Die Grüne Feder. Petra Teufl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Teufl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783863270575
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ist gefährlich! Aber wir hätten eine Chance gegen ihn, wenn die wahrhaftigen Schreiber sich gemeinsam wehrten. Das wäre ein wirkungsvoller Schutz gegen die IT-Bedrohung. Manchmal weiß ich nicht, wer die größere Gefahr für die Gilde der Schreiber darstellt. Braxton oder Jones.

      Die Gilde der Schreiber ist erpressbar! Wenn das bekannt wird, wären die wahrhaftigen Schreiber jedem machtgierigen, skrupellosen Fiesling ausgeliefert. Deshalb darf ich kein Wort über Braxtons erfolgreiche Erpressung sagen. Niemals und zu Niemandem! Jones hat dafür gesorgt, dass ich meinen Mund halte. „Wenn du auch nur einem Menschen von deinem Deal mit Braxton erzählst, wird deiner Tochter etwas zustoßen.“ Das sagte Peter Jordan Jones vor drei Jahren, während unsere Kinder Ethan und Lara im Garten gemeinsam spielten. Jones weiß, dass er mich nur zum Schweigen bringt, indem er Lara bedroht.

       3.

      

      Wir landeten am nächsten Vormittag in Frankfurt. Vor den Fenstern der Ankunftshalle des Flughafens war alles grau, kalt und nass — der Anblick verbesserte nicht gerade meine Laune. Wie hatte ich nur freiwillig das strahlende Licht Indiens gegen dieses Regengrau eintauschen können?

      „Dr. Thomas Ritter, bitte melden Sie sich beim Informationsschalter in Terminal 4!“, hallte eine Ansage durch den Ankunftsbereich.

      „Das wird Martin Späth sein, mein neuer Assistent“, vermutete Papa und schritt in Richtung Pass- und Zollkontrolle voran.

      Ich hatte irgendwo in meinem Inneren gehofft, dass das ganze Gespräch über dieses Braxcity nur in einem verborgenen Winkel meiner Träume stattgefunden hätte. Aber die Durchsage machte diese Hoffnung zunichte.

      Martin Späth entpuppte sich als ein akkurat frisierter, glatt rasierter, blasser, junger Typ. In seinem Geschäftsanzug, auf dem das Logo von BRAXWORLD prangte, kam er mir wie ein Chorknabe vor. Geradezu zuckersüß begrüßte er meinen Vater. Nach jedem Satz hängte er ein „Doktor Ritter“ an und er verbeugte sich mindestens hundertmal. Wie selbstverständlich nahm er meinem Vater seinen Koffer ab.

      „Martin, darf ich dir meine Tochter Lara vorstellen?“, sagte Papa und deutete auf mich.

      „Ach, natürlich, Entschuldigung!“, stammelte Herr Späth, wurde rot im Gesicht und beeilte sich, mir seine Hand zu geben. „Lara Ritter, herzlich willkommen!“

      Dieser Typ mit seiner unterwürfigen Art war mir sofort unsympathisch. Dennoch zwang ich mich zu einem Lächeln und schüttelte seine Hand.

      Das Gute an Herrn Späth war, dass er uns mit einer Luxuslimousine nach Regensburg fuhr. Ich schmiegte mich in den bequemen Ledersitz und staunte über den Bordcomputer, der bei anderen Autos Armaturenbrett genannt wird. Etliche Bildschirme, Tastaturen, Mikrofone und diverse Knöpfe leuchteten durch das Wageninnere. Herr Späth meldete unser Kommen einer schick frisierten Dame auf dem Bildschirm der Zentrale. Papa steckte seinen Laptop über eine Buchse der Konsole zwischen unseren Sitzen an das Autosystem an und war anscheinend schon mitten bei der Arbeit.

      „Ich lese nur einige Protokolle der letzten Meetings“, erklärte er.

      „Papa!“, stöhnte ich nach einiger Zeit. „Wird das jetzt immer so mit dir sein? Ich dachte, du fängst erst nächste Woche mit deiner neuen Arbeit an. Jetzt tust du hier so, als würdest du von einer kurzen Dienstreise zurückkommen.“

      „Entschuldige, Lara. Für Manager in der Geschäftsführung gibt es nun mal keine festen Arbeitszeiten.“ Ich warf einen Blick auf den Monitor seines Laptops. Drei übereinander liegende Diagramme und diverse Textnachrichten wurden angezeigt. Selbst die Anzeige für Videoanrufe blinkte und forderte ungeduldig die Aufmerksamkeit meines Vaters. Als Papa meinen Blick bemerkte, klappte er den Laptop zu und schloss die Trennscheibe zum Fahrerraum.

      „Du wirst es sowieso erfahren“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Ich arbeite mit Unterbrechungen seit einigen Jahren für BRAXWORLD. Genau genommen habe ich kurz vor Sophies Unfall dort angefangen.“

      „Das hast du nie erzählt.“

      „Es war nie wichtig.“

      Ich sah aus dem Fenster auf das vorbeiziehende Grün unter grauer Wolkendecke. Vater hatte recht. Es war bisher nie wichtig gewesen, wo und für wen er gearbeitet hatte. Nicht für mich. Aber bisher hatte er auch nicht versucht, mich mit dem Argument einer „neuen“ Stelle bei BRAXWORLD zu einem Umzug zu überreden. Ich verstaute das seltsame Gefühl des Zweifels in einer Ecke meines Gefühlsregals. Ich war müde und wollte endlich wieder mit Vater so vertraut umgehen, wie es die letzten sieben Jahre gewesen war.

      „Alles in Ordnung?“, fragte Papa und nahm meine Hand.

      „Ja, klar.“

      „Ich muss dir noch etwas erzählen.“ Er rieb sich das Kinn, was bedeutete, dass er nachdachte. Das wiederum hieß, es wurde kompliziert. Ich wartete gespannt auf das Ergebnis seiner Gedanken.

      „Tja also, das ist so. Bei uns, also in unserem Haushalt, werden wir zu dritt leben“, gestand er.

      Er sah mich prüfend an, als könnte ich erraten, was er mir damit sagen wollte.

      „Zu dritt? Eine Frau? Hast du etwa eine neue Frau?“, fragte ich entsetzt. Also langsam war es wirklich mal genug mit unerfreulichen Nachrichten.

      „Nein!“, wehrte Papa sofort ab. „Deine Großtante, Dr. Edith von Schelling, wird bei uns einziehen, quasi als Haushälterin und — na ja, wie soll ich sagen …“

      „Tante Edith?“

      „Ja. Erinnerst du dich an sie? Sie hat uns öfter besucht, als Mama noch lebte.“

      „Natürlich, sie war damals schon eine eigenartige alte Dame“, antwortete ich impulsiv und erntete einen strengen Blick von Papa.

      „So kann man das aber nicht sagen, Lara. Sie ist eine kompetente, anerkannte Wissenschaftlerin. Sie mag ihre Eigenarten haben. Aber so ist das bei den meisten Menschen, die ohne Partner und Kinder leben.“

      „Ist sie nicht in den USA an einer Universität? Was macht sie denn jetzt hier? Wurde sie rausgeschmissen oder so?“, fragte ich.

      „Nein, sie ist jetzt Rentnerin und arbeitet privat an ihren Forschungen über die Entstehung der Schrift. Als sie erfahren hat, dass wir nach Regensburg ziehen, hat sie angeboten, uns zu helfen.“

      Nach und nach tauchten in mir Erinnerungen an die Großtante auf. Sie war eine Verwandte meiner Mutter. Als Kind kam sie mir vor wie Mary Poppins, wenn sie mit ihren zwei Koffern in unserm Flur stand und mich mit freundlichem Händeschütteln begrüßte. Sie faszinierte mich, weil sie so anders war. Sie erschien mir unnatürlich lang und hager, hatte immer ein klassisches Kostüm an, die Haare zu einem Knoten zusammengesteckt, ein Stofftaschentuch für alle Fälle in der Tasche und einen Regenschirm in der Hand. Ich freute mich jedes Mal über ihren Besuch. Meistens war das in einer Zeit, als Mama an einem neuen Roman arbeitete und tagelang nicht aus ihrem Schreibzimmer kam. Tante Edith kümmerte sich dann um mich. Sie achtete penibel auf anständiges Benehmen und steckte mich in Kleider, was ich so gar nicht mochte, bändigte meine Locken zu einer Frisur, und das alles auf eine freundliche, bestimmte Weise. Sie las mit mir viele Bücher, vor allem uralte Wälzer. Bei einer regelmäßigen Tasse heißen Kakaos am Nachmittag erklärte sie mir ihre Sicht auf die Welt. Wenn Tante Edith mich ins Bett brachte, konnte ich ihr all meine Ängste und Sorgen anvertrauen. Sie schien alles zu verstehen, was ein kleines Mädchen bewegte.

      „Tante Edith“, murmelte ich vor mich hin. „Die habe ich nicht mehr gesehen seit ...“

      „.. der Beerdigung deiner Mutter“, ergänzte Papa.

      „Richtig. Warum hat sie uns nie in Indien besucht?“

      „Für Edith war der Verlust ihrer Nichte ebenso schmerzlich wie für uns, denke ich. Sie wird auch Zeit gebraucht haben, sich diesem Unglück und damit uns beiden wieder zu stellen.“

      Die Limousine glitt an einer langen Schlange von LKWs vorbei über eine Brücke und hinein