Die klare Sonne bringts doch an den Tag. Klaus Scheidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Scheidt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783981864267
Скачать книгу
im Gegenteil, wir sind nur zu dritt.« Von Jügesen senior schüttelte den Kopf. »Vier sind im Krieg und in der Zeit kurz darauf samt ihren Nachfahren gestorben, nur die beiden jüngeren Zwillingssöhne leben jetzt ... leider ..., und das muss ich wirklich und aufrichtig nicht nur einmal sagen, leider immer noch. Wenigstens habe sie keine Nachkommen.«

      »Dann ist Ihr Erbhof ja doch nicht übervölkert.« Stormann schmunzelte, dann hob er die Brauen. »Aber wieso leider?«

      Von Jügesen senior seufzte, als wäre ihm gerade eine schwere Last aufgebürdet worden. Er zögerte und lehnte sich weit zurück, bevor er weitersprach. »Meine verstockten und absolut unverbesserlichen Onkel sind vor etlichen Jahren ausgewandert.« Wieder zögerte er. »Nach Chile.«

      »Wieso haben die denn nicht das Gut als Alterssitz gewählt?«

      »Das haben sie nicht!« Die Antwort kam rasch und heftig, der Reeder schluckte kurz, bevor er fortfuhr. »Nur ich und meine Familie genießen dort unsere Freizeit. Ansonsten kümmert sich ein Hausmeister um das Anwesen.« Er hob beide Hände wie zur Abwehr, um das Ende des Themas zu signalisieren. »Was haben Sie denn nun über meinen Sohn zu erzählen?«

      Etwas verlegen zuckte Stormann die Achseln und blickte wie jemand, der wesentlich weniger zu bieten hat als der andere. »Meine Geschichte ist schneller erzählt: Ihr Sohn brauchte Geld als Anmeldegebühr für seine Abschlussprüfung in Seerecht. Er wollte Ihnen gegenüber nicht zugeben, dass er seinen Etat gesprengt hatte, und hat mir das Märchenbuch der Brüder Grimm verkauft, wo eben dieser Zettel drin war. Warum sein Geld nicht gereicht hat, hat er mir natürlich nicht gesagt. Aber ich verspreche Ihnen, Ihre Geschichte für mich zu behalten.«

      »Bestimmt hat er wieder einmal sein Geld für nichts Gescheites ausgegeben.« Ruckartig erhob sich von Jügesen senior und blickte unwirsch. »Dieser Luftikus!«

      Auch Stormann stand rasch auf, denn er verstand, dass dieses Gespräch beendet war. »Eine Frage noch, mehr ein Anliegen.« Er zeigte zum Fenster. »Das Fernrohr ist doch auf die Außenalster gerichtet? Ich würde sehr gerne mal kurz hindurchschauen.«

      »Bitte sehr. Eigentlich gehört es auf die Brücke eines unserer Schiffe. Es ist für einen auswärtigen guten Kunden als Demon- stration für ein paar Tage hier aufgestellt worden.«

      Auf diese Gelegenheit hatte Stormann schon gewartet und beeilte sich, das Beobachtungsgerät einzurichten. Er stellte das System scharf auf den Alster-Anleger und schwenkte das Rohr behutsam nach links, bis er seinen Ex-Kollegen entdeckte. Er zentrierte ihn im Fadenkreuz und verfolgte die stumme Szene, die sich ihm bot: Zwei Hamburger Polizisten auf Fußstreife flankierten den auf seinem Klappstuhl hockenden Brüwer; der eine nahm ihm soeben die Angelrute weg, der andere hob einen enzianblauen 20-Liter-Plastikeimer hoch, trug ihn rasch zur Alster und schüttete, inmitten eines Wasserschwalls, einen klitzekleinen Fisch zurück in sein Element.

      Zurückgekommen ermahnte dieser mit erhobenem Zeigefinger den Fischwilderer, der nun, im Bewusstsein seiner Schuld, zu einem Zwerg zusammengeschrumpft schien. Der hochrote tief eingezogene Kopf von Brüwer sowie sein eifriges Nicken schienen die beiden Streifenbeamten jedoch zu besänftigen. Derjenige, welcher ihm die Angelrute fortgenommen hatte, schrieb weiter auf seinem Notizblock, während der andere nun Anstalten machte, den ehemaligen Kriminalhauptkommissar zu ...

      »Ahem«, ließ sich der Hausherr vernehmen, lauter nun als beim ersten nicht wahrgenommenen Räuspern. »Dauert es noch lange?«

      Ruckartig richtete Stormann sich auf. »Schon gut, Herr von Jügesen.« Bedauernd blickend nahm er die Hände von den Rädern zum Justieren. »Ich habe genug gesehen.« Hastig drehte er das Fernrohr in die Ausgangsposition zurück und arretierte es. »Und vielen Dank, dass Sie mir zu diesem wirklich ergötzlichen Ausblick verholfen haben.«

      »Na ja. Wenn es sie ein wenig erfreut hat.« Von Jügesen senior nickte gönnerhaft. »Bitte schön.« Jedoch änderte sich sein Blick und wurde bestimmter. »Aber nun ...«

      »Ich habe ohnehin noch etwas Wichtiges zu erledigen.« Stormann wandte sich zum Gehen.

      Am Abgang zum Treppenhaus verabschiedete sich der Hausherr von seinem Gast. »Wegen des Rückerwerbs von dem Buch melde ich mich ganz sicher bei Ihnen«, rief er ihm noch nach.

      *

      Freie und Hansestadt Hamburg, Bezirk Hamburg-Mitte,

      Stadtteil Sankt Georg, Tavérna Drákon

      Sonntag, 26.08.2001, 20:45 Uhr

      »‘N Abend, Kalli. Wo bleibst du denn schon wieder?« Mit vorwurfsvollem Blick sah Brüwer auf und stellte seinen halb vollen und bereits schaumfreien Bierkrug ab. »Wolltest du nicht ausnahmsweise mal pünktlich hier sein?«

      »Guten Abend, Klemmi.« Stormann wiegelte ab mit besänftigenden Handbewegungen und schob sich gegenüber auf die hölzerne Sitzbank hinter den am Boden festgeschraubten Tisch mit blauer Marmorplatte. Schon seit vielen Jahren bevorzugten sie diesen Erker, denn hier konnten sie unter sich bleiben. »Ich habe mich sogar beeilt, denn ich hatte nach dem Gespräch mit Malte von Jügesen senior, der Vater heißt wie der Junior, aber mit von – warum, das erkläre ich dir später –, erneut einen Abstecher zum Fischmarkt gemacht. Heute Abend habe ich mich nur verspätet wegen einer überpünktlichen eS-Bahn, die mir vor der Nase weggefahren ist.«

      »Kein Wunder bei deinem Schneckentempo.«

      »Erstens kann ab und zu etwas schiefgehen und ...«

      »Ich weiß: Shit happens!«

      »... und zweitens bin ich nun Rentner.« Immer noch gelassen winkte Stormann ab, dann tastete er die Ausbeulung seiner rechten Manteltasche ab und blickte vielsagend. »Aber es scheint sich heute schon zum zweiten Mal gelohnt zu haben.«

      »So?« Brüwer hob die Brauen, während er mit der freien Linken abwedelte. »Das muss es auch! Denn mich schon wieder einfach sitzen zu lassen ...«

      »Was ist denn schon groß dabei. Du machst doch beim Biertrinken sowieso nichts anderes.«

      »Und ob. Man denkt über das Leben, die Welt und den Rest des Universums nach. Man kann sich an einen unserer Mordfälle erinnern, die ja immer in der Zeitung standen. Zum Beispiel an die große Sache im Angelcenter von Schnelsen, wo du auf sämtlichen Fotos der Pressefritzen käseweiß aussiehst. Ich hatte schon Sorge, dass du einen Magenstrahl auf eine der Kameralinsen schießt. Dabei hatten wir bloß eine nackte Leiche gefunden in der mannsgroßen Metallkiste randvoll mit pappsatten Tauwürmern und ...«

      »Hör bloß auf!«

      »Ja! Jetzt siehst du genauso aus wie damals!« Brüwer lachte bollernd. »Aber die war ja auch zugerichtet wie ...«

      »Hör sofort auf, sonst gehe ich wieder.«

      »Ja, ja, schon gut. Nur fällt mir nichts anderes ein, wenn ich mal ein Bierchen trinke.«

      »Du brauchst nur zu wollen. Zum Beispiel hättest du gerade eine wunderschöne Reise mit deiner Frau planen können.«

      »Hör bloß auf!«

      »Ja, ja, jetzt schüttelst du dich.« Stormann lachte leise und blickte gönnerhaft. »Zum Beispiel könntest du mit ihr nächstes Wochenende einen Flug nach ...«

      »Hör sofort auf, sonst sage ich Georgios, dass er dir Hausverbot erteilt! Meine Frau geht doch noch jahrelang arbeiten und hat nie Zeit für mich, weil sie mich als Rentner nicht mehr für voll nimmt. Das weißt du ganz genau.«

      »Und du weißt ganz genau, wovor ich mich ekle. Also, sind wir jetzt endlich mal quitt?«

      »Endlich mal? Ausnahmsweise. Geooorgiooos!« Hinter dem Tresen der Bar hantierte der griechische Inhaber des Restaurants. Als dieser nun erfreut aufblickte, schnippte Brüwer mit den Fingern. »Ein großes kühles Blondes für meinen allerbesten Freund. Und für mich auch noch eines.«

      So unauffällig wie möglich zog Stormann ein handtellergroßes Bündel aus der rechten Tasche seines Mantels, legte den in einen weißen Lappen gewickelten Gegenstand sacht auf den Tisch