufen geht ganz einfach, so federnd, ohne jegliche Anstrengung, und eine junge Frau, die aus der Nebenstraße kommt, guckt mich an und nickt bewundernd, dass ich so toll rennen kann, sehe auch die Leute, die ich kenne, vor ihrem Antiquitätengeschäft sitzen, grüße aber nicht, renne, weiter, trabe fast wie fliegend, bis ich mir am Straßenrand mit Felix ein Buch über Cuba und die Revolution von Fidel Castro ansehe, in dem zwei Fotos von Mali sind, vor und nach der Entkolonialisierung, also vor und nach etwa neunzehnhundertfünfundsechzig, man sieht die Teile, die noch gleich sind, an der Ansicht eines Wirtshauses, das wie aus Baden-Baden aussieht, und da ist vorne links von unten über zwei Stockwerke gehend ein Mann draufgemalt, ein bisschen wie eine Sitzwegfigur, hager mit Hut, Schneider-von-Ulm-artig, während weiter oben eher Schwarzwaldfenster eingebaut sind und der Dachfirst mit Blumen bekränzt ist, wobei die ganze Fassade vor der Revolution dunkler aussieht, nach der Revolution heller, und Felix sagt: »das kann gar nicht Gadhafi sein, den gab’s damals − neunzehnhundertfünfundsechzig − noch nicht« und der Mann an der Wirtshauswand sieht tatsächlich wie Gadhafi aus, aber ist es bei genauem Hinsehen eben doch nicht –

      – die Helfergruppe projiziert Schriften auf mein Moskitonetz: »gib nicht auf!« und »es dauert nicht mehr lange!«; es sind kleine, grauweiße Kästchen, innerhalb derer gestochen scharf und serifenlos die Schrift zu sehen ist • ich rufe Claudia an und sie hebt zu meiner großen Überraschung sofort ab, ist auch zunächst gar nicht ablehnend, erwidert ganz normal meinen Gruß, sucht aber dann nach einer Ausrede, setzt an, leise und gehetzt zu sprechen, als wäre sie in einer Besprechung, wovon ich aber weiß, dass es ein Vorwand ist und weshalb ich sie gar nicht ausreden lasse, sondern nur sage: »ich komme heut Abend im Fernsehen, schau’s dir an!« und auflege, woraufhin ich ins Wohnzimmer der Babls sehen kann, wie sie mit Sigi Programmzeitschriften durchstöbert, um rauszubekommen, wo ich denn mitspiele, sie gucken und vergleichen, sagen: »nee, da kann das nicht sein!«; es wundert mich, dass Sigi da mitmacht, das auch wissen will, womöglich ansehen, aber er lästert natürlich über mich, glaubt nicht, dass ich im Fernsehen komme, und ich habe einen Eindruck von deren normalem Eheleben, merke, dass da nichts zu machen ist, finde es schockierend, diese Eingefahrenheit –

      – eine Konferenz oder Tagung − es hätten auch Dreharbeiten sein können oder es wurde dort gefilmt, eine Dokumentation − ist zu Ende, man geht nach Hause und hat schon nichts mehr miteinander zu tun, der Tagungsleiter verabschiedet sich flüchtig von mir, steht im Gang etwas erhöht und hat sichtbar schon ganz andere Dinge im Kopf, wendet sich dann auch sofort ab und ich muss erst noch ins Hotel, um die geliehenen Sachen zurückzubringen, bevor ich zum Bahnhof kann, was knapp wird und irgendwie doppelt blöd ist, weil ich mit der Straßenbahn sozusagen am Bahnhof schon vorbeikomme zu einem Zeitpunkt, an dem ich den Zug noch erwischen würde, zum Hotel ist es aber noch ziemlich weit, und bis ich von da zurück bin, ist der Zug weg {Abfahrtszeit zehn Uhr vierzig} und der nächste fährt erst nachmittags und die Vorstellung, so lange am Bahnhof rumzuhängen, nervt ziemlich, und in diesem Moment fährt die Straßenbahn sogar fast direkt am Hauptbahnhof vorbei, der dem Stuttgarter Bahnhof ähnlich ist und ich steige aus, weil die so einen großen Umweg zum Hotel fährt – ich sehe die Karte mit dem Verlauf vor mir –, dass es schneller geht, wenn ich zu Fuß hingehe, wobei mich eine Frau begleitet, die sagt, man müsse eine Treppe an einem altertümlichen Bauwerk – eine Art Industrieruine aus dem vorletzten Jahrhundert – hoch und dahinter dann durch verschiedenen kleinen Straßen zum Hotel, aber ich schüttle den Kopf und zeige nach rechts, wo man sogar das Hotel sehen kann, etwas erhöht stehend, das Erdgeschoss gelb angemalt, ein typischer fantasieloser Fünfziger-Jahre-Bau, und die junge Frau gibt mir recht, wir kommen ins Gespräch und sie begleitet mich sogar zum Hotel, weswegen ich sie kurz davor frage, ob sie mit hoch in mein Zimmer will, was sie nicht beantwortet, sondern fragt, ob ich möbliert wohne, was ich lachend bejahe, weil doch schließlich alle Hotels möbliert sind, wie solle das denn anders gehen?, aber dann kommen wir auch schon in die Rezeption, wo gerade andere Gäste auschecken und ihre Koffer raustragen, und ich gebe die drei großen, unterteilten Plastikbehälter zurück, in denen auch Essen war, worüber die Hotelfrau sehr befriedigt und erleichtert ist, ich betone auch noch mal, dass ich alles gegessen habe, was sie für mich zur Verfügung gestellt hat, aber die Behälter stehen den Leuten im Weg, die auschecken wollen, weswegen sie sich beschweren, aber ich finde meinen Schlüssel nicht und muss deswegen diese drei Plastikbehälter nochmal durchsuchen, wo er dann zum Glück sich findet, und oben im Zimmer ist ein Gerät, ein rechteckiges längliches Ding, mit dem man Jahrzehnte abrufen kann, an sich vorbeiziehen lassen, wobei die Sechziger und die Siebziger – the sixties and the seventies – zusammen in einer »Datei« sind, die Achtziger und die Neunziger in jeweils einer eigenen, was aber auch in Bezug auf dieses Hotel dargestellt wird • eine Krokodilsammlung auf dem Tisch, alle aus Gusseisen, nicht besonders groß, ganz eng auf dem erhöhten kleinen Tisch stehend, es vollständig belegend, mit gebogenen Hälsen, wie zur Seite sehend, meist mit offenen Mäulern und zum Teil oxidiert • ich soll mein Motorad auf die Seite stellen, weil da andere schnell vorbei wollen – es gibt zwei Spuren für Motos, damit das auch so geregelt werden kann –, die möglichst schnell sein müssen, um sich zu teilen, erst ab einer bestimmten Geschwindigkeit sich teilen, und ich sage: »das kann doch nicht sein, das muss doch viel länger vorher angekündigt sein, da sist doch nur ganz selten!«, aber der andere sagt: »nee, das ist ganz oft!«; das Ganze spielt sich in der Nähe des neuen Hauses von Vieu Sakone ab, dem Verkäufer des Hauses in Razel, und von da, also von ihm, kommen die alle, er hat da seine Finger mit drin –

      – Tene sieht mich erwartungsvoll an und will wissen, was sie machen soll, das muss sie aber selbst wissen • ich sortiere gerade Fotos, sieben verschiedene, größere Ordner, die ich