Entfesselt laufen. Jay Dicharry. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jay Dicharry
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783868675252
Скачать книгу
und Knie nach vorne und Ihre Hüfte nach hinten schieben. Aber man sieht, dass ihre Fußgelenke sich überhaupt nicht beugen. Die fehlende Bewegung in den Fußgelenken führt dazu, dass sie an anderer Stelle ebenfalls kleine Fehler einbauen. Sie versuchen, ihr Gewicht über den Füßen zu halten und beugen sich dabei nach hinten, wodurch Ihre Wirbelsäule am Ende jeder Kniebeuge stark durchgebogen wird. Wir können schlussfolgern, dass die steifen Fußgelenke ihre Form stark einschränken und entscheiden, diese vier Athleten zu unterbrechen und sie 30 Sekunden lang ihre Waden an einer Wand strecken zu lassen, um die Fußgelenke in Bewegung zu bekommen.

      Sobald sie fertig sind, lassen wir sie wieder Kniebeugen machen. Evas Ausführung der Kniebeugen sieht jetzt perfekt aus. Aber Cole, Sam und Jack machen mehr oder weniger dasselbe wie zuvor.

      Naja, eine von vieren ist ja ganz nett, aber die anderen drei müssen wir uns doch noch einmal genauer ansehen. Wir wissen bereits, dass Reflexe nur so gut sind, wie unser Körper es ihnen erlaubt. Anders gesagt: Das Gehirn findet den wirksamsten Weg um die Probleme, die es vorfindet, herum. Und jegliche Probleme im System verhindern, dass der Körper sich so gut bewegt, wie er eigentlich könnte. Schauen wir uns einmal an, wozu das führt. Manchmal sind unsere Gelenke steif und bewegen sich nicht. Dann müssen wir erst einmal herausfinden, woran das liegt – wir haben ein Problem mit der Hardware. Und manchmal sind die Gelenke zwar beweglich, aber wir wissen nicht, wie wir sie am besten bewegen sollen – dann haben wir ein Problem mit unserer Software. Beide Fälle führen zu Unausgeglichenheiten an anderer Stelle im Körper. Dehnen, Yoga, dynamische Aufwärmübungen und Faszienrollen sind nicht immer sinnvoll, um die Bewegung zurückzubekommen. Um die richtige Lösung für Ihr individuelles Bewegungsproblem zu finden, müssen Sie zunächst verstehen, was Ihre Bewegungsfreiheit überhaupt einschränkt. Erst danach können Sie auf sichere und stabile Laufbewegungen hinarbeiten.

      MOBILITÄT IST NICHT GLEICH FLEXIBILITÄT

      Flexibilität ist passiv. Sie können Ihren Schuh in die Hand nehmen und den vorderen Bereich nach hinten dehnen. Er kann bewegt werden, aber er kann sich nicht selbst nach hinten beugen. Mobilität ist aktiv. Sie können aktiv Ihre eigenen Zehen nach oben und unten biegen. Vielleicht kommt Ihnen diese sprachliche Unterscheidung unwichtig vor, aber der Unterschied ist wichtig, um Blockaden in unseren Bewegungsabläufen beim Laufen zu lösen. Und sie hilft uns dabei, Cole, Sam und Jack zu zeigen, wie sie ihre Kniebeugen richtig machen müssen. Beim Laufen kann es verschiedene Gründe geben, warum wir zu unbeweglich sind.

      In Evas Fall bewegte sich das Fußgelenk nicht richtig. Nach 30 Sekunden dehnen war der Bewegungsablauf verbessert. Das ist der Grund: Sie haben eine sogenannte „Eigenempfindung“ in Ihrem Körper, die man „Propriozeption“ nennt. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, die Position Ihrer Gelenke zu spüren, eine sogenannte „sensorische Fähigkeit“. Aus diesem Grund können Sie Ihre Augen schließen und wissen, ob Ihre Hand offen oder zur Faust geballt ist. Zum Teil kommt diese Eigenempfindung durch die „Verkabelung“ auf der Oberfläche des Gelenks und dem umgebenden Gewebe. Einen anderen Teil machen die Schaltkreise in den Muskeln aus. Diese Muskelschaltkreise haben ziemlich hochtrabende Namen – das Golgi-Sehnenorgan und die Muskelspindel. Diese Schaltkreise werden durch Belastung im Muskel stimuliert. Wenn die Belastung im Muskel zu hoch wird, springt der eine dieser beiden Mechanismen an, um dem Muskel zu sagen, dass er sich entspannen soll, damit wir nicht zu fest daran ziehen und er dadurch einen Riss bekommt. Der andere macht genau das Gegenteil. Er sagt dem Muskel: „Oh oh, jetzt musst du dich aber wirklich anstrengen, sonst haben wir ein Problem.“ Dadurch kommt es zu einer stärkeren Kontraktion. Die beiden Schaltkreise arbeiten zusammen und senden sich gegenseitig Mitteilungen, um die Muskeln arbeiten zu lassen und zu ermöglichen, dass wir uns sicher und präzise bewegen.

      Nach einem ganzen Tag im Hörsaal brauchte Eva einfach ein bisschen mehr Zeit zum Aufwärmen – so ähnlich wie Ihr Auto an einem kalten Wintertag. Dynamische Aufwärmübungen werden in den letzten Jahren immer beliebter, und zwar aus gutem Grund. Einige leichte Bewegungen, wie Beinschwingen, Hüpfen und ein paar andere Übungen, zu denen wir später noch kommen, bereiten Ihr Nervensystem effektiv darauf vor, sich geschmeidiger zu bewegen. Evas Golgisehnen und Muskelsehnen waren kalt und hielten die Muskeln um ihr Fußgelenk während der ersten Kniebeugen zu fest. Die Wadendehnung verlängerte die Wadenmuskeln. Wie Sie sehen braucht es nicht viel, um diese beiden Schutzschaltkreise in Gang zu bringen. Die Schaltkreise sprechen sich sozusagen ab und beschließen, dass sie Eva ihr Fußgelenk bewegen lassen. So funktioniert dynamisches Aufwärmen. Es handelt sich nicht um klassisches Stretching (auch, wenn man die Übung „Wadendehnung“ nennt) und es erhöht den Blutfluss im Muskel nicht. Vielmehr geht es dabei um ein Neustarten des Muskels, um Ihnen zu erlauben, sich geschmeidig zu bewegen. Aber woher wissen wir überhaupt, dass Eva sich aufgrund ihrer Aufwärmübungen verbessert hat, und nicht wegen irgendetwas anderem? Um genau zu sein, ist das wirklich die einzige sinnvolle Erklärung, denn 30 Sekunden „Stretching“ sind nicht genug, um irgendwelche Strukturen um das Fußgelenk herum physisch zu verlängern. Stellen Sie sich das Ganze wie eine Verbesserung von Evas Software vor.

image

      PROBLEME MIT DER BEWEGUNGSSOFTWARE

      Sie schauen beim Laufen nicht auf Ihre Füße. Stattdessen spüren Sie die Position Ihres Körpers. Sie laufen die Straße hinunter und stolpern über einen Stein. Sie müssen nicht nach unten schauen, um sich zu versichern, dass Ihr Fußgelenk umgeknickt ist – Sie spüren es. In diesem Sekundenbruchteil muss etwas passieren, sonst verstauchen Sie sich das Fußgelenk. Und hier kommt das Zwiegespräch zwischen Ihren Strukturen, Muskeln und dem Gehirn ins Spiel, über das wir in Kapitel 1 gesprochen haben. Besondere Nerven an der Innenseite der Bänder übertragen ein sensorisches Phänomen, das uns dabei hilft, zu fühlen, wo unsere Gelenke sind. Das ist die Propriozeption. Dieser sensorische Input bestimmt in Echtzeit die Art und Weise, in der wir uns bewegen und wird viel schneller übertragen als Stimulationen des Seh-, Geruchs-, Hör- oder Tastsinns. Diese speziellen Nerven setzen sich über die normalen, reflexiven Gangbildsignale hinweg, die Ihrem Körper befehlen, sich abzustoßen, und lösen stattdessen eine Muskelsequenz aus, um die Innenseite Ihres Fußes schnell wieder gerade werden zu lassen. Die Bänder an der Außenseite Ihres Fußgelenks werden es Ihnen auf ewig danken.

      Aber vielleicht ist Ihr Laufstil nicht der einer normalen, gesunden Person. Nehmen wir mal an, Sie sind jemand, der sich oft die Fußgelenke verstaucht und verdreht. Jedes Mal, wenn Sie sich verstauchen, wird stark an den Bändern gezogen, die in der Nähe Ihrer Gelenke liegen. Die gute Nachricht ist, dass in etwa 98 Prozent der Fälle die Bänder wieder ausheilen und Sie das Gelenk wieder wie zuvor mechanisch stabilisieren können. Aber es gibt auch ein paar schlechte Neuigkeiten. Diese propriozeptiven Nerven, von denen wir gesprochen haben, sind ein für alle Mal hin. Dadurch kommt weniger sensorischer Input bei Ihrem Gehirn an, der ihm dabei hilft, Mikrokorrekturen vorzunehmen, die Ihre Gelenke sichern. Ihre Fußgelenkkontrolle wird immer schlechter.

      Wenn es sich nicht richtig anfühlt, bewegen Sie sich auch nicht richtig. Die meisten Fußgelenkverstauchungen (90 Prozent) passieren, wenn Personen auf der Außenseite des Fußes abrollen. Wenn Sie sich oft den Fuß umknicken, sollte man meinen, es wäre besser für Sie, nicht mit nach außen gebogenem Fußgelenk zu gehen oder zu laufen. Ironischerweise ist es bei Personen mit chronischen Verstauchungen oft so, dass sie das Fußgelenk konti-nuierlich nach außen wölben, selbst, wenn der Fuß gar nicht auf dem Boden ist, sondern gerade durch die Luft schwingt. Sie können den Unterschied einfach nicht spüren.

      Zum Glück hat unser Körper meistens einen Plan B zur Umsetzung von Input. Auch wenn die Nerven in den Bändern zerstört sind, gibt es noch einen zweiten Kommunikationsweg. Sie können Ihrem Körper beibringen, sensibler gegenüber dem Input zu werden, den er von den Schaltkreisen der Golgisehnen und Muskelspindeln bekommt, und so Ihr Gefühl für die Fußgelenkposition verbessern.

      Besseres Gefühl für Ihre Gelenkposition = Sicherere Gelenkbewegungen

      Und dabei geht es nicht nur um ein verstauchtes Fußgelenk. Probleme mit der Propriozeption beeinträchtigen andere Teile Ihres Körpers auf genau dieselbe Weise. Wissen Sie was der größte Risikofaktor für einen Riss des vorderen Kreuzbandes ist? Es ist weder Schwäche, noch Genetik, noch Ihre Glutenintoleranz.