In der Gruppe-Süd bastelten und erprobten viele charismatische Männer an neuartigen Vögeln aus Eisen. Im Sommer 39 hob das erste, von Raketen getriebene, Flugzeug ab. Ein schneidiger Flieger war er und mutig muss er auch gewesen sein, sonst war man nicht Testpilot in einer Erprobungsstelle der Luftwaffe. Dabei zu sein, sei so spannend und zukunftsweisend, sagte er öfter zu ihr. Er kam mit dem Wirbel in die Versuchsanstalt gespült, die der Auftritt von Hitler und Göring verursachte. Stundenlang donnerten die verschiedensten Flugzeugtypen über das Gelände, direkt neben dem See, in dem viele Prototypen versanken. In diesem Sommer lagen sie auf sonnenbeschienenen Segelbooten, trieben im Wind die Seenplatte entlang und sprachen von der Zukunft großer Aussichten. Aber bereits zu Beginn des Krieges, den man später den zweiten Weltkrieg nennen wird, wurde er abkommandiert um Blitze aus Wolken zu werfen. Ein Flieger Ass, dass schon im Herbst desselben Jahres mit seiner Maschine, über dem englischen Kanal, verschollen blieb. Für Führer, Volk und Vaterland. Als mein Vater in Rechlin auftauchte, man hatte ihn zum Testen von neuartigen Fallschirmtypen abkommandiert, war das Flieger Ass schon abgetaucht. Zu jener Zeit war am Wochenende die blauen Maus, eine Dorfkneipe, brechend voll mit Soldaten und den jungen Mädchen des Dorfes. Hier werden sie sich eines Tages über den Weg gelaufen sein. Meine zukünftige Mutter feierte um zu vergessen, mein zukünftiger Vater feierte, weil es Wein, Weib und Gesang gab.
Außer einen gemeinsamen Ausflug an die Ostsee, haben die beiden nichts miteinander unternommen. Er ging zu diversen Fronteinsätzen und sie sah auf dem Flugplatz Menschen und Maschinen, kommen und gehen. Erst Jahre später, unter schlechteren Umständen, war die Zeit reif für die beiden. Ab Mai 44 kamen die ersten amerikanischen Bomber geflogen und entluden sich über dem Testgelände. Im April 45 kam der Betrieb völlig zum Erliegen und Mutter setzte sich befehlsgemäß, mit anderen Mädchen westwärts ab.
In einem Lazarett, wohin sie dienstverpflichtet wurde, traf sie, schicksalhaft, wieder auf meinen Vater.
Der Fallschirmspringer, reiste mit der Wehrmacht nach Polen, Holland, Frankreich, Norwegen und Russland. Als 1944 seine Kampfeinheit aufgelöst wurde, nahm er Angebote an etwas gegen Partisanen, Deserteure und andere Landplagen, zu unternehmen, wie er behauptet. Lieber wäre er bei den restlichen Fallschirmjägern geblieben, als Ausbilder zum Beispiel. Aber seine Verwundungen, durch Kugeln die er sich in der Luft eingefangen hatte, verhinderten eine zuverlässige Tauglichkeit dafür, sowie das Fehlen von Flugzeugen und Benzin. Er sagte mal dazu: >Die ganze Zeit, in denen es keine Flugzeuge mehr gab, aus denen ich hätte springen können, dachte ich, es sei gar nicht mehr nötig. Die neuen Wunderwaffen sind wichtiger, als das bereit stellen von Flugzeugen. Vor allem kriegsentscheidend! Das habe ich dem Goebbels abgekauft. Dabei hätte ich stutzig werden müssen, als die Siege in Frontbegradigungen umbenannt wurden<. Das war im Frühjahr 1944. Am Boden qualifizierte er sich, bei seinem Vorgesetzten, derartig, dass er ihn später gerne in den Zolldienst der BRD holte. Allerdings waren seine Vorgehensweisen grenzwertig und nicht mehr in die Zeit passend. Eine Führungsposition wären nicht in Frage gekommen. Im Hafenbereich, an der Front, war er bei den üblichen Verdächtigen gefürchtet und seine Fangquote war überdurchschnittlich gut, sodass man über manches hinwegsehen wollte. Dabei interessiert er sich nicht für Hafenarbeiter die Unterhosen und Jacken mit Taschen trugen, oder Schuhe mit doppeltem Boden. Die winkte er prinzipiell durch. Von den letzten Gefechten und Verwundungen ein wahrlich weiter Weg. Vorbei an Leichenberge und anderen schrecklichen Geschehnissen, mit Spekulationen und Behauptungen die er Tatsachen nannte. Die Opferbereitschaft für die falschen Signale hatten viele ins Verderben geführt. Aber wenigstens hatte er, am Rande der Wirtschaftswunderjahre, für manches eine Genussfähigkeit entwickelt, dem er sich jetzt gefahrlos widmen konnten. Aber die alten Ideale waren in ihm zu tief gepflanzt, um sie abzulegen, wie etwa einen Anzug der aus der Mode gekommen war. Seine Zoll Uniform bewahrte ihn zwar davor die letzte sichtbare Autorität zu verlieren, war aber mit der alten nicht messbar. Die Neue konnte als gut bürgerlich gelten und autorisierte lediglich Kontrollfunktionen innerhalb des Zollgrenzbezirks der Häfen. Es fehlte wohl die Strahlkraft der Vorkriegsjahre, verbunden mit enormen Maß an Respekt, in der Bevölkerungen. Jetzt bestand der Dienstbetrieb aus Formularen und zu begründende Verdachtsmomente. Schnelle Eingreiftruppen, zur tiefgreifenden Erfassung und Beseitigung aller illegalen Bewegungen müssten die Qualität unserer Partisanenbekämpfung haben dürfen, war Vaters Herzenswunsch. Jüngere Kollegen ließen sich gerne, in passender geselliger Runde, von Vater die aktuelle Weltlage erklären, denn das bekamen sie in Funk und Fernsehen völlig anders analysiert. Sein, von den Kriegsverletzungen, vernarbter Körper verschafften ihm Respekt, einen Sonderstatus und mehr Freiheit in der Auslegung seiner dienstlichen Belange. Mein Vater glich in zweierlei Weise dem damals bekannten Schauspieler Louis de Funes. Sein Gesicht und in seiner Wesensart, seinem Temperament. Besonders treffend, wenn der Franzose in Uniform agierte. Allerdings hatte der kleine Komiker nicht das Gardemaß von 1,85, wie mein Vater. Sonst hätte de Funes meinen Vater unbemerkt, wenigstens kurzzeitig, im Dienst ersetzen können, meinte ein Kollege vom Zoll. Ab 1968 begann mein Führungsoffizier, im weiteren Verlauf "FO" genannt, immer mehr von sich und seiner Vergangenheit, mir gegenüber, preis zu geben. Auch gab er bekannt, dass es gut und von Vorteil sei sich in der Welt umzusehen. Nicht unbedingt so wie er, im größten Reisebüro der Geschichte.
>Junge, die meisten von uns waren damals kulturelle Stümper. Tage in Paris konnten dich überrollen wie eine Welle. Die Schar hübscher Französinnen war überwältigend. Tolle Frisuren, verführerisch geschminkt, mit makellosen Figuren. Sommerkleider und Seidenstrümpfe blieben damals nicht im Schrank. Ich hatte zwar etwas Berlin Erfahrung, aber Paris besaß besonderen Flair im Sommer 1940. Selbst als besetze Stadt. Viele Kameraden traf das unvorbereitet und sie waren leider unfähig etwas damit anzufangen. Im Cognac trinken erschöpfen sich nicht die Verlockungen von Paris. Mancher fuhr später in den Tod nach Russland, ohne viel mit Paris und dieser "Belle Epoque" angefangen zu haben. Es war oft die letzte Gelegenheit. Es hieß damals nicht umsonst: Sarg, oder Sieg! Der Himmel war wolkenlos, die Sonne schien prächtig, Mohn- und Kornblumen blühten und die Blumenwiesen leuchteten, als wir Paris erreichten. In dieser Stadt lernte ich auch was charmant sein bedeutet. Junge, das kriegst du nicht mehr aus dem Kopf. Jedenfalls ist Paris mehr als eine Stadt unter vielen. Weit entfernt wird es zum Sehnsuchtsort. Ich kann nicht vergessen wie mir Madeleine eines Nachts erklärte: Plaisir heiße Genuss und Desir heiße Sehnsucht. Dann hatte sie noch diesen Satz gelernt: "Nur Komiker stolpern absichtlich über einen Stein". Das war ein Zungenbrecher für sie. Jeden Tag sang sie mir das in ihrer süßen französischen Aussprache vor. Die Kleine war so ein Ilse Werner Modell, mit einer Taille wie eine junge Wespe. Also ein seltenes Exemplar, für das du erst nach Paris kommen musst. Tja, Paris, das war schon ein anderes Kaliber, als wenn du in der Provinz, in Halsabschneider Spelunken, am versauern warst. Keine Einladungen, keine Ballsäule und keine Frauenröcke. Es lief mit uns alles so selbstverständlich. Seitdem passe ich besser auf wo die Steine liegen. Denn, wenn man die Liebe so schnell wie möglich erleben muss, sieht man nicht so genau hin. Ein Tripper ist aber keine große Sache, Junge. Das war es allemal wert. J´attendrai (Rina Kelly) hieß unser Lied. Ich trug dieses Stück Erinnerung von Ort zu Ort, von Land zu Land, mit mir mit. Für ein paar kurze Minuten hast du dich von dem ganzen Schlamassel verabschiedet. Bis eines Tages, bei einem Überraschungsangriff, sich keine Zeit mehr fand die Schallplatte vor den Barbaren zu retten<. Auch zum Thema Rauschmittel gab es von meinem F.O. klare Ansage: >Junge, denke an Reichsmarschall Göring, den fetten Goldfasan, oder aktuell an die Surfbrett GI´s in Vietnam. Das geht nie gut aus. Irgendwann fängt man sich eine Kugel, eine Krankheit, oder fällt dem Wahnsinn zum Opfer. Besser du kippst dir einen hinter die Binde. Das ist effektiver und gesund<. Ich fühlte mich nicht angesprochen. Auch erinnere ich mich an