Die Natur, so wie sie Hegel versteht, stimmt, ihm zufolge, vollkommen mit dem wie sie die alten Griechen verstanden, aber auch mit unserer gewöhnlichen Vorstellung von ihr überein.70 So sei uns geläufig, dass das Natürliche räumlich und zeitlich ist, dass in der Natur Dieses neben Diesem besteht und Dieses Diesem folgt, kurz, dass alles Natürliche ins Unendliche außereinander ist. Ferner wüssten wir, dass die Materie, diese allgemeine Grundlage aller da seienden Gestalten der Natur, uns nicht nur Widerstand leistet und außerhalb unseres Geistes besteht, sondern gegen sich selber sich auseinanderhält, in konkrete Punkte, in materielle Atome sich trennt, aus denen sie sich zusammensetzt. Die Unterschiede, zu denen sich der Begriff der Natur 71 entfalte, seien mehr oder weniger gegeneinander selbständige Existenzen. Durch ihre ursprüngliche Einheit stünden sie zwar miteinander in Beziehung, so dass keine Existenz ohne die andere begriffen werden könne, aber diese Beziehung sei eine in einem höheren oder geringeren Maße äußerliche Beziehung. Man würde daher mit Recht sagen, dass in der Natur nicht die Freiheit, sondern die Notwendigkeit herrscht. Denn diese sei eben, in ihrer eigentlichen Bedeutung, die nur innerliche und deshalb auch nur äußerliche Beziehung von gegeneinander selbständigen Existenzen. 72 So würden z. B. das Licht und seine Bestandteile als gegeneinander selbständig erscheinen, und die Planeten, obwohl sie von der Sonne angezogen werden, hätten trotz dieses Verhältnisses zu ihrem Zentrum den Schein der Selbständigkeit gegenüber demselben.
Im Lebendigen käme allerdings eine höhere Notwendigkeit zustande, als jene die im Bereich des Leblosen herrsche. Schon in der Pflanze zeige sich, dass sie ein in die Peripherie ergossenes Zentrum, eine Konzentration der Unterschiede ist, dass sie sich von innen heraus entwickelt, eine Einheit ist, die sich selbst differenziert und aus ihren Differenzen in der Knospe sich selbst hervorbringt und somit etwas sei, dem wir Trieb zuschreiben würden. Aber diese Einheit bleibe eine unvollständige, weil im Gliederungsprozess der Pflanze das vegetabilische Subjekt aus sich heraustrete, jeder Teil die ganze Pflanze, eine Wiederholung derselben sei, die Glieder also nicht in vollkommener Unterwürfigkeit unter der Einheit des Subjekts stünden.
Eine noch vollständigere Überwindung der Äußerlichkeit stelle der tierische Organismus dar. In diesem erzeuge nämlich nicht nur jedes Glied das andere, sei dessen Ursache und Wirkung, Mittel und Zweck, sondern das Ganze werde von seiner Einheit so durchdrungen, dass nichts in ihm als selbständig erscheine. Jede Bestimmtheit sei zugleich eine ideelle, das Tier bleibe in jeder Bestimmtheit dasselbe, das eine Allgemeine, so dass das Außereinander am tierischen Körper sich in seiner ganzen Unwahrheit zeige. Dadurch, dass das Tier in jeder Bestimmtheit bei sich und es in und aus seiner Äußerlichkeit unmittelbar in sich reflektiert sei, sei es eine für sich seiende Subjektivität und habe Empfindung.73 Diese sei die Allgegenwart der Einheit des Tieres in allen seinen Gliedern, die jeden Eindruck unmittelbar dem einen Ganzen mitteilen, das im Tier zu werden beginne. In dieser subjektiven Innerlichkeit des Tieres liege, dass es durch sich selbst, von innen heraus, und nicht bloß von außen bestimmt ist, d. h., dass es Trieb und Instinkt hat. Die Subjektivität des Tieres enthalte einen Widerspruch und den Trieb, diesen Widerspruch aufzuheben und dadurch sich selbst zu erhalten. Selbsterhaltung sei das Vorrecht des Lebendigen und in einem noch höheren Grad des Geistes.74
Die tierische Seele sei jedoch, so Hegel, noch nicht frei; erscheine sie doch immer als eins mit der Bestimmtheit der Empfindung oder der Erregung, als an eine Bestimmtheit gebunden. Nur in der Form der Einzelheit sei die Gattung für das Tier gegeben.75 Es empfinde nur die Gattung, aber wisse nichts von ihr. Im einzelnen Tier sei noch nicht die Seele für die Seele, das Allgemeine als solches für das Allgemeine. Durch das im Gattungsprozess stattfindende Aufheben der Besonderheit der Geschlechter komme das Tier nicht zum Erzeugen der Gattung, denn das, was durch diesen Prozess hervorgebracht wird, sei wieder nur ein Einzelnes.76 So falle die Natur selbst auf der höchsten Spitze ihrer Erhebung über die Endlichkeit (der Reproduktion, d. Verf.) wieder in diese zurück und stelle somit nur einen beständigen Kreislauf dar. Auch der durch den Widerspruch der Einzelheit und der Gattung notwendigerweise herbeigeführte Tod bringe gleichfalls nicht - weil er nur die leere selbst in der Form der unmittelbaren Einzelheit erscheinende, vernichtende Negation der Einzelheit, aber eben nicht deren erhaltende Aufhebung sei - die an und für sich seiende Allgemeinheit (einen objektiven Geist, d. Verf.) oder die an und für sich seiende Einzelheit, die Subjektivität, die sich selber zum Gegenstand hat (ein Ich, der. Verf.), hervor. Auch in der am meisten vollendeten Gestalt, zu der sich die Natur erhebe, also im tierischen Leben, gelange der Begriff77 nicht zu einer Wirklichkeit, die seinem Wesen als Seele 78 entspricht, nicht zur völligen Überwindung der Äußerlichkeit und Endlichkeit seines Daseins. Dieses geschehe erst im Geist, der eben durch diese in ihm selbst zustande kommende Überwindung sich selber von der Natur unterscheide, so dass diese Unterscheidung nicht bloß das Tun einer äußeren Reflexion über das Wesen des Geistes sei.
Diese zum Begriff des Geistes gehörende Aufhebung der Äußerlichkeit ist das, was Hegel die Idealität des Geistes nennt.79 Alle Tätigkeiten des Geistes seien nichts als verschiedene Weisen, wie die Äußerlichkeit in die Innerlichkeit, die der Geist selbst sei, zurückgeführt wird. Nur durch diese Idealisierung oder Assimilation des Äußerlichen werde er Geist und sei er Geist. Die Zurückführung des Äußerlichen auf das Innerliche findet, wie sich Hegel verstehen lässt, vor allem durch die Sprache statt, und zwar durch die Alltagssprache bis hin durch die Sprachen der Wissenschaften, der Religion, der Dichtung und der Literatur.80
Betrachtet man den Geist etwas näher, so ergebe sich, Hegel zufolge, als seine erste und einfachste Bestimmung, dass er ein Ich ist. Das Ich sei ein vollkommen Einfaches und Allgemeines. Sagen wir Ich, so würden wir wohl ein einzelnes Ich meinen, weil aber jeder ein Ich sei, würden wir damit nur etwas ganz Allgemeines ausdrücken.81 Die Allgemeinheit des Ichs bedeute, dass es von allem, selbst von seinem Leben abstrahieren kann. Der Geist sei aber nicht bloß das abstrakt Einfache, wenn von der Einfachheit der Seele im Gegensatz zur Zusammengesetztheit des Körpers die Rede war, sondern er sei trotz seiner Einfachheit ein in sich Unterschiedenes-, setze doch das Ich sich selbst gegenüber, mache es sich doch zu seinem Gegenstand und kehre aus diesem jedoch erst abstrakten und noch nicht konkreten Unterschied zur Einheit mit sich zurück. Dieses Bei-sich-selbst-sein des Ichs in seiner Unterscheidung mache die Unendlichkeit oder Idealität des Ichs aus.82 Diese Idealität würde sich aber erst bewähren in der Beziehung des Ichs zu dem ihm gegenüberstehenden, unendlich mannigfaltigen Stoff. Indem das Ich diesen Stoff erfasst, werde dieser von der Allgemeinheit des Ichs zugleich “vergiftet“ und “verklärt“, verliere sein vereinzeltes, selbständiges Bestehen und erhalte ein geistiges Dasein.83 Das Ich erfasst den Stoff, wie sich Hegel verstehen lässt, nur im Medium der Sprache.84 Und je nachdem mit welchem Sprachsystem, Wort- und Bedeutungsfeld, das Ich sich einem Stoff nähert, wird dieser, in den Worten Hegels, “vergiftet“ oder “verklärt“. So “vergiftet“ ein Geschäftsmann einen Wald, indem er ihn dem System der praktischen kommerziellen Sprache unterwirft, ihn damit lediglich als Roh- oder Brennstofflieferant betrachtet, ihn folglich abholzen lässt, um ihn als Ware zu verkaufen. Mit einer ganz anderen Sprache nähert sich dagegen demselben Wald ein romantischer Dichter, erfasst ihn in seiner Sprache und “verklärt“ ihn in seinem Gedicht. Geht man davon aus, dass