„Nein, er steht doch auf dem bewachten Parkplatz des Restaurants.“
Drei Minuten später saß ich dem Mädchen in der kleinen Nische wieder gegenüber.
„Nicht zu finden“, sagte ich. „Wahrscheinlich habe ich es im Office liegengelassen.“
„Wollen Sie telefonieren? Ich habe mein Handy dabei.“
Als sie die Handtasche öffnete, drehte sie sie so, dass ich nicht hineinblicken konnte. Sie holte ein rosafarbenes Handy heraus.
„Bitte“, sagte sie. „Bedienen Sie sich.“
„Vielen Dank.“ Ich wählte eine fiktive Nummer und tat so als wartete ich darauf, dass der Teilnehmer am anderen Ende ran ging.
„Hm, keiner da“, sagte ich und reichte ihr das Handy zurück. Ich sah, dass ihre Hand leicht zitterte als sie ihr Telefon wieder in die Handtasche legte.
Wir nippten schweigend an unserem Getränk, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt.
Dann sagte sie plötzlich: „Ich habe ganz vergessen, mich zu erkundigen, was aus den Verhafteten geworden ist. Haben sie gestanden?“
„Teils, teils“, sagte ich. „Aber ganz einfach ist es nicht.“
„Was war mit dem Paket?“
„Was ich dachte“, erwiderte ich. „Geld. Zweihunderttausend Dollar.“
„Fantastisch! Wie ist Tom nur an das Geld gekommen?“
„Es stammt aus dem Bankraub.“
„Tom war also ein Bankräuber – oder ein Mörder?“
„Beides“, nickte ich.
„Ich gewöhne mich allmählich an den Gedanken. Seltsamerweise tut es nicht einmal weh. Es ist nur merkwürdig. Und deprimierend. Deprimierend, weil man plötzlich erkennt, wie wenig man von seinen Mitmenschen weiß.“
Der Wirt trat an den Tisch und steckte die Kerze an, die in einer Chianti Flasche steckte. Er murmelte ein paar nette Worte und verschwand wieder. Kerzenlicht macht die Gesichter weich, doch bei Miss Ronda traf das nicht zu. Ihre Züge wirkten auf einmal härter und eckiger; die Augen waren groß und kühl. Ich entdeckte in ihnen nichts von der Furcht, die sie angeblich gefangen hielt. Miss Ronda trank ihren Wein und ließ mich keine Sekunde aus den Augen.
„Ich überlege gerade, wie Sie in Zuchthauskleidung aussehen werden.“
Miss Ronda verkrampfte die freie Hand in das weiche Leder der großen auf dem Tisch liegenden Handtasche. Ihre Augen verengten sich etwas. „Was sagen Sie da?“
„Es ist hier so ruhig, so intim, so nett“, sagte ich. „Viel hübscher als in der nüchternen Atmosphäre eines Büros. Warum legen Sie kein Geständnis ab?“
„Was soll ich denn gestehen?“
„Den Mord natürlich.“
Miss Ronda schluckte. Sie nahm das Weinglas hoch, ohne dass ihre Blicke von meinem Gesicht wichen. Ich sah in ihren Zügen kein Erschrecken, nicht einmal Anzeichen von Alarm oder Terror, nur eine tiefe Konzentriertheit, die Ausstrahlung einer fast eisigen Ruhe, die sie in diesem Moment erfüllte.
„Einen Mord?“, echote sie gelassen.
„Sie haben Tom Greenland getötet“, erklärte ich und schob die Chianti Flasche ein wenig zur Seite. Sie war über und über mit Wachs bedeckt.
„Weshalb hätte ich Tom umbringen sollen?“, fragte sie. „Weshalb, um Himmels willen?“
„Wegen des Geldes natürlich. Ihm war das Geld anvertraut, Sie brachten den größten Teil davon an sich.“
„Das Geld aus dem Bankraub, davon sprechen Sie doch, nicht wahr?“
„Davon spreche ich.“
„Es gab nur dieses eine Paket in meiner Wohnung, das gleiche, das man heute zu stehlen versuchte!“
„Ich will Ihnen sagen, wie es war“, sagte ich gelassen. „Gestern, als Tom zu Ihnen kam, hatten Sie Ihren Entschluss längst gefasst. Sie wollten mit dem Geld verschwinden. Tom erzählte Ihnen, dass er Dozer getötet hatte. Das war günstig für Sie, denn nun hatten Sie von dieser Seite keine Nachstellungen zu erwarten. Sie brauchten nur noch eine Hürde zu nehmen: Tom. Sie verloren keine Zeit, diese Aufgabe zu lösen.“
Sie starrte mich an. „Das alles meinen Sie im Ernst?“
„Vielleicht hätte ich mit der Anklage bis nach dem Essen warten sollen“, sagte ich. „Jetzt wird Ihnen das Menü sicherlich nicht mehr schmecken. Es ist Ihre Henkersmahlzeit, denn Sie werden mich anschließend begleiten“
„Sie haben kein Recht, mich zu verhaften!“, stieß sie hervor. „Ich bin mir meiner Rechte als amerikanische Bürgerin sehr wohl bewusst!“ In ihren Augen entzündete sich etwas. Es war ein kaltes, gefährliches Feuer.
„Stimmt. Ich habe keinen Haftbefehl“, sagte ich, „aber mir steht das Recht zu, Sie zur Vernehmung vorzuführen. Ich bin überzeugt davon, dass die Vernehmung die Grundlage für die Erwirkung des Haftbefehls erbringen wird.“
„Was macht Sie so sicher, dass ich in Ihrem Sinne aussagen werde?“
„Nichts. Von Ihrer Geständnisfreudigkeit verspreche ich mir herzlich wenig. Sie gehören zu den Menschen, die bis zuletzt alles abstreiten. Wahrscheinlich werden Sie sogar noch beim Anblick des Gefängnisses behaupten, völlig unschuldig zu sein. Dummerweise gibt es Indizien, sehr schwerwiegende Indizien, die gegen Sie sprechen.“
„Indizien, welche Indizien?“
„Ihr Wagen“, sagte ich mit sanfter Stimme, „ist mit Goodyear Reifen einer bestimmten Profilsorte ausgerüstet. Wir fanden Abdrücke dieser Reifenprofile vor dem Eingang der verlassenen Fabrik, wo der Tote lag.“
„Das beweist nichts!“, meinte sie. Ihr Atem ging jetzt etwas rascher. „Von diesem Profil gibt es sicherlich mehr als eine Million Reifen.“
„Nicht in allen Rillen wird sich der gleiche Schmutz festgesetzt haben, der Schmutz, der auf dem Vorplatz der verlassenen Fabrikhalle lag.“
„Das ist doch Unsinn!“
„Es ist nur ein Punkt“, gab ich zu. „Sie werden sich denken können, dass ich vorhin nur einen Vorwand suchte, um nach draußen zu gehen. Mein Handy befindet sich in Wahrheit in meiner Jackentasche. Ich wollte mir den Wagen ansehen. Nicht nur die Reifenprofile. Bei dem Versuch, einen Blick in den Kofferraum zu werfen, musste ich feststellen, dass er abgeschlossen ist.“
„Na und? Das ist doch ganz natürlich! Glauben Sie, ich hätte Lust, mir das Reserverad stehlen zu lassen? Das ist mir schon einmal passiert.“
Ich lächelte. „Der Wagen war unverschlossen. Es ist ein bisschen unlogisch, die Wagentüren offenzulassen und gleichzeitig die Kofferraumklappe unter Verschluss zu halten, stimmt’s?“
Sie zuckte ärgerlich die Schultern. „Vielleicht ist’s tatsächlich unlogisch“, gab sie zu. „Ich bin eine Frau. Wollen Sie mir vorwerfen, dass ich mich wie eine Frau benehme?“
„O nein. Ich möchte nur annehmen, dass Sie Gründe haben, den Kofferraum gegen fremde Blicke abzusichern. Ich wette, Sie haben das Geld und das Gepäck darin. Als ich Sie beim Weggehen überraschte, war es keineswegs nur Ihre Absicht, zum Abendessen zu fahren. Sie wollten flüchten.“
„Das ist doch absurd!“
„Der Vorwurf lässt sich leicht entkräften“, sagte ich. „Kommen Sie mit nach draußen und lassen Sie mich einen Blick in den Kofferraum werfen.“
„Ich