Joswig schüttelte energisch den Kopf. „Unsinn“, sagte er. „Das ist ein ganz normaler Actionfilm ohne politische oder anderweitige Botschaft. Es gibt ‘ne Menge Explosionen, Verfolgungsjagden und Schießereien. Das ist auch schon alles.“
„Aber es muss doch einen Grund dafür geben, dass man den Film sabotieren will.“
„Vielleicht will man mich ruinieren“, murmelte Joswig.
„Was ist mit den Schauspielern?“
„Ich verstehe nicht.“
„Könnte einer von ihnen der Grund sein?“
„Das halte ich für ausgeschlossen. Jannick Wolfe interessiert sich nur für seine Arbeit. Andere Ambitionen hat er nicht.“
Katharina kannte Wolfe aus einer Reihe von Filmen. Der blendend aussehende Schauspieler trat vorwiegend in anspruchslosen Actionfilmen auf. Wegen seiner verwegenen Art hatte er eine große Fangemeinde. Trotz seiner fünfzig Jahre machte er die meistens Stunts selber. Zumindest behauptete er das. Doch Katharina musste bald feststellen, dass nicht jede Behauptung der Wahrheit entsprach. Während sie sich noch mit Joswig unterhielt, wurde die Tür geöffnet, und ein Mann trat ein, den sie im ersten Moment für Jannick Wolfe hielt. Nur wirkte er bedeutend jünger als fünfzig. Aber er trug das gleiche unbekümmerte Lächeln zur Schau, das Wolfe berühmt gemacht hatte.
„Ist das wahr?“, fragte der Mann. „Sind wir jetzt alle arbeitslos?“
„Hallo, Simon“, sagte Joswig. „Keine Sorge, ihr seid nicht arbeitslos.“ Er wandte sich wieder an Katharina. „Das ist übrigens Simon Struck, Wolfes Stuntman in sämtlichen Action-Szenen. Er bricht sich für Wolfe mindestens drei Mal jährlich die Knochen.“
„Freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte Katharina.
Struck nickte ihr zu.
„Ich habe gehört, dass Jannick bereits ein anderes Angebot hat“, meinte Struck. „Wenn er nicht verfügbar ist, kann ich seine Rolle spielen. Was hältst du davon?“
„Überhaupt nichts“, erwiderte Joswig. „Jannick spielt in der zweiten Hälfte, also muss er auch in den restlichen Szenen auftreten. Das Publikum würde den Unterschied sofort merken. Vor allem in den Großaufnahmen.“
„Na und?“, fragte Struck. „Die Maskenbildner haben schon ganz andere Kunststücke vollbracht. Die werden mich so schminken, das niemand etwas merkt. In den Actionszenen trete ich ohnehin auf.“
„Nichts gegen deine Fähigkeiten, Simon“, lenkte Joswig ein. „Du bist ein ausgezeichneter Stuntman, aber deine Stimme klingt vollkommen anders als die von Jannick.“
„Ich könnte sie imitieren.“
„Vergiss es. Was glaubst du, wird Jannicks Agent mir erzählen, wenn du in der ersten Hälfte für seinen Star einspringst? Der würde eine einstweilige Verfügung erwirken und ...“
Das Läuten des Telefons unterbrach ihn. Er nahm den Hörer ab und meldete sich. Sofort veränderte sich sein Gesichtsausdruck. „Okay“, sagte er und legte wieder auf. Ein Lächeln umspielte seinen Mund. „Jannick hat mir soeben mitgeteilt, dass er für die zehn Tage zur Verfügung steht.“ Er rieb die Handflächen aneinander. „Gut, dann wollen wir mal an die Arbeit gehen. Morgen fliegen wir nach Italien.“
Katharina verabschiedete sich von Eckard Joswig, stieg in ihren Wagen, startete den Motor und fuhr zur Charité, um ihren Lebensgefährten Robert Tillmann zu besuchen. Er war während einer Unterrichtsstunde zusammengebrochen. Bisher hatten es die Ärzte nicht geschafft, die Ursache herauszufinden.
„Na, wie geht es dir?“, fragte er, als sie das Zimmer betrat.
„Ich liege nicht im Krankenhaus“, erwiderte Katharina. „Dreh den Spieß nicht um, Robert. Ich sollte dir diese Frage stellen. Was haben sie heute alles mit dir gemacht?“
„Sie waren wie immer sehr nett und freundlich zu mir“, sagt er lächelnd. „Und sie haben mich durch den Wolfe gedreht. Nichts ließen sie aus. EKG, EEG, Blutsenkung, Harntest, Zuckerbelastung, Ultraschall, Scanner ... Sie waren wirklich sehr gründlich, gaben mir alles mögliche Zeug zu trinken, durchleuchteten mich von allen Seiten, und testeten meine Reaktion auf dies und jenes.“
„Und?“
„Sie haben nichts gefunden. Nach Ansicht der Mediziner ist es offenbar geradezu eine Beleidigung ihres Berufsstandes, wie gesund ich bin.“
„Aber dein Schwächeanfall muss doch eine Ursache haben.“
„Der Ansicht waren die Ärzte auch. Wenn einer so gesund ist wie ich, muss er wohl krank sein. Deshalb haben sie immer schlauere Spielchen mit mir getrieben, doch meine Werte waren völlig normal.“
„Und woher kamen deine Beschwerden?“
Robert zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Vermutlich Überanstrengung. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
„Ich mache mir aber welche. Das weißt du doch.“
„Vielleicht werde ich morgen schon entlassen. Oder ich rücke bei Nacht und Nebel aus.“
„Das solltest du nicht tun. Warte lieber so lange, bis der Chefarzt dir grünes Licht gibt.“
„Ich habe das Gefühl, er sieht sich in meinem Fall überfordert“, sagte Robert. „Er hat sich‘s ein bisschen einfacher vorgestellt, und ich wette, er ist mit seinem Latein bald am Ende. Aber reden wir nicht mehr über mich. Was ist mit dir? Hast du einen neuen Fall?“
„Ja, seit gestern.“
„Etwas Interessantes?“
„Diebstahl und Erpressung.“
„Ja“, meinte er. „Das klingt sehr interessant.“
„Deshalb muss ich morgen auch nach Rom.“
„Rom?“, fragte Robert erstaunt. „Aber wieso?“
Katharina berichtete ihm, was sich in den vergangenen Stunden ereignet hatte. Zwanzig Minuten lang erzählte sie, ohne dass er sie ein einziges Mal unterbrach. Als sie fertig war, dachte er lange schweigend nach.
„Eine seltsame Geschichte“, war alles, was er schließlich dazu bemerkte. „Und wie du es erzählst, klingt es höchstens noch seltsamer.“
„Schon möglich“, gab Katharina zu. „Aber – wie denkst du darüber?“
„Du bist die Expertin.“
„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“
Robert nickte. „Alles. Trotzdem solltest du vorsichtig sein.“
„Das bin ich doch immer.“
„Am liebsten würde ich dich begleiten. Aber stattdessen liege ich hier herum und spiele Versuchskaninchen. Lange mache ich das nicht mehr mit. Wenn ich gesund bin, habe ich nicht das Recht, einem Kranken das Bett wegzunehmen.“
„Du bleibst hier“, sagte Katharina entschieden. „Denk ja nicht an eine Nacht- und-Nebel-Flucht, sonst lasse ich dich vom Chefarzt ans Bett fesseln.“
„He, das hört sich nach einer handfesten Verschwörung an“, gab er störrisch zurück.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und ein Arzt betrat das Zimmer. Er mochte so um die vierzig Jahre alt sein, hatte schwarze, dichte Haare, eine schmale Nase und braune Augen.
„Aha, Doktor Hulke“, sagte Robert.
Der Mann schloss die Tür hinter sich, kam auf die beiden zu und