Marylin. Arthur Rundt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Rundt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005495
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gedauert.

      Auf dem Wege von jener Hochbahnstation zu ihrer Wohnung besuchte Marylin täglich einen jener Läden, in denen aus Eis, Mineralwasser, Milch, Fruchtsäften und vielerlei Chemikalien nach den Wünschen der Gäste Getränke gemischt wurden.

      Wenn Marylin eintrat, das Fräulein an der Kasse im Vorübergehen lächelnd grüßte und sich hinten im Laden niedersetzte, griff der Mann am Bartisch nach einem der Nickelbecher und begann unaufgefordert seine Arbeit. Marylin trank von den zahlreichen Mischungen immer die gleiche: eisgekühlte Milch, in die ein Ei, etwas Zucker und ein Löffel gelben Malzpulvers geschüttet wurden, alles das auf einem elektrisch betriebenen Apparat zu einem schaumigen Getränk durcheinander gesprudelt.

      Ihr Besuch in dem Laden dauerte immer nur wenige Minuten. Sie trank ihr Glas langsam und in Abständen aus. Manchmal las sie in dem kleinen ungebundenen Buch, das sie bei sich trug, bis zu einem Abschnitt, der zum Unterbrechen geeigneter war als jener Punkt, an dem sie in der Hochbahn hatte aufhören müssen. Aber meist saß sie still da, scheinbar ohne an irgend etwas zu denken.

      Dann zahlte sie, dann lachten die beiden Mädchen einander wieder an, und Marylin ging nach Hause.

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      Sie wohnte bei einer Irländerin, die das kleine Boardinghouse erst vor kurzem gekauft hatte. Zwei Zimmer lagen nach der Straße hinaus, ein langer, dunkler Gang verband die Vorderzimmer mit der Küche; von diesem Gang aus gingen fünf Türen in fünf voneinander abgesonderte kleine Zimmer.

      Marylin wohnte im vorletzten.

      Die Wohnung lag im siebenten Stock eines alten, nicht sehr gepflegten Hauses. Der Schwarze, der den Aufzug bediente, sagte allen heimkehrenden Bewohnern, sobald er die Lifttür geschlossen hatte, einen Satz über das Wetter und über die allgemeine Laune, die sich aus dem Wetter ergab. »’N wunderschöner Tag heute, muß sehr schön sein, ein Stückchen spazieren zu gehen« oder »Schrecklich, der Regen, will nicht aufhören, man muß froh sein, nach Hause zu kommen« oder dergleichen. Der Schwarze sagte das zu allen mit gleich betonter Freundlichkeit. Manche erwiderten mit einem höflichen Wort, manchen nickten nur mechanisch mit dem Kopf; die meisten hörten seine Worte wie das Geräusch der Aufzugsmaschine, wie etwas Unvermeidliches. Marylin gehörte zu diesen letzten.

      Sobald sie oben in ihrem Zimmer war, legte sie ihr Täschchen aufs Bett, wechselte das Kleid gegen ein Hausgewand und setzte sich eine Weile in den Schaukelstuhl, der zwischen Fenster und Toilettetisch seinen Platz hatte.

      Das Zimmer war ein kleiner, aber heller Raum. Er enthielt das Bett, in der Ecke den Verschlag für Kleider, ein Waschgestell, die Kommode, die zugleich Schreib- und Toilettetisch war, einen einfachen Stuhl und den Schaukelstuhl. Neben der Kommode stand Marylins großer Koffer, der die selten gebrauchten Kleidungsstücke enthielt und im untersten Fach Briefe, das Bankbuch und ihre Dokumente. Über der Kommode hing neben dem Spiegel in einem Holzrahmen, den ein paar Feldblumen schmückten, die Photographie eines stolzen, aber traurig dreinblickenden Mannes mit einem unmodischen Vollbart. Alles war an seinem sorgfältig gewählten Platz, links auf der Kommode, über die eine Decke gebreitet war, drei Flakons, rechts zwei Glasdosen, in der Mitte eine Vase, vor ihr die Schreibmappe.

      Marylin blieb meist in ihrem Zimmer, bis die Wirtin sie zur Abendmahlzeit rief, die beide in der Küche einnahmen. Nachher pflegte Marylin noch eine Weile hinunterzugehen, einmal oder zweimal in der Woche ins Kino.

      Es gab keine Ereignisse in diesem Leben, nichts Erwartetes, nichts Unerwartetes.

      Marylin fiel es nicht auf, als eines Tages kurz hinter ihr ein junger Mann in den Laden trat, in dem sie ihr Nachmittagsgetränk einnahm. Er bestellte ein Glas Soda mit Fruchtsaft und setzte sich an einen Tisch vorn neben der Kasse.

      Philip konnte Marylin nicht sehen. Er saß so, daß er ihr beinahe den Rücken kehrte. Sein Blick war dem vorderen Teil des Ladens zugekehrt, der Kasse und der offenen Tür, die ein Rechteck der Straße zeigte.

      Hatte Philip es nicht gewagt, sich anders hinzusetzen? Es war selten Unsicherheit in dem, was er tat, obwohl er außerhalb des Bureaus seinen scharf zugreifenden Verstand fast wie eine Maschine abschaltete. Saß er nicht im Office des Architekten, bei dem er arbeitete, über Plänen und Berechnungen, so lenkte ihn nur sein zuversichtlicher jungenhafter Glaube, daß das, was er wollte, das richtige war und auch immer gut ausging.

      Für seine Beziehung zu Marylin wäre es nicht ganz treffend, das Wort »Liebe« zu gebrauchen. Was in ihm vorging, war frei von jedem Konflikt. Er hatte sich für dieses Mädchen entschieden, ohne mehr von ihr zu wissen, als jeder wissen konnte, der zu bestimmten Zeiten des Tages aus dem Nordwesten von Chicago mit der Hochbahn zum Zentrum der Stadt fuhr oder zurück.

      Er hatte einfach einen Entschluß gefaßt. Und wenn er glaubte, daß es auf nichts anderes ankomme als auf diesen Entschluß, so lag hierin nicht ein Übermaß von Selbstbewußtsein oder gar eine Geringschätzung des Mädchens.

      Sein Entschluß war nicht leichtfertig. Ihm war klar, daß es hier um eine Entscheidung für sein Leben ging.

      Ein paarmal hatte er von Marylin geträumt.

      Er war durch die belebte Straße hinter ihr hergegangen, immer diesen sonnengebräunten Kinderarmen nach, die er für Augenblicke aus dem Gesicht verlor, dann, sich emporreckend, suchte und immer wieder fand. Er sah eine Hand, die von seitwärts herankam und den Arm des Mädchens streichelte. Da sprang er ganz schnell nach vorn, versetzte dem Burschen einen Schlag vor die Brust, so daß er gegen die Häuserwand taumelte; von der heftigen Bewegung des Hiebes war er aufgewacht.

      Oder: Sie waren verheiratet, sie hatten eine kleine Wohnung mit einem Vorhang von Perlschnüren in der Tür zwischen den zwei Zimmern. Es war Abend, sie saßen beim Eßtisch unter der Lampe, er hatte auf dem Heimweg die Zeitung gekauft und las, bevor Marylin hereinkam, das Großgedruckte. Dann brachte sie die Suppe, stellte sie vor ihn hin und reichte ihm den Schöpflöffel. Drüben im Schlafzimmer spielte das Grammophon.

      Einmal in seinen Träumen hatte er sie auch in den Armen gehalten und leidenschaftlich an sich gedrückt. Aber das war der verschwommenste seiner Träume.

      Am klarsten waren das Bild am Eßtisch unter der Lampe und ihr Blick, mit dem sie ihm den Schöpflöffel reichte.

      Beim ersten Besuch des kleinen Ladens in der Vorstadt lag vor ihm die Silhouette des Zahltisches mit dem Kassenfräulein, dahinter die Straße in der gelben Sonne des Herbstnachmittags. Das war kein glücklich gewählter Platz, das mußte das nächste Mal besser gemacht werden.

      Also saß er am nächsten Tag so, daß er Marylin sehen konnte.

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      Sie las in ihrem Buch, sie trug wieder das ärmellose Kleid, das sie jetzt nicht mehr lange tragen würde, da es am Morgen und gegen Abend schon kühl zu werden begann.

      Er sah in ihren großen, rehbraunen Augen, daß die Geschichte, die sie las, ihre Aufmerksamkeit völlig fesselte. Einmal, beim Umblättern, schien es ihm, als flog ein Zittern über ihre Oberlippe.

      Er sah ihren Mund, ihre kleine Nase, deren gerader Rücken zu einer glatten Stirn hinaufführte, und den klaren Ansatz ihres nach hinten gestrichenen Haares. Es war braun, aber mittendurch, so kam es ihm vor, lief ein hellerer, ein beinahe blonder Streifen.

      Dann schlug sie das Buch zu, Philip sah schnell nach dem Bartisch mit den Glasgefäßen und Flaschen.

      Die beiden waren fast immer die einzigen Gäste des Ladens, der erst in den späteren Abendstunden lebhaften Verkehr hatte. Wenn Marylin aufstand, an Philip vorüberging und den Laden verließ, folgte ihr sein Blick verlangend, aber ohne Unruhe.

      Eines Tages, als sie gerade im Türrahmen verschwand, durchzuckte es ihn: Und wenn sie morgen früh nicht in dem Zuge säße, der kurz vor neun Uhr von hier draußen zur Stadt fährt!

      Da sprang er auf und folgte ihr. Er zweifelte nicht daran, daß es das Haus ihrer Wohnung war, an dessen Stufen der schwarze Liftführer sie begrüßte.

      Die