Die klare Sonne bringts doch an den Tag. Klaus Scheidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Scheidt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783981864267
Скачать книгу
Stiefgeschwister insgesamt, ja das war wirklich eine verrückte Sache ...«

      »Was, sieben Stück ... auf einen Streich etwa?« Unwillkürlich zog Stormann die Beine an, während er sich gestenreich entschuldigte. »Pardon, das ist mir rausgerutscht; das war ein Freudscher Versprecher, weil ich gerade mit Märchen beschäftigt bin und so das tapfere Schneiderlein gedanklich ins Spiel brachte.«

      Ein Glucksen entwich von Jügesens Kehle, während er generös abwinkte. »Sie wissen ja gar nicht wie nahe Sie an der Wahrheit dran sind, wenn auch sieben auf einen Streich wirklich des Guten zu viel gewesen wären.« Er zuckte mit den Schultern. »Nun gut, das ist eine alte Familiengeschichte, an die wir ungern zurückdenken und am liebsten nie von erzählen. Mein Sohn zum Beispiel hat, nachdem er seine Herkunft erfuhr, das von aus seinem Namen streichen lassen. Sehr konsequent, zu konsequent meiner Meinung nach, aber auch sehr rechtschaffen, so wie ich. Zumindest versuche ich es.« Sein Lächeln wirkte sardonisch.

      »So gesehen geht mich es nichts mehr an. Das lose Blatt ist abgegeben und ich kann mich verabschieden ...«

      »Halt, warten Sie. Ich weiß ja noch nicht, wie Sie an diesen Aufsatz gekommen sind. Das möchte ich nun gern wissen.«

      »Das erzähle ich Ihnen lieber nicht.« Stormann hob beide Handflächen wie zur Abwehr. »Ich bin sicher, dass Ihr Sohn das ganz bestimmt nicht möchte.«

      Mit einer energischen Bewegung beugte von Jügesen sich vor. »Nun will ich es erst recht wissen und darum mache ich Ihnen einen Vorschlag.« Er räusperte sich. »Ich erzähle Ihnen unsere Geschichte mit den sieben Stiefgeschwistern und Sie mir, wie Sie an dieses Blatt gekommen sind. Ich verspreche Ihnen auch, dass ich meinem Sohn auf keinen Fall deswegen Vorhaltungen machen werde. Eigentlich verschafft er mir mit seiner zurückhaltenden Art ohnehin Bestätigung und Genugtuung. Aber er muss endlich lernen, unser Vermögen zusammenzuhalten. Ein Hanseat muss er werden.«

      »Wenn es ihm wirklich nicht schadet – abgemacht. Und ehrlich gesagt, ich bin durchaus neugierig geworden.«

      Malte von Jügesen senior lehnte sich zurück. »Wir stammen ab von den Banner- und Reichsfreiherren von Jügesen mit Sitz im Billetal. Diese riesige Anlage mit einem wunderbaren Herrenhaus gehört heute noch unserer Familie; sie liegt in Nachbarschaft von Friedrichsruh im Sachsenwald, dem Alterssitz von Fürst Otto von Bismarck, der ja auch Herzog zu Lauenburg war. Der ‚Eiserne Kanzler‘ war sein Leben lang ein guter Kamerad von meinem Ururgroßvater. Dessen Enkel, also mein Großvater Otto, hat als kleines Kind den Fürsten noch erleben können.

      Mein Großvater stieg als Juniorchef in die Reederei ein, aber nur formell, denn er musste auf Geheiß seines Vaters zur Kaiserlichen Marine, um die Seeoffizierslaufbahn einzuschlagen. Während des Ersten Weltkrieges vereinbarten die Väter der Familien von Reinern und von Jügesen die Hochzeit zwischen meinem Großvater Otto und der Baronesse Gertrud von Reinern. Gefragt wurde das Brautpaar nicht, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt. Trotzdem schienen sich die beiden zu mögen und alles hätte durchaus gutgehen können.«

       Der Hausherr unterbrach seine Erzählung und rang sich ein ironisches Lächeln ab. »Allerdings würde es mich dann nicht geben. Sei‘s drum, die Flitterwochen des Paars waren kurz aber erfolgreich, wenn ich mich mal salopp ausdrücke, denn neun Monate später wurde Hans von Reinern geboren und sofort von seinem Großvater adoptiert, darum der andere Nachname. Allerdings erblickte er das Licht der Welt auf Schloss Lütjenstein, weil seine Mutter Gertrud von Jügesen unser Gut längst auf Nimmerwiedersehen verlassen hatte.«

      Für einige Augenblicke schwieg Malte von Jügesen senior, dann hob er ergeben blickend die Schultern und sprach weiter. »Mein Großvater Otto musste drei Monate auf See bleiben, bevor er erstmalig Urlaub bekam. Nach seiner Ankunft auf dem Gut erfuhr er, dass er Vater würde; allerdings war die Freude kurz, denn seine Frau verweigerte ihm deswegen den Beischlaf. Erregt wie er wohl war, konnte er nicht einschlafen und ging in den Keller, um sich etwas Wein zu holen. Dort erwischte er zwei Frauen vom Gesinde, Schwestern, die sich heimlich an den Vorräten ergötzten. Warum er sie nicht maßregelte, sondern sich auf einen Umtrunk mit ihnen einließ, weiß der Kuckuck. Jedenfalls blieb es nicht ohne Folgen, sie gebaren ihm eine Tochter sowie einen Sohn, meinen Vater nämlich.«

      Die glatt rasierten Wangen des Reedereibesitzers röteten sich leicht. Er überlegte, dann stand er auf und ging zu einer Vitrine. Nachdem er sie geöffnet hatte, beugte er sich zum untersten Fach und ergriff den Hals einer ungewöhnlich geformten Flasche. Mit ihr kam er zurück und hielt sie schräg nach vorn, damit Stormann das stockfleckige Etikett lesen konnte.

      »Stich-pim-pu-li-bock-for-ce-lo-rum.« Diesen Namen sprach Stormann langsam mit Pausen zwischen den einzelnen Silben. »Was für ein seltsamer Begriff. Wofür steht er denn?«

      »Für Stichos, Pimpernuss, Pulque, Liebstöckel, Bocksdorn, Forle, Cerealien, Lotus und Rum vor allem. Dieser Mischmasch ist schuld, dass ich jetzt vor Ihnen stehe.« Eher unwillkürlich nahm der Reedereibesitzer eine aufrechte Haltung an.

      »Originell, sowas gab‘s also damals ...«

      »Gibt es immer noch, diese Flasche jedoch ist aus seiner Zeit, die letzte, die er für sich kaufen ließ. Gehört auch zum Familienerbe, weil er es nicht mehr geschafft hat, sie vor seinem Tod noch zu leeren. Jedoch nicht zum angenehmen Erbteil, welcher mit Sicherheit niemals getrunken werden wird, denn er ist gedacht als Mahnung gegen den Konsum von Alkohol und anderer Drogen. Ich bin deswegen aktives Mitglied in der Gemeinschaft der Guttempler und entscheide mich bewusst, frei von diesen toxischen Substanzen zu leben.«

      »Eigentlich löblich«, murmelte Stormann. »Sehr sogar.«

      »Mein Sohn hat einen Tag nach seiner Volljährigkeit das ‚von‘ aus seinem Namen streichen lassen, nachdem ich ihn vor seinem achtzehnten Geburtstag darüber aufgeklärt hatte. Einen guten Tropfen schätzt er jedoch sehr, zu sehr zu meinem Bedauern.« Hilflos blickend breitete er die Arme aus. »Er kauft sogar die neuen Flaschen von dieser Marke. Davon habe ich auch eine hier, welche auch nie getrunken werden wird. Ich hole sie mal, damit Sie die sich auch einmal ansehen können.«

      »Stichpimpulibockforkelorum, köstlicher Likör«, wiederholte und ergänzte Stormann, dann schüttelte er den Kopf. »Und dieser anstößige Ziegenbock vor der rothaarigen Dame, die wegen ihm ihren kurzen Rock festhält. Das passt ja wirklich wie die Faust aufs Auge.« Spontan legte er den Kopf nach hinten, klatschte die flache Hand auf die Stirn und begann schallend zu lachen. Wenige Augenblicke später jedoch besann er sich und gestikulierte besänftigend. »Bitte entschuldigen Sie vielmals, Herr von Jügesen, ich wollte Sie wirklich nicht brüskieren.«

      »Schon gut.« Malte von Jügesen senior trug die Kräuterliköre zurück zu ihrem Aufbewahrungsort und setzte sich wieder. »Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Damit leben wir nun schon sehr lange und glücklicherweise denkt nur noch die Familie daran. Und mir tut es schon leid, dass ich Ihnen das alles erzählt habe.« Er sah Stormann streng an. »Sie werden das für sich behalten.«

      »Ich schweige wie ein Grab«, beeilte sich Stormann mit der Antwort, beugte sich geflissentlich vor und hob besänftigend die offenen Handflächen.

      »Das hat sehr lange gedauert, bis wir durch untadelige Arbeit diesen Ruf tilgen konnten und unser Unternehmen wieder vergrößert haben, ein Verdienst vor allem von meinem Vater.«

      »Entschuldigen Sie bitte, Herr von Jügesen, im Sinn bin ich gerade wieder Kommissar: Bisher habe ich drei Stiefgeschwister mitgezählt, einschließlich dieses Hans von Reinern.«

      »Das habe ich von Anfang an schon gemerkt: Der Kommissar treibt sich nach wie vor in Ihrem Oberstübchen herum, derzeit befindet er in der Abteilung Recherche.« Mit mildem Spott im Blick betrachtete der Reeder sein Gegenüber, dann winkte er generös ab. »Ist ja auch zu toll, diese Geschichte, denn mein Großvater hat wohl nach der Devise weitergelebt: ‚Ist der Ruf erst mal ruiniert, lebt’s sich ungeniert‘. Er zeugte noch vier weitere Kinder, einmal Zwillingssöhne mit der älteren und zwei Töchter mit der jüngeren der beiden Schwestern. Eins und drei und drei macht nach Adam Riese sieben.«

      »Den Kriminalbeamten in mir werde ich wohl nicht los, über dreißig Jahre