Die klare Sonne bringts doch an den Tag. Klaus Scheidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Scheidt
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783981864267
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von Jügesen. Außerdem erhoffte sich ihr Vater, ein mit finanziellen Widrigkeiten ringender Baron, eine nützliche Beziehung zur Familie von Bismarck. Denn Otto von Bismarck, der ehemalige Reichskanzler, und Ottos Großvater Tormud von Jügesen waren seit ihrer Studentenzeit in Göttingen Korpsbrüder und blieben freundschaftlich verbunden bis zu ihrem Lebensabend.

      Nachdem Otto von Bismarck sich zur Ruhe gesetzt hatte, wurden sie sogar gute Nachbarn und in den letzten Lebensjahren des ehemals eisernen Kanzlers besuchte die Familie von Jügesen ihn häufig in Friedrichsruh im Sachsenwald. Tormuds einziger Enkel wurde dem ehemaligen Reichskanzler zu Ehren auf den Namen Otto getauft; selbstverständlich nahm der alte Bismarck die ihm angebotene Taufpatenschaft an.

      Der kleine Otto erinnert sich kaum an seinen berühmten Paten, denn dieser verstarb wenige Jahre nach der Taufe. Nur noch vage entsinnt er sich, dass er von ihm häufig auf den Arm genommen wurde und ihm viele Altersweisheiten ins Ohr geflüstert wurden. Aber eine davon hat er für immer und ewig behalten: ‚Was du anfängst, mein Junge, mache auch zu Ende; wenn du fehl gehst, stehe dazu und bring‘s in Ordnung!‘.

      Nun ist Otto in den besten Jahren und gerade nach Hause gekommen. Er bedrängt seine Ehefrau, fasst ihre Hände und zieht sie mit sich, denn er will sofort ins Schlafzimmer – gleich nach den Flitterwochen nämlich musste er wieder nach Kiel zur Hochseeflotte und war drei Monate auf See, denn das kaiserliche Deutschland führt Krieg.

      »Am helllichten Tag?« Sein gesittetes Eheweib reagiert zutiefst empört. Zwar hat sie sich monatelang nach ihm gesehnt, jedoch ist das für sie partout kein Grund, die Etikette zu missachten – darauf achtet sie penibel. »Es ist Teezeit.«

      »Zum Kuckuck mit dem Tee, ich war drei Monate auf See!«

      »Jetzt bist du aber nicht mehr im Seekrieg, Otto von Jügesen! Rede wieder anständig und benimm dich endlich, wie es sich als Reichsfreiherr gehört. Du wirst dich wieder gedulden und aushalten lernen müssen. Ich jedenfalls hatte überhaupt keine Umstände damit, für längere Zeit auf die Erfüllung meiner ehelichen Pflichten zu verzichten.«

      Ihm bleibt nichts anderes übrig, als betrübt blickend loszulassen und, sich der Etikette ergebend, darauf zu warten, bis sie die Zeit für gekommen hält.

      Abends jedoch wird ihr, wie seit Tagen, wieder übel und sie klärt ihn darüber auf, dass sie wohl ein Kind von ihm erwartet, was die Erfüllung ehelicher Pflichten ohnehin auf längere Zeit überflüssig mache. Die Freude über den möglichen Nachwuchs hält sich bei ihm in Grenzen, denn ihn treibt gerade anderes um.

      Während die Gattin bereits tief schläft, steht er auf, um in den Weinkeller zu gehen. Er braucht jetzt einen Schlaftrunk. Elektrisches Licht gibt es bei ihm im Keller noch nicht, aber bald, das schwört er sich. Mittels einer Laterne findet er den Weg zu den Fässern und stutzt, als er die eichene Tür zum Flüssigkeitsdepot nur leicht angelehnt sieht. Geräusche dringen durch den Spalt, Gläserklingen und leises Kichern sind zu vernehmen. Er zieht am Griff, schwenkt das Türblatt bis zur Wand, stellt sich in Positur und reckt die Laterne ins Dunkle.

      »Was geht hier vor?«, schnarrt er, ganz der Offizier. Breitbeinig mit in die Hüfte gestemmter linker Faust blickt er hinab in den Kellerraum. Was er im Licht der Laterne und den flackernden Flämmchen von zwei Kerzen auf einem winzigen Tisch sieht, verschlägt ihm die Stimme: Zwei in Wolldecken eingemummelte Frauen hocken dort unten und scheinen sich am flüssigen Schatz des Hauses zu laben.

      Als junge Mädchen traten die Schwestern Willmersen ihre Stellen als Dienstmägde bei den Herrschaften von Jügesen an, lange bevor der von Deutschland durchaus gewollte Krieg ausbrach. Obwohl nun im besten Heiratsalter wirtschaften sie immer noch im Herrenhaus. Zutiefst erschrocken sind sie jetzt und blicken bänglich auf. Im nächsten Augenblick jedoch erkennen sie die Gunst der Stunde, denn der schneidige Oberleutnant mit dem nach beiden Seiten gezwirbelten hellblonden Oberlippenbart und den gegelten glatt nach hinten gekämmten Haarsträhnen gefiel ihnen schon, als er noch in der Pubertät steckte.

      »Huch, da haben Sie uns aber einen gehörigen Schrecken eingejagt, Herr Oberleutnant von Jügesen.« Die Martina sagt das, die Jüngere. Sie schmeißt den ganzen Haushalt, ist die geistesgegenwärtigere und hübschere von beiden. Außerdem macht der Alkohol intus sie schon etwas mutiger. »Unsere Arbeitstage sind so anstrengend, da brauchen wir mal hin und wieder etwas zum Ausgleich.«

      »Ihr sauft meinen Wein!«

      »Nur ein klitzekleines Gläschen war‘s, wir haben nämlich etwas noch Besseres.«

      »Auch aus meinem Lager? Auch geklaut?«

      Geübt macht die Martina ein Schnütchen. »Aber Herr Oberleutnant von Jügesen, sein Sie doch nicht so streng zu uns. Sie wissen doch, wie fleißig wir für Sie jeden Tag zu Werke gehen. Gönnen Sie uns doch diese kleine Belohnung.« Jetzt schnurrt sie sogar ein wenig.

      Recht hat sie, die Martina, denkt er sich, die beiden sind eilfertig. Jedesmal sieht er das, aber er weiß nicht, dass sie nur so flott sind, wenn dies von ihm bemerkt werden kann. Trotzdem müsste er nun den Freiherren herauskehren und für Zucht und Ordnung sorgen. Lust dazu hat er nicht, denn deswegen hat er sich nicht hierher geschlichen.

      »Was Besseres soll ich denn noch auf Lager haben als meinen edlen Wein?«, fragt er lauernd, während er das Türblatt hinter sich sacht ins Schloss zieht und die Stufen hinabgeht.

      »Das hier!«, meldet sich zum ersten Mal die Josefa zu Wort; die Ältere herrscht über die Küche. Sie umfasst eine kantige, nachtdunkle Flasche und hebt sie ein wenig an. »Dieser ganz feine Likör, Herr Oberleutnant von Jügesen.« Dumm ist sie nicht; sie hat darauf geachtet, wie ihre Schwester mit dem Herrn umgeht, und macht es ihr nach. Josefa schnalzt mit der Zunge, verzückt auf die Flasche blickend.

      »Das habe ich hier im Keller?« Otto tritt an den niedrigen eichenen Tisch, nimmt der Köchin die verstaubte Flasche ab, hält diese gegen das schummrige Licht der Laterne und mustert das stockfleckige Etikett. »Nanu, dieses Zeugs kenne ich ganz bestimmt nicht.«

      »Hat Ihr hochverehrter Vater stets besorgen lassen und gerne getrunken«, flüstert die Martina ihm ins Ohr, denn er steht vorgebeugt neben ihr. Hastig richtet er sich auf und blickt düster, denn der Vater ist erst ein Jahr tot, in Frankreich während der Schlacht an der Aisne heldenhaft gefallen fürs hehre deutsche Vaterland. Erschrocken hält die jüngere Schwester die Hand vor den Mund. »Nun kann er‘s nicht ja mehr. Das tut mir ja immer noch so leid.«

      »Schon gut«, murmelt Otto von Jügesen. Seine Trauer hält sich in Grenzen, denn seinem Erzeuger trägt er nach, ihn zum Militärdienst auf hoher See gezwungen zu haben. Er wäre lieber Kunstmaler, frei schaffend hoch oben auf irgendeiner Bergalm. »Es ist zu dunkel hier, die Schrift kann man kaum lesen.«

      »Aber schmecken kann man‘s selbst im Finsteren«, säuselt die Martina, nimmt ihm kurzerhand die Flasche ab und gießt ein in ihr Wasserglas, halbvoll. »Probeschlückchen gefällig?«

      »Ist denn hier kein Glas übrig?«

      »Ach was, Herr Oberleutnant von Jügesen, von meinen Mundabdrücken werden Sie doch wohl nicht krank.«

      »Na gut, meinetwegen.« Im Grunde macht es ihm gar nichts aus, denn auf See unter seinesgleichen ist er raue Sitten gewöhnt, aber hier muss er den feinen Herrn geben. »Ich erlaube mir diesen einen Schluck.«

      Im Kerzenlicht mustert er mit skeptischem Blick den gläsernen Rand, dreht das Glas, bis er die sauberste Stelle findet, und nippt. Der Likör brennt auf der Zunge, erhitzt den Rachen und rinnt spürbar hinab zum Magen. »Aaah.«

      »Na bitte, haben wir zu viel versprochen?«

      Er schüttelt den Kopf, setzt ab und nimmt sich vor, zu gehen, obwohl er lieber einen zweiten Schluck nehmen würde.

      »Das war doch noch gar nichts, der Geschmack kommt doch erst mit den nächsten paar Schlückchen.«

      »Hm«, brummt er nur, hebt das von der Martina hastig nachgefüllte Glas an die Lippen. Während des Trinkens reckt er den Kopf immer weiter nach hinten, sodass der Bodensatz der Flüssigkeit direkt den Hals hinab träufelt. »Aaah.«

      »Schmecken