Tag X. V. S. Gerling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: V. S. Gerling
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956691447
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für die Ermittlungsbehörden gearbeitet. Zuerst als normaler Polizist, später dann als Zielfahnder des BKA. Zuletzt habe ich gemeinsam mit anderen Kollegen unter der Führung des damaligen Kriminalrates Rainer Schranz das Amt für Innere Sicherheit aufgebaut. Als Herr Schranz ins Innenministerium wechselte, habe ich das Amt geleitet. Ich weiß also, wovon ich spreche.«

      Wittgenstein und Hoffmann sahen sich an.

      »Das wird jetzt interessant …«, sagte Wittgenstein.

      17

      »Glauben Sie wirklich, die haben mir das schriftlich gegeben?«

      Nicolas Eichborn

      Kuhlmann schien ganz hingerissen zu sein, dass ich mich zu Wort gemeldet hatte.

      »Herr Eichborn, bevor Sie Ihre Frage stellen, möchte ich mich zunächst bei Minister Schranz rückversichern, dass Sie auch tatsächlich der sind, für den Sie sich ausgeben.«

      Für wie bescheuert hielt mich der Vogel eigentlich?

      Er wandte sich an Schranz. »Herr Minister, können Sie bestätigen, dass es sich bei dem Mann um Herrn Eichborn handelt, Ihren ehemaligen Mitarbeiter?«

      Schranz nickte. »Ja, das kann ich bestätigen.«

      Kuhlmann strahlte. »Vielen Dank.« Er drehte sich wieder zu mir herum. »Herr Eichborn, stellen Sie bitte Ihre Frage.«

      Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Frage. Aber ich möchte zu dem, was in den letzten Minuten gesagt wurde, Stellung nehmen.«

      Kuhlmann nickte mir auffordernd zu. »Bitte, legen Sie los.«

      »Sie haben recht, wenn Sie bezweifeln, dass die Spitzenpolitiker wissen, was in den normalen Bürgern vor sich geht. Um es mal ganz deutlich zu machen: Es ist ihnen scheißegal. Wissen Sie, was einer dieser sogenannten Spitzenpolitiker einmal zu mir sagte, als ich anmerkte, dass das, was er vorhat, nicht dem entspricht, was vor der Wahl versprochen wurde? Wahlkampf ist Lyrik, regieren Prosa. Im Klartext heißt das: Versprich den Leuten vor der Wahl das, was sie hören wollen. Bist du erst gewählt, können sie sich eh nicht mehr wehren. Politik in all ihren Facetten ist der Grund, warum ich meinen Dienst quittiert habe und in die Privatwirtschaft gegangen bin.«

      Kuhlmann nickte, als hätte er das alles schon gewusst. »Können Sie, was Ihre Beweggründe betrifft, den Dienst zu kündigen, etwas mehr ins Detail gehen? Immerhin waren Sie Beamter und somit mehr als abgesichert. In der Privatwirtschaft tragen Sie das volle Risiko. Es muss sehr gute Gründe gegeben haben, um diesen Schritt zu gehen.«

      »Man bot mir eine Beförderung zum Kriminaldirektor an, wenn ich gewisse Ermittlungsergebnisse unter den Tisch fallen lassen würde. Beweise, die für die damalige Regierung unangenehm gewesen wären. Je höher ich kam, desto größer und besorgniserregender wurden die Mauscheleien.«

      »Das klingt jetzt aber sehr nach Bananenrepublik, Herr Eichborn.«

      »Da stimme ich Ihnen zu.«

      »Können Sie das, was Sie da behaupten, beweisen?«

      »Glauben Sie wirklich, die haben mir das schriftlich gegeben?«

      »Nein, sicher nicht. Aber ohne Beweise ist es schlicht eine Behauptung.«

      »Um ehrlich zu sein, es ist mir egal, ob Sie mir glauben. Der Minister weiß, dass das, was ich sage, stimmt. Bestätigen wird er das natürlich nicht. Aber das ist es ja nicht alleine. Wenn Sie so lange in der Strafverfolgung tätig waren wie ich, wird Ihnen sehr schnell deutlich vor Augen geführt, wie beschissen unser Rechtssystem ist.«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Sind Sie verheiratet, Herr Kuhlmann?«

      »Äh … nein.«

      »Vorbestraft?«

      »Natürlich nicht.«

      »Sehr gut. Nehmen wir an, Sie wären verheiratet. Und nehmen wir weiter an, Sie hätten keinen Bock mehr auf Ihre Frau. Fahren Sie nach Hause, trinken Sie drei Flaschen Bier und dann, wenn Ihre Frau heimkommt, erschlagen Sie sie. Jetzt suchen Sie sich einen guten Anwalt und dem erzählen Sie, dass Ihre Frau Sie aufs Schlimmste beleidigt und provoziert hat, bevor Sie zuschlugen. Nicht vorbestraft, fester Wohnsitz, angetrunken. Sie kommen mit einer Bewährungsstrafe davon. Aber wehe, Sie hinterziehen Steuern. Da ist man hinter Ihnen her, als wären Sie ein Terrorist. Ab einer bestimmten Höhe wandern Sie dafür sogar in den Knast. Unabhängig davon, ob Sie vorbestraft sind oder nicht. Wenn man dem Staat Geld wegnimmt, dann setzt er alles in Bewegung, um einen zu bestrafen. Ein Menschenleben hingegen hat ganz offensichtlich weniger Wert. Mal ehrlich, da stimmt doch was nicht.«

      Lautstarker Applaus setzte ein.

      Ich nahm wieder Platz.

      Das Schminkmonster neben mir beugte sich zu mir. »Ich glaube Ihnen«, raunte sie mir zu.

      Klasse. Ich hatte einen neuen Fan.

      18

      »Das ist schade.«

      Leonard Wittgenstein

      »Interessant«, sagte Wittgenstein leise. »Was meinst du?«

      »Der Typ gefällt mir. Er könnte nützlich sein.«

      Wittgenstein zündete sich eine Zigarette an und nahm nachdenklich einen Zug. »Wir müssen ihn natürlich überprüfen, bevor wir Kontakt zu ihm aufnehmen.«

      »Selbstverständlich. Ich werde das sofort veranlassen.«

      »Was meinst du, lassen wir ihn überwachen?«

      »Auf jeden Fall. Wir wollen doch kein unnötiges Risiko eingehen«, sagte Hoffmann.

      »Drei Zweier-Teams, sieben Tage, vierundzwanzig Stunden für ... sagen wir, eine Woche, das wäre angemessen, oder?«

      Hoffmann nickte. »Das sollte reichen. Wir machen einen Hintergrund-Check und wenn uns gefällt, was wir finden, werden wir die Überwachung starten. Geschieht nichts Verdächtiges, nehmen wir über Dietrich Kontakt zu ihm auf.«

      »So machen wir das.«

      »Apropos Dietrich, wo bleibt der Kerl?«

      Wittgenstein warf einen Blick auf seine einhundertfünfzigtausend Euro teure Armbanduhr. »Sollte seit sechs Minuten hier sein«, bestätigte er.

      »Ich hasse Unpünktlichkeit«, sagte Hoffmann. »Sie ist ein Zeichen von Disziplinlosigkeit.«

      Fünf Minuten später klopfte es an der Tür.

      Hoffmann spähte durch den Türspion und ließ Dietrich herein.

      »Sie sind elf Minuten zu spät«, sagte er zur Begrüßung.

      »Ein Unfall am Potsdamer Platz hat mich aufgehalten«, versuchte Dietrich eine Erklärung.

      Sie setzten sich an den großen Esstisch.

      Wittgenstein ergriff das Wort. »Haben Sie den Namen Nicolas Eichborn schon mal gehört?«

      Dietrich grinste. »Sie haben auch die Talkshow gesehen, nicht wahr?«

      Hoffmann und Wittgenstein wechselten einen kurzen Blick.

      Jeder konnte in den Augen des anderen dieselbe Wahrheit erkennen.

      Dietrich war ganz sicher nicht der angenehmste Mensch auf Erden. Aber er besaß Eigenschaften, die für ihr Unterfangen von unschätzbarem Wert waren.

      Klugheit, Skrupellosigkeit, aber auch ein umfangreiches Netzwerk an Vertrauten und Informanten machten ihn so wichtig. Es wunderte sie nicht, dass er die Gesprächsrunde gesehen hatte. Noch weniger wunderte es sie, dass er wusste, wer Eichborn war.

       »Dann klären Sie uns mal auf«, forderte Hoffmann.

      »Nicolas Eichborn, ehemaliges hohes Tier beim BKA mit guten Verbindungen zum jetzigen Innenminister. Der war übrigens der erste