„Das tut mir leid.“
Sophie zuckte mit den Schultern. „Warum? Es ist doch nicht Ihre Schuld.“ Sie deutete mit dem Kopf zu Simon Struck hinüber. „Auch für ihn ist es ein harter Schlag. Er ist jetzt ebenfalls arbeitslos. Schließlich war er komplett auf seinen Doppelgänger eingestellt. Obwohl ...“
„Ja?“, fragte Katharina.
„Eine Möglichkeit gäbe es vielleicht doch, um das Projekt zu retten.“
„Welche?“, fragte die Detektivin, obwohl sie genau wusste, worauf Sophie hinauswollte.
„Ich kenne Simon schon einige Zeit“, sagte sie. „Und ich bin davon überzeugt, dass er den Film zu Ende drehen kann, ohne dass das Publikum den Schwindel bemerkt. Ich habe schon viele Stunden mit ihm zusammengearbeitet und kann ganz gut beurteilen, dass mehr in ihm steckt, als er bisher zeigen konnte.“
Sieh mal an, dachte Katharina. Der schlaue Kerl hat sich an die Hauptdarstellerin herangemacht, um seine Ziele zu erreichen. Und Sophie? Hatte sie sich in den Stuntman verliebt? Joswig hatte ihm jedes schauspielerische Talent abgesprochen. Und er musste es schließlich wissen.
Katharina sah Sophies forschenden Blick. „Ich bin weder die Regisseurin, noch die Produzentin des Films“, sagte sie ausweichend. „Ich kann so etwas nicht entscheiden.“
„Das verlangt ja auch keiner von Ihnen“, erklärte die junge Frau. „Aber Sie könnten Joswig davon überzeugen, dass es einen Versuch wert ist. Und für uns wäre es eine Chance, im Geschäft zu bleiben.“
„Ich werde mal sehen, was er von der Sache hält“, meinte Katharina.
„Aber sagen Sie ihm nicht, dass ich den Vorschlag gemacht habe.“
Katharina nickte und ging zu dem Produzenten hinüber, der immer noch in sein Glas starrte.
„Ich überlege gerade, vor welchen Zug ich mich werfen soll“, sagte Joswig, als er Katharina neben sich bemerkte.
„Am besten, vor gar keinen. Mir liegt viel daran, dass die Versicherung keine weiteren Verluste erleidet. Weshalb drehen Sie die fehlenden Szenen nicht mit Simon Struck zu Ende? Dann wäre allen geholfen.“
Joswig verzog das Gesicht.
„Simon ist ein ausgezeichneter Stuntman, aber ihm fehlen die schauspielerischen Fähigkeiten, die Jannick hatte. Wenn ich ihn die Rolle zu Ende spielen ließe, würde das Publikum die Umbesetzung merken, und der Film wäre ein Flop.“
„Oder auch nicht“, entgegnete Katharina. „Sie kennen das Publikum vermutlich besser als ich, aber der Mord an Jannick Wolfe wird mit Sicherheit einen großen Wirbel verursachen. Deshalb glaube ich, dass jeder den letzten Film mit ihm und seinem Nachfolger sehen will.“
Der Produzent blickte Katharina eine Weile schweigend an. „Klingt gar nicht so dumm, was Sie da sagen“, gab er schließlich zu. „Ich werde mich wohl doch nicht vor einen Zug werfen, sondern erst einmal mit dem Regisseur reden.“
Er rutschte vom Barhocker, nickte Katharina zu und verschwand nach draußen. Nachdenklich kehrte Katharina auf ihren Platz neben Sophie zurück.
„Ich glaube, es hat bei ihm eingeschlagen“, sagte die Detektivin.
„Das haben Sie großartig gemacht.“
„Finden Sie?“
„Aber ja.“
Sophie stand auf und verabschiedete sich. „Ich werde ins Bett gehen. Morgen wird bestimmt wieder ein anstrengender Tag.“
„Okay, gute Nacht“, sagte Katharina.
„Gute Nacht.“
Katharina blieb noch einige Zeit an der Bar sitzen. Dann ging sie ebenfalls auf ihr Zimmer. Weit mehr als Jannick Wolfes Tod beschäftigte sie im Moment die Frage, wie es wohl Robert gehen würde. Hatte man ihn inzwischen aus der Charité entlassen? Ihr Blick fiel auf das Telefon, das auf dem Nachttisch stand. Vielleicht sollte sie ihn anrufen. Katharina setzt sich aufs Bett, nahm den Hörer ab und wählte die Nummer seiner Wohnung. Nach dem fünften Klingeln wurde abgenommen.
„Tillmann.“
„Hallo, Schatz, ich wollte mich mal erkundigen, wie es dir geht. Ist alles in Ordnung?“
„Natürlich.“
„Wann wurdest du entlassen?“
„Heute Vormittag.“
„Und?“
„Was meinst du?“
„Haben die Ärzte endlich herausgefunden, was dir fehlt?“
„Nein. Ich soll in ein paar Wochen noch einmal wiederkommen.“
„Und dann?“, fragte Katharina.
„Keine Ahnung. Vielleicht geht der ganze Zirkus noch einmal von vorne los.“
„Ach du lieber Himmel.“
„Und wie läuft es bei dir?“, erkundigte sich Robert.
„Am Set hat es einen Mord gegeben.“
„Einen Mord?“, wiederholte er erstaunt.
In wenigen Worten berichtete Katharina, was sich ereignet hatte.
„Das ist ja furchtbar“, sagte Robert. „Pass bloß auf dich auf.“
„Keine Sorge, das mache ich. Aber pass du auch auf dich auf.“
„Du kennst mich doch.“
„Ja, eben.“ Sie stieß ein helles Lachen aus. „Okay, ich werde dann mal Schluss machen, sonst wird die Telefonrechnung zu hoch. Und ich weiß nicht, ob mein Auftraggeber damit einverstanden ist.“
„Als Filmproduzent wird ihn so ein Auslandsgespräch schon nicht arm machen. Solche Leute haben doch genug Geld.“
„Na ja, trotzdem ...“
„Ich verstehe“, meinte Robert. „Okay, dann mach‘s gut.“
„Du auch.“
Katharina legte den Hörer auf den Apparat und ging ins Badezimmer. Sie entkleidete sich und duschte ausgiebig. Müdigkeit überkam sie. Kein Wunder, sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Sie gähnte herzhaft, zog ihren Pyjama an und streckte sich im Bett aus. Schlafen konnte sie jedoch nicht. Unruhig wälzte sich die Detektivin im Bett hin und her. Immer wieder ging ihr der Mord an Jannick Wolfe durch den Kopf. Wer hatte ein Interesse daran, den Action-Star zu ermorden? Katharina schaltete den Fernseher ein, in der Hoffnung, sich damit ablenken zu können.
Doch das Gegenteil war der Fall. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines gutaussehenden Mannes. Katharina erkannte ihn sofort wieder. Sie wäre auch ohne das eingeblendete Insert darauf gekommen, dass es sich um Jannick Wolfe handelte. Obwohl sie kein italienisch sprach, verstand sie auch so, dass es um den Mord auf dem Filmgelände ging. Es folgten Fotos vom Tatort. Ein Filmbericht wurde eingeblendet. Die Schauspielerin Sophie Rosenbruck sprach mit dem Reporter des Fernsehsenders. Immer wieder unterbrach sie sich und weinte.
„Es ... es war so grauenvoll“, stammelte sie. „Ich werde dieses Erlebnis nie vergessen ...“
Sie wandte sich von der Kamera ab. Irgendjemand nahm sich ihrer an. Katharina konnte nur die Hände des Betreffenden sehen. Man holte Eckard Joswig vor die Kamera. Er wirkte gefasst, aber seine Stimme bebte merklich, als er die Ereignisse aus seiner Sicht schilderte. Danach erschien der Nachrichtensprecher und verlas die nächste Meldung.
Katharina nahm die Fernbedienung und schaltete durch die anderen Programme. Bei einer Musiksendung blieb sie hängen. Es dauerte jedoch nicht allzu lange, bis sie eingeschlafen war.