Die Grüne Feder. Petra Teufl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Teufl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783863270575
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Wer bitte verbreitet Infos über mich, ohne zu fragen?“

      „Diese Frage ist jetzt nicht ernst gemeint, oder?“, erwiderte Juri und verdrehte die Augen.

      „Doch ist sie!“, donnerte ich zurück, ließ den Seelenstein in meine Hosentasche gleiten, raffte Mamas Foto, die Bücher und die Decke zusammen und stand auf, um wieder runter zu gehen.

      „Lass die Sachen lieber hier“, sagte Juri.

      Mein Blick musste ziemlich entgeistert gewesen sein. Juri schnaufte genervt durch. „Also, ich versteh das nicht. Du scheinst ja von nichts eine Ahnung zu haben. Dein Vater ist in der Führungsriege von Braxcity und klärt dich nicht einmal über die grundlegenden Regeln seines Systems auf?“

      „´tschuldigung!“, fauchte ich. „Vielleicht ist er noch nicht dazu gekommen, was weiß ich? Und es ist ganz bestimmt auch nicht sein System!“

      Juri seufzte. „Jetzt lass einfach die Sachen hier. Keine privaten Dinge in der Wohnung. Sonst kannst du sie gleich Herrn Späth auf den Schreibtisch legen und ihm deine tiefsten Geheimnisse ins Ohr flüstern.“ Juri hielt mir demonstrativ die Wohnungstür auf. „Aber auch hier wird es sicherlich für die Tochter vom Ritter irgendeine Ausnahme geben.“ Leise fluchend legte ich meine Sachen wieder in die Kiste, bis auf Mamas Foto und den Seelenstein.

      „Du bist genauso paranoid wie Tante Edith!“, giftete ich, als ich an Juri vorbei die Wohnung verließ.

      „Nein, bin ich nicht“, entgegnete Juri ungerührt. „Außerdem ist deine Tante nicht paranoid, sondern realistisch.“

      „Ach ja? Wieso tut ihr beiden dann so, als würden wir in einem diktatorischen Überwachungsstaat leben?“

      „Weil es so ist.“

      „So ein Quatsch!“, entgegnete ich. „Und selbst wenn, du scheinst es ja zu mögen. Hast du nicht gesagt, du würdest lieber weiter in Braxcity wohnen, als hier in der Altstadt?“

      „Das geht sicher über deinen Horizont, aber wenn man weiß, dass man beobachtet wird, muss man nur alles richtig machen und ist auf der sicheren Seite. Hier“, Juri deutete unbestimmt durch das Treppenhaus, „hier weiß niemand, was läuft. Das hat dein Vater prima eingefädelt!“

      Es musste an der Luft dieses alten Gemäuers liegen, die Juri und Tante Edith schon länger eingeatmet hatten. Sie hatten beide denselben Virus abbekommen, schoss es mir wütend durch den Kopf. „Mein Vater hat gar nichts eingefädelt“, entgegnete ich und lief die Treppen runter. Als wir vor den Wohnungstüren standen und ich schon dachte, diesen Arroganzling endlich los zu sein, drehte er sich zu mir um.

      „Also, da wäre noch die Sache mit meinem Job als dein Kindermädchen“, sagte Juri.

      „Das meinst du jetzt nicht ernst, oder?“

      „Leider doch. Ich bin dazu verdonnert, dein Tutor für Braxcity zu sein. Ich muss aufpassen, dass du dich nicht verläufst. Darüber schreibe ich Berichte, die kontrolliert werden, was völlig sinnlos ist. Alle Angestellten von Braxcity werden dich sowieso mit Argusaugen beobachten.“

      „Ich brauche keinen Aufpasser!“, stellte ich wütend klar.

      „Interessiert leider niemanden. Jedenfalls müssen wir einige Zeit miteinander verbringen. Deshalb kommst du am besten heute Nachmittag mit in den Park. Ich treffe mich dort mit ein paar Freunden.“

      War das eine Einladung oder eine Vorladung? Ich dachte einen Moment nach. Konnte überhaupt ein Mensch mit diesem Juri befreundet sein?

      „Sind deine Freunde netter als du?“, fragte ich.

      „Ist nur schwer möglich. Such dir ihre Profile im Braxnet raus, das gehört sich hier so. Mike Adkins, Alice Blinch und Paula Lerchinger, alle aus unserer Leistungsstufe. Um fünf Uhr unten vor der Tür.“

      Ohne meine Antwort abzuwarten, verschwand Juri hinter seiner Wohnungstür.

       März des siebten Jahres mit der Grünen Feder:

      

      Tante Edith war für zwei ganze Wochen bei uns zu Besuch. Sie kümmerte sich rührend um Lara, während ich von Früh bis Spät in meinem Zimmer mit der Grünen Feder einen Roman beendete. Mein Verlag wird sich über einen neuen Bestseller von mir freuen. Die Einnahmen werde ich dem Projekt spenden, für das sich Edith seit Monaten einsetzt. Sie half im Namen der Gilde der Schreiber in Timbuktu, uralte arabische Schriften vor den Folgen des Krieges in Mali in Sicherheit zu bringen. Ich staune, mit welcher Energie Edith in der Weltgeschichte herumreist. Ich kann sie mir gar nicht in der Hitze, dem Staub und den unübersichtlichen Verhältnissen von Timbuktu vorstellen.

      Hätte ich ihr mit der Grünen Feder helfen können, wären die Menschen, die die vielen Kisten mit den Schriften in Sicherheit bringen, nicht in Gefahr. Ein Brief, mit der Arundoveridis an den Befehlshaber der Miliz geschrieben, und seine Soldaten hätten sogar dabei geholfen, den Kulturschatz zu retten. Leider kann ich auch Tante Edith nicht die Wahrheit über meine Weigerung, die Feder zu benutzen, erzählen. Sie reagiert auf meine Lüge, der Umgang mit der Arundoveridis mache mich krank, verständnisvoll und fürsorglich. „Das ist in den Jahrhunderten einige Male vorgekommen“, sagte sie.

      Für die Zeit nach der Arundoveridis planen Thomas und ich, unterzutauchen. Edith wird ihrem langjährigen Freund in Neu-Delhi, dem Schreiber Amal Yadav, schreiben. Er wird uns ein Haus in der Millionenstadt suchen. Ein Neuanfang in dem Chaos der Megastadt!

       6.

      

      Als ich die Wohnungstür hinter mir zuschlug, wollte ich alles machen, egal was, nur nicht das, was mir Tutor Juri vorgeschlagen hatte. Wäre ja noch schöner!

      Tante Edith war nicht da, um sich meine Beschwerde über den Nachbarn anzuhören. Also brachte ich meine Schätze in mein Zimmer. Mamas Foto stellte ich auf mein Nachtschränkchen und den Seelenstein legte ich in eine Schublade des Schreibtisches. Dabei fiel mein Blick auf das Kästchen von Amal, in dem die seltsame, schöne Federspitze, die er für mich von seinem Waterman-Füller abgezogen hatte, lag. Ich öffnete den Deckel und betrachtete das zarte dreieckige Gebilde aus poliertem Horn, durch das sich die Goldadern zogen, bis sie in dem Rubin an der Spitze zusammenliefen. „Mit ihr wirst du schreiben wie deine Mutter“, hörte ich Amal wie aus weiter Ferne sagen. Und: „Benutze die Hornfeder erst, wenn du sie beherrschen kannst!“ Ich konnte mit allem schreiben, was auf Schreibtischen zu finden ist. Auch mit Gänsekiel, Zeichenfeder und mit Stecken in den Sand am Strand. Was sollte an dieser Hornspitze anders sein, sodass ich sie beherrschen können musste? Dann erinnerte ich mich daran, was Tante Edith mir im Schlosscafé über diese wahrhaftige Schreibkunst und Mama erzählt hatte. Mir lief es kalt den Rücken runter. Plötzlich erschien mir die kleine Federspitze wie ein großes Rätsel, ein Geheimnis oder wie ein Schatz, den ich hüten musste. Tante Edith wollte ihre Kisten verstecken und Juri hatte mich davor gewarnt, private Dinge in die Wohnung mitzunehmen — beides war irritierend und schien außerdem übertrieben und unglaubwürdig. Es war völlig irrational. Entgegen jeder vernünftigen Überlegung verspürte ich dennoch den Drang, das Kleinod aus Horn in Sicherheit zu bringen. Die einzige Erklärung, die ich mir selber geben konnte, war, dass ein Diamantring auch gut versteckt aufbewahrt werden sollte. Die Hornfeder war auf jeden Fall ein Schmuckstück. Ich nahm das Kästchen, ging in Tante Ediths Zimmer und wühlte mich durch die Schubladen ihrer Kommode, bis ich unter den altmodischen Unterröcken endlich den Schlüssel gefunden hatte. Dann stemmte ich mein volles Gewicht gegen die Holzkommode, bis sie sich endlich bewegte und den Wandsafe freigab. Die Safekombination, bestehend aus meinem Geburtsdatum, war schnell eingetippt. Das Fach war leer. Wo hatte Tante Edith die Historia Scriptorum hingebracht? War sie wegen dieses Buchs gerade unterwegs? Ich legte die Schreibfeder ganz nach hinten ins Fach und verschloss die Safetür sorgfältig. Innerhalb von Sekunden stand Tante Ediths Kommode wieder am alten Fleck. Mein Gewissen beruhigte ich damit, dass ich Tante Edith nicht um Erlaubnis hatte fragen können, weil sie ja nicht da gewesen war. Eine schwache Entschuldigung