Marylin. Arthur Rundt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Rundt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005495
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      Marylin ging am nächsten Morgen ins Bureau der Real Silk, Philip suchte fast drei Wochen hindurch vergeblich eine Stellung.

      Eines Mittags traf Philip auf dem Dach eines Omnibusses Charles Newton, der vor Jahren einmal mit Philips Schwester verlobt gewesen war und sich am Ende nicht ganz gut benommen hatte. Sie waren einander seit damals aus den Augen gekommen.

      »Hallo, Philip, auch in der großen Stadt? Schon lange?«

      »Noch ganz frisch. Noch auf der Suche nach einem Platz. Bin, weißt du, Architekt geworden, war zuletzt in Chicago.«

      »Na und?«

      »Scheint nicht ganz leicht, hier das zu finden, was ich suche.«

      Newton überblickte sofort die Lage. »Muß es denn durchaus und gleich zu Beginn bei einem Architekten sein? Ich – bin in einem Hotel, Assistent des Managers, es ist ein großes Haus. Wenn du willst, spreche ich mal mit Edward Tylor. Du machst eine gute Figur, ich glaube, ich könnte es durchsetzen, wenn irgend was frei ist.«

      »Du meinst, daß das klüger ist, als die Bureaus der Bauleute abzuklappern? Um dir die Wahrheit zu sagen: Es steigert nicht gerade die Courage, überall sich anzutragen und immerfort ›Nein‹ zu hören.«

      Ein paar Tage später stand Philip früh um 8 Uhr hinter dem Empfangstisch des Prince Albert Hotels. Er hatte sein schwarzes Jacket und das gestreifte Beinkleid an, er tat vorläufig nichts, aber es sah aus, als hätte er immer hier gestanden.

      Nach einer halben Stunde führte Newton ihn an den Posttisch, an dem die Gäste ihre Zimmerschlüssel abgaben und ihre Briefe verlangten. Hier blieb Philip. Newton, der hinter seiner dienstlichen Miene Gefälligkeit und tätige Freundschaft verbarg, kam hin und wieder, die Hände auf dem Rücken, vorüber; gegen Mittag warf auch Tylor einen Blick auf den neuen Mann.

      Es ging nicht übel, Philips gute Manieren bewährten sich, es machte ihm auch Spaß, die Promenade der Gäste an sich vorüberziehen zu sehen, immer bereit zu sein und auf lässige und hastige Fragen gleichmäßig flott zu antworten.

      Von dem Fünfzig-Dollar-Wochenlohn war Philip freilich weit entfernt. Aber er brauchte, da er eine Mahlzeit im Hause bekam, nicht länger vom Ersparten zu leben.

      Marylin freute sich, als Philip ihr von Charles Newton und dem Posten im Prince Albert Hotel erzählte. Sie ertappte sich dabei, daß sie beim Anhören der endgültigen Nachricht einen tiefen Atemzug tat, wie von einer Last befreit. Ja, jetzt, da sie auf diese drei Wochen der Unsicherheit zurückschaute, konnte sie sich’s nicht verhehlen: Philips vergebliche Wege hatten ihr Sorge bereitet.

      Als sie eines Abends in ihrem Zimmer saß, trat ihr das Erlebnis mit Philip zum erstenmal als ein Ganzes ins Bewußtsein. Ein Fremder verfolgt sie, anfangs ohne daß sie es merkt, dann spricht er zu ihr. Er verfolgt sie nicht nur von einem Straßenblock zum andern, nein, in fremde Städte über Hunderte von Eisenbahnmeilen hinweg. Dann legt er die Hand auf ihre Schulter, wie einer, der den Ausweis in der Tasche hat.

      Sie hat vergeblich darum gekämpft, ihr Leben für sich allein zu führen, jedem einen Einblick verwehrend, und sei es auch um den Preis eines Opfers an Lebensglück.

      War Philip für sie etwas wie Glück? Oder war nicht schon daß sie ihm Macht über sich einräumte, Beginn unabwendbaren Unglücks?

      Sie war allein, als das alles langsam durch ihren von der Tagesarbeit ermüdeten Kopf rann.

      Glück? Unglück? – sie neigte den Kopf zur Seite, Mund und Augen schienen zu lächeln. Sie gab sich dem Bewußtsein hin, daß einer, der nicht der schlechteste war, um sie warb, daß es aussah, als wollte er nie fortgehen.

      Am Ende sank ihr Kopf kraftlos abwärts, so daß ein Teil ihres kurzen Haares, auch jener blonde Streif, nach vorn fiel. Sie hatte aufgehört zu denken, sie war fast ohne Bewußtsein ihrer selbst.

      Plötzlich und ohne Anlaß fuhr sie in die Höhe.

      Sie stand da, trotzig, mit einer harten, senkrechten Falte auf der Stirn, die Finger zusammengekrampft, ein Bild ekstatischer Abwehr; der Schaukelstuhl hinter ihr machte, als erhole er sich allmählich von einem Schrekken, noch ein paar letzte Bewegungen, bis er zur Ruhe kam.

      So schwankte Marylin von der Schwäche und Hingabe zu Trotz und Auflehnung.

      Niemand sah diesen Kampf, am sorgfältigsten wurde er vor Philip verborgen.

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      Philips Dienststunden im Prince Albert waren nicht immer die gleichen. Bisweilen hatte er früh um sieben Uhr da zu sein und war von drei Uhr ab frei, an anderen Tagen trat er um drei Uhr nachmittags an, dann waren seine acht Stunden erst am Abend um elf Uhr vorüber.

      Als er sich ans Mechanische der Arbeit und an die ständige Sprungbereitschaft gewöhnt hatte, begannen die zwölfhundert Brieffächer, an denen er hantierte, für ihn mehr zu sein als tote Rechtecke aus Glas und Holz.

      Der Gast exponierte sich dem Mann am Posttisch nur ein- oder zweimal während der täglichen Dienstzeit, aber mancher ließ trotzdem ein Erinnerungsbild zurück. Mitten in der Platte des Tisches befand sich ein Schlitz, in den, wer sein Zimmer verließ, den Schlüssel warf; aus der Schublade unterhalb der Öffnung wurden die Schlüssel dann nach ihren Nummern sortiert und an die kleinen Haken verteilt, die in jedem der zwölfhundert Brieffächer angebracht waren.

      Morgens kamen zuerst die Frühaufsteher, waren frisch, zeigten heitere Mienen, warfen mit leichter Handbewegung den Schlüssel zum Schlitz. Die sich nur schwer entschließen konnten, dem Tag ins Auge zu sehen, mühsam und spät aufstanden, neigten eher zu übler Laune, manche sogar zu Melancholie.

      Freilich gab es Ausnahmen. 615, der täglich seine Post persönlich zu einem der Frühzüge schaffen mußte, erfüllte die Pflicht unwillig und gegen seine Natur. 712, vollblütig und korpulent, war ein heiterer Langschläfer.

      580 lieferte nie seinen Schlüssel ab, trug ihn, auch wenn er ausging, bei sich, was mancherlei Mißverständnisse schuf und oft Anlaß war zu unnötigen Liftfahrten der kleinen farbigen Grooms. Die Tochter von 1113 bekam täglich mit der zweiten Post einen Brief ihres Liebsten, sie lauerte am rückwärtigen Eingang dem Postboten auf und störte dann das Geschäft des Sortierens. Der Deutsche von 411 kam mit einer Geste zum Tisch, als wäre er der einzige, der nach Briefen fragte; einmal, als er das Fach leer fand, herrschte er Philip an: »Wieso ist nichts da? Gestern abend ist der Dampfer gekommen. Ich weiß genau, wann die Dampfer kommen, jawohl.«

      Philip sah das alles nicht aus Freude an der Vielfältigkeit der Gesichter und Charaktere, sondern übte, als wäre es ein Sport, sein Gedächtnis. Jedem, der drei Tage im Haus war, ersparte er’s, die Zimmernummer zu nennen, griff unfehlbar ins richtige Fach und gab ungefragt Bescheid. Tylor sah dieser Praxis befriedigt zu, Newton augenzwinkernd und beinahe mit Stolz.

      Rechts vom Posttisch, auf einer eingebauten Holzbank, lümmelten die farbigen Grooms, balgten sich, wenn alle sechs da waren, um die Sitzgelegenheit, denn die Bank bot nur dreien Platz, höchstens vieren, wenn sie sich sehr zwängten. Aber wenn der Knirps Teddy, der beinahe so breit war wie hoch, Dienst hatte, dann nützte das Zwängen nichts, dann gingen um keinen Preis vier auf die Bank.

      So träge und langsam die Jungen in ihrer Ruhezeit waren, so flink waren sie auf den Beinen, sobald ein Gast oder ein Angestellter des Hotels sie rief. Philip mußte oft über die staunenswerte Wirkung seines Winks lachen, wenn er ein Zeichen gab und wenn dann, wie aus der Schachtel gesprungen, einer der Kleinen jenseits des Tisches stramm stand in der enganliegenden Uniform mit den glänzenden Kugelknöpfen vom Kinn bis zum Nabel.

      Aber blind und taub gegen alles Winken und Rufen von irgendwoher waren die Jungen, sobald Bill Patterson sich in der Halle zeigte, der große Negerboxer, der seit acht Tagen im Prince Albert wohnte.

      Natürlich nahm Tylor sonst keinen Schwarzen im Haus auf, aber Bill Patterson – das war eine andere Sache. Bill war zu Ende des letzten Winters aus Milwaukee zu einem Match mit Benjamin Foster nach New York gekommen, hatte Foster in der ersten Runde besiegt und kurz darauf fast ebenso