Matrix-Liebe. Traian Suttles. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Traian Suttles
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783947612765
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und die wasserstoffblonde Frau auf dem Beifahrersitz (Switch) sind Neo unbekannt. Auf der Rückbank hingegen sitzt Trinity, die geheimnisvolle Hackerkollegin aus dem Club: Sie öffnet die Tür und bittet ihn, einzusteigen. Es wird deutlich, dass Trinity für Neo als eine Art Vertrauensperson erscheinen soll, auch wenn beide sich kaum kennen und Neo immer noch Gründe hätte, ihr gegenüber misstrauisch zu sein (oder zumindest verärgert, da sie sich in unerklärter Weise Zugang zu seinem Rechner verschaffte).

      Um die Rollen etwas klarer zu verteilen, haben sich Trinity und Switch deshalb ein good girl/bad girl-Spielchen für Neo ausgedacht. Switch holt eine Pistole hervor und zielt auf Neo – eine drastische Zugabe zu der Aufforderung, dass er seinen Bauch frei machen soll. Ziemlich witzig ist hierbei, mit welcher Wortwahl Switch den irritierten Neo beleidigt: sie nennt ihn coppertop (woraus in der deutschen Synchro ein »Blödmann« wird). Was genau sie damit sagen will, wird erst später klar, als Morpheus zusammen mit Neo das »Konstrukt« genannte Ladeprogramm betritt. Anhand der dort vorführbaren Bilder erklärt Morpheus, was man sich unter der Matrix vorzustellen habe. Am Ende seiner Erläuterungen behauptet er, dass die Menschen für die KI-Herrscher nichts anderes mehr seien als Energielieferanten, und holt demonstrativ eine Duracell-Batterie hervor. Durch deren Etikettierung drängt sich für diese der Name coppertop (=Kupferkopf) auf, und im Rahmen von Morpheus’ Erläuterungen ist Neo genau dies gewesen, solange er noch nicht aus der Matrix abgekoppelt war: Switch wählt die verbale Herabsetzung, mit der sie Neo angeht, recht präzise.

      Erwartungsgemäß verspürt Neo, der nicht im Geringsten ahnt, was noch alles auf ihn zukommt, wenig Lust, sich auf diese Weise behandeln lassen. Switch hat ihn vor die Wahl gestellt, zu tun, was von ihm verlangt wird, oder den am Straßenrand zum Stillstand gekommenen Wagen zu verlassen. Neo öffnet die Wagentür und will gehen, doch nun darf Trinity als good girl die Sache ausbalancieren. Sie hält Neo zurück und setzt argumentativ auf derselben verständnisvollen Ebene an, mit der sie bereits im Nachtclub an ihre Zielperson herangetreten war. Damals lautete der Tenor, dass Trinity ebenso wie Neo lange auf der Suche gewesen sei, um schlussendlich das zu finden, was alle ihre Fragen einer Antwort zuführte. Sie weiß inzwischen, was »die Matrix« ist – Neo jedoch wird es nie erfahren, wenn er jetzt wieder in den nächtlichen Regen hinaustritt. Trinity signalisiert ihm, dass sie sich in seine Gefühle hineinversetzen kann: dieser Schritt aus dem Auto hinaus, in sein altes, miserables Programmiererleben hinein, wäre nicht das, was er wirklich will. Ihre empathische Strategie hat Erfolg; Neo wird fügsam und ist bereit, doch im Wagen zu bleiben. Damit hat Trinity ihre behutsam initiierte Sonderstellung als „Vertrauensperson“ von Neo weiter ausgebaut. Von jetzt ab wird sie immer nahe bei ihm stehen, wenn Neo Schritt für Schritt der Klärung all seiner Fragen näher kommt. Eine recht radikale Nähe ergibt sich sofort, als Trinity mit Hilfe einer Ortungs- und Fangapparatur den biomorphen Tracker in Neos Körper aufspüren und unschädlich machen will. Auf diesen Entwanzungs-Vorgang sind wir im vorangegangenen Kapitel schon eingegangen (ergänzen könnte man, dass er mit Hinblick auf die hochgefährlichen Endoparasitoide der Alien-Reihe ein cineastisches Zitat darstellt – während die Kaiserschnitt-Szene im Alien-Prequel Prometheus ihrerseits auf The Matrix rückverweist). Notwendig wird Trinitys Aktion natürlich, da Neo von den Überwachungsschirmen des Systems verschwinden muss, bevor er dem geheimnisumwitterten Morpheus erstmals Aug in Auge gegenübertreten darf. Der Plan der Agenten, dass Neo sie ganz von selbst zu Morpheus lotsen werde, ist damit durchkreuzt (unbeantwortet bleibt dagegen die Frage, wie die Rebellen die mögliche Infektion Neos durch einen Agenten verhindern können – dies, oder genauer gesagt die gesamte Auskoppelung Neos aus der Matrix, ist eigentlich nur mit vorbereitender Hilfestellung denkbar, v. a. durch die Fähigkeiten des Schlüsselmachers aus Reloaded).

      25 Das Bild erfährt weitere Aufladung dadurch, dass man bei Kenntnis von Revolutions auch an Neos finalen Kampf im strömenden Regen denken muss.

       Rote oder blaue Pille?

      Ziel der nächtlichen Autofahrt ist das Hotel Lafayette, ebenso wie das Zimmer 303 im Heart o’ the City-Hotel ein lost place: also ein Ort, der von menschlicher Aktivität schon lange verlassen ist.26 Als solcher symbolisiert er die Erdoberfläche, die die Menschen bei ihrem Krieg gegen die KI-Systeme verloren haben – eine schreckliche Wahrheit, von der Neo nichts weiß, an die er aber Schritt für Schritt durch Morpheus’ Enthüllungen herangeführt werden soll. Morpheus wartet in einem der Hotelzimmer; direkt neben diesem Raum sind alle notwendigen Gerätschaften für Neos Abkoppelung aus der Matrix aufgebaut worden. Dort hält Cypher die Stellung und wartet auf die Rückkehr von Apoc, Switch und Trinity.

      Anders als Apoc und Switch begleitet Trinity Neo, als dieser auf die Zimmertür zugeht, hinter der Morpheus ihn erwartet. Nach wie vor also besteht Trinitys Rolle darin, dass ihre „verständnisvolle“ Gegenwart beruhigend auf Neo wirken soll. Direkt vor Betreten des Raumes gibt sie Neo den Rat, ehrlich zu sein, denn Morpheus wisse mehr, als man sich vorstellen könne. Neben der allgemeinen, beruhigenden Funktion geht es Trinity ersichtlich um eine „gerichtete“ psychologische Beeinflussung. Soll Neo Morpheus sein Vertrauen schenken, dann muss dies aus vollster Überzeugung geschehen, nicht aus Furcht oder fassadenhafter Freundlichkeit heraus. Es geht um Alles oder Nichts.

      Genau diese Alles-oder-Nichts-Entscheidung manifestiert sich kurz darauf in der Wahl zwischen der roten und der blauen Pille, vor die Neo gestellt wird. Nimmt er die blaue Pille, wird er alles vergessen und morgen in seinem Bett erwachen – was für ein Erwachen das sein könnte, haben wir beim Verschlafen nach seinem Clubbesuch bereits erlebt. Eigentlich ist klar, dass Neo sich nur für die rote Pille entscheiden kann. Trotzdem zögert er, wohl registrierend, dass die Sache irgendeine Kehrseite haben muss. Es reicht daran zu erinnern, dass Neo hier von Morpheus nicht zum ersten Mal vor eine Wahl gestellt wird: Morpheus tat dies bereits, als er es Neo überließ, entweder an der Fassade des Metacortex-Towers entlang in die Freiheit zu klettern oder von den Agenten festgenommen zu werden. Bekanntlich waren dies äußerst unangenehme Alternativen, und Neo sah sich letztendlich gezwungen, auf die angegebene Fluchtroute zu verzichten: er hatte Angst, abzustürzen und zu sterben. Ahnt er, dass die Entscheidung zwischen der roten und der blauen Pille ein ähnlich hohes Risiko beinhaltet?

      Falls ja, so müssen wir fragen, warum Morpheus überhaupt eine Wahl anbietet. Am Telefon hatte er Neo bereits mitgeteilt, warum er sich dringend mit ihm treffen will: »Because you are The One.« Und auch dort schon hatte Morpheus seinem Gesprächspartner Wahlfreiheit eingeräumt, statt ihn ultimativ an den Treffpunkt zu beordern: »Willst du mich immer noch kennenlernen?« Dies ist bemerkenswert, denn wenn Morpheus so absolut überzeugt von seinem „Kandidaten“ ist, und umgekehrt Neo beim Betreten des Raumes äußert, dass ihm das Kennenlernen »eine Ehre« sei – warum dann nicht das Verfahren vereinfachen und Neo sagen, dass es für alles folgende nötig sei, ein Medikament einzunehmen? Der charismatische Morpheus hätte kaum um Vertrauen werben müssen, um seinen Auserwählten zur raschen Einnahme der Pille zu bewegen.

      Wie wir später erfahren werden, ist das rot-blau-Ritual keineswegs speziell für Neo konzipiert: auch alle anderen befreiten Matrizianer standen einst vor selbiger Wahl. Explizit jedenfalls hören wir dies von Cypher, als er Neo gegenüber sein verschlagenes Lamento »why, oh why didn’t I take the blue pill?« anbringt. Daraus können wir einerseits folgern, dass Neo in diesem Punkt nicht anders behandelt werden soll als alle anderen in der Matrix gefangenen Menschen. Andererseits aber ist seine Entscheidung doch etwas besonderes, denn sollte er die blaue Pille nehmen, wäre die Menschheit ihrer vielleicht größten Hoffnung beraubt. Man muss also annehmen, dass Morpheus bei jeder Befreiungsaktion, und auch bei der des mutmaßlichen Auserwählten, unbedingt eine freie Entscheidung sehen will. Die Bedeutung des notorisch diffusen Freiheitsbegriffes führt er auf die Entscheidungsfähigkeit des Einzelnen zurück. Es hätte für ihn keinen Sinn, mit oder für Leute zu kämpfen, die nicht auf diese Weise auf ihre Entscheidungsfreiheit zurückverwiesen wurden (genau dies ist auch der Grund, warum Morpheus in Reloaded dem deterministischen Weltbild des Merowingers ein »Alles beginnt mit einer Entscheidung« entgegenhält).

      Was nun speziell Neos Wahl anbelangt, geht es Morpheus aber auch darum, seinen persönlichen Glauben an den „Auserwählten“