Die Amulettmagier. Natascha Honegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Natascha Honegger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783960741930
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dieser Stelle erwachte das Mädchen vollends aus seinem Traum. Am liebsten hätte es noch erfahren, wie Pamina das Amulett erschaffen hatte und was ihr danach widerfahren war. War sie Arkamoor Salsar entkommen? Lebte sie vielleicht immer noch irgendwo in Aria? Wenn ja, musste sie mittlerweile zu einer jungen Frau herangewachsen sein …

      Das Geräusch einer sich nähernden Kutsche ließ Isa aus ihren Gedanken hochschrecken. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie noch immer unter dem Baum lag, den Rücken an die raue Rinde gelehnt, und dass es, dem Sonnenstand nach zu urteilen, bereits später Nachmittag sein musste. Sie stand auf und ihre Neugier trieb sie zu dem Teil der Waisenhausmauer, der eingefallen war. Vorsichtig spähte sie durch das dichte Blattwerk auf die Straße. Dort rollte eine prachtvolle Kutsche, gezogen von zwei eleganten Pferden heran und schien genau auf das Waisenhaus zuzuhalten.

      Das Mädchen pfiff anerkennend durch die Zähne. „Die sind ganz bestimmt stinkreich“, dachte es.

      Noch nie zuvor hatte es eine solch protzige Kutsche gesehen: Sie war vergoldet und fremdartige Wappen und Bilder zierten ihre Wände. Unverkennbar war es eine Kutsche aus dem Süden, da nördliche Kutschen eine andere, etwas einfachere Bauart aufwiesen.

      „Warum kommen Leute vom Süden bis hierher, um ein Waisenhaus wie das von Merlina zu besuchen?“, fragte sich Isa verwirrt. Das war höchst ungewöhnlich. Doch wenn sie die Antwort darauf wissen wollte, musste sie wohl oder übel zu den anderen zurückkehren. Isa drehte sich um und ging schnellen Schrittes in Richtung des Gebäudes. Normalerweise versteckte sie sich immer, wenn Fremde kamen. Aber wenn sie sich im Hintergrund hielt, würde sie bestimmt niemand bemerken. So einen interessanten Besuch wollte sie auf gar keinen Fall verpassen.

      Als sie das Haus erreichte, war die Kutsche eben erst zum Stillstand gekommen und alle Bewohner des Waisenhauses drängten sich um sie. Voller Faszination betrachteten sie das Gold und konnten ihr Staunen kaum verbergen.

      Der Kutscher stieg elegant von seinem Bock und öffnete die Tür, wie sich das gehörte. Stoff raschelte im Inneren, dann trat ein Mann von großer Statur aus der Kutsche und reichte seiner zierlichen Frau die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen.

      Die Frau trug ein grünes Seidenkleid mit passender Haube, die ihre schwarzen Haare wunderschön zur Geltung brachte und zu ihren ebenfalls grünen Augen passte. Der Mann trug einen schwarzen Anzug, wie ihn sich nur sehr reiche Menschen leisten konnten, sowie ein mit Edelsteinen verziertes Sehglas, das er sich in sein linkes Auge klemmte, um die Kinder zu betrachten. Sein Haar war schwarz und seine Augen von einem warmen Dunkelbraun.

      Die Köchin drängte sich durch die Kinderschar, begrüßte die beiden Erwachsenen etwas ungeschickt und entschuldigte sich dafür, dass die Waisenhausleiterin nicht zugegen war. Dann wollte sie die beiden in den Besucherraum führen, doch die Frau verneinte höflich.

      „Wir möchten nicht allzu lange hier verweilen“, sagte sie mit einem undeutbaren Blick auf das heruntergekommene Haus. „Wir haben eine lange Rückreise vor uns und außerdem suchen wir ein ganz bestimmtes Mädchen. Wenn wir es hier nicht finden, werden wir uns umgehend weiter nach Südosten begeben.“

      Die dickliche Köchin lächelte und wurde rot, wie so oft, wenn sie ein wenig verlegen war. „Ihr sucht Eure Tochter, Mylady?“

      Die Frau schüttelte vehement den Kopf und leichtes Empören schwang in ihrer Stimme mit. „Nein, wir würden niemals eines unserer Kinder in ein“, sie blickte das heruntergekommene Gebäude vor sich an, „Waisenhaus wie dieses schicken.“

      Die Köchin wurde nur noch röter. „Tut mir leid“, hauchte sie. „Wie sieht sie denn aus?“

      „Nun, sie ist dreizehn Jahre alt und ihre Augen leuchten hellblau. Ist sie hier?“

      Schweigen antwortete auf diese Frage. Alle waren in ihren Bewegungen eingefroren und auch Isa konnte kaum atmen. Wieso war sie hierher gekommen und hatte sich nicht wie üblich irgendwo versteckt? Was wussten diese beiden Menschen über sie?

      Die Köchin sah die beiden erschrocken an und fragte atemlos: „Was wollt Ihr von ihr?“ Das war die falsche Frage gewesen.

      „Sie ist also hier“, folgerte die reiche Frau. „Den Göttern sei Dank! Wo ist sie?“

      Die Köchin schluckte. „Ihr wollt ihr doch nicht wehtun?“

      „Nein, niemals!“, wehrte die andere vehement ab. „Aber wir suchen sie schon so lange.“

      Isa konnte sich noch immer nicht bewegen. Sie war sich nicht ganz im Klaren darüber, ob sie weglaufen oder hierbleiben sollte. Die Frau schien die Wahrheit zu sprechen: Wer auch immer diese beiden reichen Arianer waren, sie spürte, dass sie ihr kein Leid zufügen wollten.

      „Na ja, wenn das so ist …“, hörte sie die Köchin sagen. „Eines unserer Mädchen könnte in der Tat auf Eure Beschreibung zutreffen, Mylady, aber es ist …“

      „Ich bin hier“, sagte Isa, all ihren Mut zusammennehmend. Alle Köpfe drehten sich in ihre Richtung, doch das Mädchen kümmerte sich nicht darum. Mit erhobenem Kopf ging es in Richtung der beiden Erwachsenen. Die anderen Kinder wichen schweigend zur Seite. „Mein Name“, sagte es laut und deutlich, „ist Isalia.“

      Am selben Abend noch fuhr Isa mit der Frau, die sich ihr als Vega Aleander vorgestellt hatte, und deren Mann, Massimo Aleander, zurück in Richtung Süden. Ihr erstes Ziel war Karpensas, eine große Hafenstadt, von der sie auf die Insel Sentak übersetzen würden, der Heimat der Familie Aleander. Die beiden schienen sich im heruntergekommenen Waisenhaus nicht sonderlich wohlgefühlt zu haben und hatten daher so schnell wie möglich abreisen wollen. In kürzester Zeit und in feinsäuberlicher Handschrift hatten sie ein Dokument unterzeichnet, das Isa zu einem vollwertigen Mitglied der Adelsfamilie gemacht hatte. Nur schon die Adoption eines Kindes in eine ganz gewöhnliche Familie war eine große Ehre. Eine Adoption in eine reiche Adelsfamilie kam dagegen so gut wie niemals vor.

      Jedes Kind wäre also glücklich darüber gewesen, doch Isa war vor allem eins: verwirrt. Alles ging irgendwie zu schnell und im Gegensatz zu ihren neuen Eltern, die alles über sie zu wissen schienen, wusste das Mädchen gar nichts.

      Dennoch hatte es erstaunlich wenige Bedenken, dass die beiden ihm in irgendeiner Weise feindlich gesinnt sein könnten. Woran das lag, das wusste es nicht.

      So begann also die lange Reise von Merlina auf die Insel Sentak und bereits bei der nächsten Straßenbiegung verschwand das Haus, in dem Isa 13 Jahre lang gelebt hatte, und mit ihm ihre ganze Vergangenheit. Isa blickte nach vorne in eine ungewisse Zukunft, an einem unbekannten Ort, mit Leuten, von denen sie nicht mehr wusste als ihre Namen.

      *

      Unterwegs

      Seit zwei Tagen holperte die Kutsche nun schon über das weite Land und Isas ganzer Körper schmerzte von der unbequemen Fahrt. Es gab hier keine großen Dörfer, nur hin und wieder kleinere Ansammlungen weniger Bauernhöfe, bei denen sie ihren Proviant erneuerten oder die Nacht verbrachten. Doch selbst diese wurden immer rarer, je mehr sie sich dem Zentrum Arias näherten.

      Auch die Straßen, anfangs noch von guter Qualität, waren mittlerweile nur noch mühsam befahrbar. Immer wieder verzögerten umgefallene Bäume ihr Vorankommen und zwangen sie zu größeren Umwegen oder aber dazu, dass sie die Stämme in kleine Stücke zerlegen und beiseiteschaffen mussten.

      Ein verfallener, alter Hof zog am Fenster vorüber. Er war bis auf die Grundmauern niedergebrannt und wirkte verlassen wie auch viele andere Bauten in der Gegend. Sie waren Zeugnisse der blutigen Auseinandersetzungen in der Zeit der Eroberung, als König Salsar mit seiner mordenden und brandschatzenden Armee diesen Weg eingeschlagen hatte. Niemand hatte sich danach jemals die Mühe gemacht, die Höfe wieder aufzubauen, deren Bewohner in den Flammen umgekommen, ermordet worden oder geflohen waren.

      Doch mochten auch noch so schlimme Geschichten diesen Teil, wie auch viele andere