Sitten, Strolche & Strategen. J. J. Juhnke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. J. Juhnke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783968588216
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wird man nie ganz entschlüsseln können. Bei Macken und Merkmalen von blauem Blut Inhabern tippt mein Vater gerne auf Inzucht, aber das ist eine ganz andere Problematik. Seine Haltung, seine Körpersprache, ähnelte in keiner Weise der unserer Generation. Mit seiner bestimmenden Stimme konnte er ein Fußballfeld beschallen, oder natürlich einen Kasernenhof. Man muss ihn schon als starke Persönlichkeit anerkennen, um ihn nicht kritisch zu sehen. Der Oberst war, in seiner Position ein einsamer Mann, dafür bekam er viel Respekt. Ein Übriges tat sein Redetalent, in der Nähe von Fahnen und Sonnenblumenfeldern. Er war die uneingeschränkte Nummer Eins, solange kein Gast, wie Wolga Wolf, oder ähnliche Kaliber, auf der Domäne logierten. Manchmal sehe ich den alten Zwölfender (wie Rudi ihn nannte) noch heute, in meinen Tagträumen, mit seinem Pferd über die Felder reiten. Ohne die Zustimmung vom Oberst lief kein Geschäft mit der Vergangenheit. Sein Rang und die "Ponderosa" machen ihn zum Führer der Männer vom Widerstand, wie sie sich einschätzten. Durch unser vorzeigbares Aussehen, als Junkerschulen Anwärter und dem Vertrauen in unsere Loyalität und Verschwiegenheit, wurden wir immer mehr, für Besorgungen und spezielle Dienste, herangezogen. Zum Beispiel musste der Mercedes W 189, vom Oberst, immer blitzblank gehalten werden. Lange hatten die Männer nach einem Mercedes W 150 suchen lassen, aber ohne Erfolg. Das wäre ein Verkaufsschlager geworden, da war sich Vater sicher. Vorausgesetzt, der Oberst hätte sich wieder von ihm trennen können. Wir kümmerten uns um den Benz, wir halfen bei den Pferden, wir arbeiteten bei der Ernte, beim Auf - und Abbau von Domäne Festen, durften mit putzen und polieren von Fundstücken unsere Finger blutig scheuern, oder bei der Jagdhütte helfen, wenn die Amerikaner draußen waren. Im Hochsommer saß man gerne im Garten und somit konnte ich ganze Abende den Gesprächen der Männer zuhören. Ich saß schweigend im Gras und versuchte unbemerkt zu bleiben. Dann wurde ungefiltert über erlebtes gesprochen, oder Kriegsberichte aus Büchern von Konsalik, Simmel oder Kirst zensiert. Vor dem Herrenhaus der Domäne, am Ende der Zufahrt, lag der große Kieselsteinplatz. Bei strahlendem Sonnenschein glitzerten die Kiesel und man hielt sich die Hand vor Augen, so hell strahlte es. Hier entluden die Blechkarossen ihre Fracht aus Erinnerungsträgern, wie den Albino. Eines denkwürdigen Tages fuhr ein Taxi den Kiesweg hoch und brachte den "Indochina Albino" vor die Tür. Mit weißem Haar und sonnengegerbter Haut, direkt Francos Costa Blanca entsprungen. Das war ein großes Hallo und beide, der Oberst und der Albino, vergossen dabei ein paar Tränen. Es wurden sofort ein paar Leute für den Abend eingeladen und bis in den Morgen im Rauchsalon gefeiert und diskutiert. So erfuhr ich, als Ordonanz dieser Nacht, einiges aus dem Leben vom "Schneewalzen Kommandanten", was früher der Spitzname vom Albino war, aus der Zeit der Winterschlachten, Häuserkämpfe und Flammenwerfern. Der Oberst hatte seinen zuverlässigen Mann, in Österreich, aus den Augen verloren. Im Sonderlager für Schutzstaffel Angehörige machte man dem Albino ein Angebot das er, in seiner unübersichtlichen Situation, kaum ablehnen konnte. Auch kam eine Überstellung an die Russen einem Todesurteil gleich. Schon klar, dass die Franzosen scharf darauf waren Doppel- Runen Träger in die Fremdenlegion zu bekommen, auch für eine spätere Verwendung in Indochina. Soldaten vom Afrikafeldzug und der Ostfront waren begehrt. Besser als die eigenen Leute zu verheizen. So wurde er auch in den Kessel von Dien Bien Phu geworfen. Ohne seine erworbenen Erfahrungen von den europäischen Fronten hätte er kaum überlebt und der Rest war pures Glück, erzählte er uns dann. Der Albino sagte mal im Kreis der wilden 13: >Die Schlitzaugen hatte ich schon in Frankreich vor der Flinte und dann wieder in Asien. Ich ging mit geringen Erwartungen dort hin und kam enttäuscht zurück. Aber natürlich<, bestätigte der Oberst: >Auch mit unseren Elite Kämpfern kann man eine Kesselschlacht, wie Dien Bien Phu, nur gewinnen, wenn man bereit ist die gesamte Führung unter Wehrmachtkommando zu stellen. Tausende, aus Gefangenschaft in die Fremdenlegion gepresste Soldaten, wurden durch Fehleinschätzung der strategischen Lage verheizt. Da hätte der Führer nur feststellen können: Die Planung war französisch! Der Albino wurde im Herrenhaus einquartiert und blieb uns eine ganze Zeit erhalten. Einmal holte er eine alte Blechschachtel heraus, zeigte uns Wehrmacht Orden und französische Orden. Erzählte, für welche Taten, er welchen bekommen habe. In den unmöglichsten Situationen textete er uns. Zum Beispiel bei der Heuernte meint er mal: >Jungs, hört mir zu, denn ihr werdet einmal die Zeiten verstehen müssen! Die Welt, aus der eure Väter und ich stammen, ist vernichtet. Sie existiert nur noch, weil sie so ersatzlos gestrichen wurde. Eure Generation wird es sein, die wieder in globale Verteilungskämpfe gerät. Leider sieht man die Kugel selten kommen, die einen tötet. Zumal wir diese Kämpfe bis jetzt verloren haben. Gewiss werdet ihr auch in Blut baden. Wieder ausgelöst durch Verteilungskämpfe, Religions- und Rassenkonflikte. So heißen diese Seuchen. Da würde ich drauf wetten<. Oder er erzählte uns von den Zeiten der Tanzsäle, als das noch Orte der Romantik waren, wie er meinte. Als die alten Zeiten noch neu waren. Dann schien er fast normal zu sein. Aber dann haute er wieder solche Sprüche raus: < Als Mann von Treue und Idealen kannst Du nur wählen, jage ich diesen Panzer sofort in die Luft, oder warte ich noch auf die zwei anderen dahinten? Das Risiko ist höher, aber dann sind 3 Panzer vernichtet<. Von Rehm wusste ich, dass Stuka den Indochina Albino zum Ehemaligentreffen, irgendwo im Harz, mitnahm. Lametta Treffen, nannte Rudi das. Stundenlang hätte man andächtig dem langjährigen Soldaten zugehört, erzählte er uns. Um das Haus war viel Garten und manche nannten es Park. Mit Bäumen, sonnigen Rasenstücken, Ziersträuchern und Ruhebänken. Am Ende befand sich ein freier Platz, als Feuerstelle für entsprechende Anlässe, wie an Ostern. Als Ersatz, für die problematisch gewordene Sonnenwendfeier. Dahinter begann das Sonnenblumenfeld, was den Männern viel mehr symbolisierte, als man mit bloßem Auge zu erkennen vermochte. Die Gleichgesinnten und ihre Gäste hielten sich überwiegend im Kaminzimmer auf, mit Durchgang zum Rauchsalon. Obwohl natürlich überall geraucht wurde. Als Blickfang diente das Führerbild, über dem Kamin. Seine Anwesenheit hatte eine, über allem, schwebende Gegenwart. Zusätzlich stand eine Bronzebüste (eine echte) auf einem Marmorsockel. Er war im selben Raum mit ihnen und durchwehte ihre Köpfe immer noch. Unter dem Gemälde stand trotzig geschrieben: ein Volk, ein Reich, ein Führer! Egal, wo ich mich im Zimmer befand, sein Blick ruhte immer auf mir. Oft haben die Männer unter diesem Bild gesungen:

      Auch ich war einst ein feiner Csárdás Kavalier,

      hab kommandiert Zigeuner, gerade so wie ihr!

      Hab mir die süßen Geigen singen lassen,

      die Dukaten springen lassen, gerade so wie ihr!

      Nach all den Jahren existiert ihre Erinnerung hauptsächlich im Glanz einer Märchenwelt. Robert, der Ostpreuße, wünschte sich die lange Gasse in Danzig zum Neptun Brunnen zu gehen und durch die Rominter Heide zu reiten. Am Kamin hielt er sein Glas in die Höhe und brachten immer denselben Spruch über die Lippen: >Mein Herz ist aus goldenem Bernstein von der kurischen Nehrung und meine Seele stammt aus dunklen masurischen Wäldern. Und der Görlitzer wollte noch einmal ins Riesengebirge, nach Stonesdorf zum Schloss, da wo sie den Likör gebrannt haben. Dann rauf zur Schneekoppe und ein letztes Mal dem Rübezahl begegnen. So hängen die Heimatvertriebenen ihren Träumen hinterher. Vielen blieb er bis zum Lebensende unerfüllt. Aber wer weiß schon was sie dort erwartet hätte. Vielleicht war es besser so. An solchen Abenden wartete ich darauf das der Oberst in den Rauchsalon, zu den vielen sympathischen Bildern, bat. Mit dem Ortswechsel änderte sich auch die erzählten Geschichten. Die bald von Zigarrenrauch durchzogenen privateren Erlebnisse kamen meiner Interessenlage entgegen. Nie werde ich die Ölgemäldegalerie vergessen. Dort hingen Schinken an den Wänden, allesamt slawische, italienische, mit Sicherheit fremdländische Mädchen abbildend. Prachtexemplare ausgewählter Schönheiten allesamt mit Schlafzimmeraugen und zum Verweilen einladend. Eine Sammlung von Töchtern besonderer Sorten, denen der Oberst auf diese Weise seine Vorliebe zollte. Portraits von zigeunerhaft wirkenden Südländerinnen mit straffen Busen im Dekolleté, als Tänzerin mit einer Rose im Mund, mit Gitarre, am Meer, beim Karten legen, sogar Brustbilder mit halbnacktem Busen hingen fest an der Wand. Das waren Bilder verzaubernder Verführbarkeit, die die Herren, zu gegebener Stunde, wohl zu inspirieren vermochten. Als Kitsch, Folklore oder Kunst, lag allgegenwärtig ihr Sex in der Luft. Spätestens, nach der Sache beim Kessel von Demjansk (7000 Tote Waffen SS Männer und danach hielt die US Armee in Österreich nicht ihr Versprechen und übergab viele Überlebende in den sicheren Tod, an die Sowjets) konnte der Oberst nicht mehr zum Freund der westlichen Schutzmacht werden. >Es gibt Ereignisse an die man sich immer erinnern wird,< sprach der Oberst.> Die erste Uniform, die erste Schlacht, die erste Frau und das