Die klare Sonne bringts doch an den Tag. Klaus Scheidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Scheidt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783981864267
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hellblonden Brauen und zwirbelt mit linkem Daumen und Zeigefinger den Schnurrbart beidseitig. »Ein feines Schnäpschen habe ich da, ohne es zu wissen.« Aber er nimmt sich sofort wieder zusammen und droht beiden mit ausgestrecktem linken Zeigefinger. »Hatte! Bestimmt raubt ihr nicht zum ersten Mal davon.«

      »Aber es wäre doch wirklich jammerschade«, säuselt die Martina und formt routiniert ihr Schnütchen, »wenn er uralt und ungenießbar würde, nur weil Ihr hochverehrter Vater ihn nicht mehr trinken kann.«

      Gekonnt füllt ihre Schwester beide Gläser nun randvoll. »Darum sollten wir ihn trinken, bevor er verdirbt. Das nächste Gläschen lässt Sie bestimmt besser schlafen, Herr Oberleutnant. Darum kamen Sie doch runter, nicht wahr.« Die Josefa kann sich ein vertrauliches Zwinkern nicht verkneifen.

      Recht hat sie, die Josefa, denkt er sich, deswegen bin ich hier. Ein Gläschen in Ehren will er sich noch gönnen, dann aber Kehraus machen. Otto nimmt das Glas und kippt den Inhalt in sich rein. Auf einmal wird ihm ganz anders und ...

      »Setzen Sie sich doch erst mal hin, Herr Oberleutnant, Sie stehen ja die ganze Zeit wie im Dienst und halten die Laterne hoch wie ein Nachtwächter. Nehmen Sie meinen Stuhl.« Josefa streift ihre Decke zurück, schiebt ihm die Sitzgelegenheit unter und schnappt sich einen freien Hocker.

      Ohne Widerspruch lässt er sich behutsam auf dem Schemel nieder und stellt die Laterne neben dem Tisch ab. Immer seltsamer wird ihm zumute und es ist ihm sogar gleichgültig, dass er auf Augenhöhe nur noch mit dem Gesinde ist. Hauptsache er kommt dazu, sich müde zu trinken. Angenehm vorgewärmt ist das Holz, auf dem er sitzt, zusehends fühlt er sich entspannter. Er hat nichts dagegen, das Glas wieder gefüllt zu bekommen, und beim vierten Mal ist ihm es immer noch recht. Er beginnt, mit den Frauen zu schäkern, die abwechselnd aus dem zweiten Glas trinken, sein geweiteter Blick erfasst deren Weiblichkeit. Hatte er denn keine Augen dafür gehabt? Sein Begehren erwacht.

      »Trinken wir Freundschaft?«, fragt die Martina frech und schält sich aus ihrer Decke – ihre Hemmschwelle ist überflutet.

      »Hm«, brummt er nur, während er ihre Oberkörper anstiert. Ihm ist längst egal, dass dies kein Umgang für ihn sein sollte.

      »Aber mit Kuss!«, fordert die Josefa, obwohl die Kühnheit ihrer Schwester sie noch ein wenig erschreckt.

      »Hm«, murmelt er nur, nickt der Josefa zu und greift nach dem Glas, aber die Martina zieht er erst einmal vor.

      »Otto.«

      »Martina.«

      Dann ist die Josefa dran, nicht so hübsch wie ihre Schwester, dafür aber mit Rundungen gesegnet, an denen selbst gespreizte Hände nicht abrutschen.

      »Otto.«

      »Josefa.«

      Während er sie küsst, greift er ihr an die linke Brust. Sie ziert sich überhaupt nicht, sondern macht sich frei, überraschend geschwind trotz der unhandlichen Kleidung. Während er mit der Josefa beschäftigt ist, spürt er, wie die Martina mit ihrer rechten Hand über seinen geknöpften Hosenschlitz streichelt. Wie wohl tut ihm das, dieses Mal muss er nicht werben, nicht warten, weder betteln noch barmen, um das Mindeste wenigstens noch zu erreichen. Seine Manneskraft ist nicht mehr zu bändigen und er will sich auch nicht mehr zurückhalten.

      Ohne wenn und aber darf er alles mit ihnen machen und einiges mehr, was er noch gar nicht kennt. Dass er sich in beider Leiber ergießt, mehr als einmal, und dies unangenehmste Folgen haben kann, ist ihm nun gleichgültig. Auch den Schwestern ist alles längst einerlei. Der leeren Flasche folgt eine volle, gesoffen wird nun ohne Umweg von Hals in Hals, denn die beiden Gläser waren nach dem zweiten Freundschaftsritus rücklings in irgendwelche Ecken geworfen worden. Nach jedem Umtrunk wird die Flasche in eine Lücke zwischen zwei Fässern zurückgestellt, denn auch der Tisch wird für andere Zwecke gebraucht.

      Am nächsten Morgen wacht der Herr des Hauses erst gegen Mittag auf, der Kopf dröhnt, alles dreht sich vor seinen Augen.Der Diener hat seit Stunden vergebens versucht, ihn zu wecken, die Frühstückstafel ist immer noch gedeckt, der Kaffee neu gekocht, neue Brötchen frisch aufgebacken. Er windet sich aus seinem Bett, schwankt ins Bad und steckt seinen Kopf mehrmals, lange den Atem anhaltend, in die von ihm randvoll mit eiskaltem Wasser nachgefüllte Waschschüssel. Er hört unzählige Tropfen herunterplätschern und spürt an seinen nackten Füßen die Wasserlachen, die sich rund um das Gestell mit dem Becken ausdehnen – sein Zustand ist ihm ein Rätsel, denn er erinnert sich nicht. Erst im Lauf des Tages, während er zwei seiner weiblichen Bediensteten beobachtet, wie vertraulich sie ihn mit ihren verquollenen Augen ansehen, dämmert es ihm. Dann will er nur noch weg, aber wie?

      Am darauf folgenden Tag fälscht er einen hoheitlichen Brief und zeigt ihn so traurig wie möglich blickend seiner Frau: Der restliche Urlaub ist gestrichen aufgrund sofortiger Einberufung wegen des bevorstehenden Auslaufens zu einer Feindfahrt – die vor zwei Monaten besetzten Åland-Inseln müssen gegen eine feindliche Flotte verteidigt werden.

      Zu Tode betrübt wirkt die Baronesse jedoch nicht, erst recht nicht, als die ‚Feindfahrt‘ sich schon monatelang hinzieht. Nun schwant ihr etwas, denn zwei ihrer Dienstmädchen sind ersichtlich in guten Umständen. Sie stellt die beiden Schwestern zur Rede, jedoch ist nichts aus ihnen herauszubekommen. Darum hält sie es nicht mehr auf dem Gut aus und hochschwanger reist sie nach Norden zu ihren Eltern auf Schloss Lütjenstein. Ende Oktober 1918 gebiert sie einen Jungen und sofort benennt sie ihn Hans, ohne ihren absenten Otto wegen dieses Namens um Einverständnis zu befragen.

      In diesem Herbst 1918 erklärt die Oberste Heeresleitung den Krieg für verloren und befürwortet Waffenstillstandsverhandlungen, der Kaiser wird entmachtet, in Kiel meutern die Matrosen, die arbeitende Bevölkerung revoltiert, der Kaiser wird zur Abdankung genötigt, die Republik wird ausgerufen, gleich zweimal, aber nur die vom Kasseler SPD-Politiker Scheidemann ausgerufene regiert und lässt Staatssekretär Erzberger die bedingungslose Kapitulation unterschreiben.

      Otto von Jügesens Pflicht wäre eigentlich, dafür zu sorgen, dass die Soldaten für die alte Ordnung kämpfen. Sein neues Motto jedoch lautet ‚ohne Leutnants kein Krieg‘ und er fährt nach Hause. Dieses Mal hat sein Opel-Landaulet keine Panne, sondern kutschiert ihn mit 28 Pferdestärken bis vor den Haupteingang. Ihm ist mancher scheele Blick seines Fahrers nicht entgangen. Darüber wundert er sich aber nicht mehr lange, denn als auch die beiden Schwestern auf der Treppe vor ihm Aufstellung nehmen und einen artigen Knicks tun, sieht er ihnen die Bescherung an, die offensichtlich er ihnen bereitet hat.

      Auf der Stelle macht Otto kehrt, zerrt den Fahrer aus dem Wagen, setzt sich hinter das Lenkrad seines flotten Opels, gibt Vollgas und rast mit 65 Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit auf und davon. Vor den eisernen Gattern des Außentores legt er eine Vollbremsung hin bei der die Bremsbänder qualmen, denn das haushohe Portal ist geschlossen und den Schlüssel dafür hat sein Fahrer noch in der Tasche.

      Während er tobend vor Wut wieder und wieder den Handblasebalg des Signalhorns zusammenquetscht, steigt in ihm eine Erinnerung auf: ‚Was du anfängst, mein Junge, mache auch zu Ende; wenn du fehl gehst, stehe dazu und bring‘s in Ordnung!‘ Lange sinnt er nach, dann lässt er den Balg los, wendet und fast im Schritttempo lässt er den Wagen zurückrumpeln, um sich dem Schicksal zu ergeben.

      Anfangs reißt er sich noch am Riemen, übernimmt Verantwortung und sorgt sich um Hab und Gut. Den ohnehin ungeliebten Dienst in der Marine quittiert er; die Geschäfte der Reederei führt nach wie vor ein Vertrauter seines Vaters. Jeden Abend belohnt er sich für sein Durchhalten mit einem Likör – nun weiß er auch, wie die Marke heißt, die ihn im Handumdrehen in des Teufels Küche brachte: ‚Stichpimpulibockforcelorum‘.

      Trotzdem hofft er noch, seine Frau wiederzusehen, nachdem er ihr einen Brief geschrieben hat, in dem er ihr seine Fehltritte gesteht. Obwohl er wortreich barmt und zutiefst bereut, erblickt er sie nie wieder; seinen Sohn lernt er gar nicht erst kennen, denn ihm wird strengstens verboten, nach Schloss Lütjenstein zu kommen. Des Abends ertränkt er seinen Kummer nun mit mehr als einem Glas Likör.

      Die Martina gebiert ihm den Hilmar und die Josefa einen Tag später die Theresia. Dabei bleibt es nicht, denn nicht nur den Likör braucht er immer häufiger, auch die