Psychiatrie in Bewegung. Mario Gmür. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mario Gmür
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783907301074
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Woche) kurmässig vorgenommen wird. Die occasionistische Therapie lebt von therapeutischen Momenten und Sternstunden und ist dann indiziert, wenn der Patient sich einer systematischen Durchkämmung seiner Seele verschliesst. «Ich möchte eine Psychotherapie oder eine Psychoanalyse!» Gelegentlich bedrängen uns schizophrene Patienten geradezu mit dieser Bitte. Oft stellt sich dann heraus, dass der Patient mit dieser die Vorstellung verbindet, der Psychotherapeut könne als Heilungskünstler in einem magischen Geniestreich die schizophrene Symptomatik auflösen. Wird dieser Erwartung nicht entsprochen, so bricht der Patient gewöhnlich die Therapie schon nach einer oder nach wenigen Sitzungen ab. Ein solches Missverständnis ist meist weniger unheilvoll als das verbissene Bemühen, einen psychotischen Patienten durch systematisch aufdeckende Therapie zu behandeln.

      Einige Formen therapeutischer Begegnungen

      (Echotherapie, Übersetzungstherapie)

      In manchen Fällen ist einzig ein festes Setting in der Betreuung geeignet, den schizophrenen Patienten vor dem Entgleiten in psychotische Zustände zu bewahren. Das Angebot eines Arrangements mit regelmässigen Konsultationsterminen gibt diesen Patienten Halt und hilft als stützende Therapie, das Gefüge ihrer zum Auseinanderbrechen disponierten Persönlichkeit zusammenzuhalten. Wünsche der Patienten nach Regelmässigkeit und Verlässlichkeit des Konsultationsrhythmus sind stets zu respektieren und können ja unserem eigenen Ordnungsbedürfnis in der Gestaltung unserer Sprechstunden nur entgegenkommen. Unzweckmässig ist es aber, den Schizophrenen gegen seine Neigung unserem eigenen Ordnungsprinzip unterzuordnen und am Schema eines regelmässigen Konsultationsrhythmus festzuhalten, wenn dieses auch, wo immer möglich, Priorität gegenüber anderen Arrangements haben soll. Der Verlauf der Schizophrenie verbessert sich erheblich, indem wir Hand zu flexiblen Formen der therapeutischen Beziehung bieten, wenn vom Patienten aus das Verlangen danach explizit oder implizit signalisiert wird. Es sind besonders sein Kontroll- und sein Selbstbestimmungsdrang, die von ihm fordern, die Distanz zu uns selber zu bemessen, Dauer, Häufigkeit und Charakter der Konsultationen zu einem wesentlichen Anteil selber zu bestimmen. Sind bei ihm Leidensdruck und therapeutisches Anlehnungsbedürfnis schwach, so führt ihm nämlich das Arrangement einer durchgehenden Betreuung zu sehr sein Kranksein vor Augen, und der Krankheitsverlauf wird besser ausfallen, wenn wir seine Bereitschaft fördern, uns aufzusuchen, wenn sich Krankheitssymptome bemerkbar machen. Ist der Patient gar völlig «anderer Meinung» und ohne jedes Verständnis für unsere ärztliche Sicht, so fahren wir besser, wenn wir uns jeglicher professionellen Usanz enthalten und uns ihm als spontanes Gegenüber zur Verfügung stellen. Bei völlig unangepassten, schwer auffälligen Patienten, die etwa mit skuril-komischen Bemerkungen oder subkatatonen Äusserungen uns ihre Aufwartung machen, ist «weniger Tun» meist besser als jede erzwungene Bemühung, eine «normale» Sprechstunde abzuhalten und das Schizophrene ins Lot des gesunden Menschenverstandes zu bringen. Die Tatsache des Erscheinens hat hier Priorität gegenüber den Inhalten der vorgebrachten Wahnäusserungen. Wir genügen den bewussten und unbewussten Erwartungen des Patienten, wenn wir ihm ein (oft beliebiges!) Echo geben auf seine Botschaften; eine beliebig falsche Entgegnung ist vielleicht besser als eine vermeintlich richtige. Besucht uns etwa unerwartet ein Patient mit der Mitteilung, «der Herrgott habe ihm befohlen, uns einen kurzen Höflichkeitsbesuch abzustatten,» so lassen wir es besser bei einem kurzen «so!», das im Tonfall ja vielfältig variiert werden kann, bewenden, ohne ihn von der Notwendigkeit medizinischer Behandlung zu überzeugen. Mit einem kurzen Echo haben wir für den Moment unsere Schuldigkeit getan. Bei häufigem Erscheinen (oder Telefonanrufen) weitet sich dieses Echo freilich zu einer eigentlichen Echotherapie aus, die sich in der Abfolge nicht ganz begreifbarer Aktions- und Reaktionsmuster gestalten mag, bis diese vielleicht erst nach Monaten einen geordneten Verlauf nimmt. Die therapeutische Wirksamkeit dieser Echotherapie liegt in der Stärkung des Selbstgefühls des Patienten, das durch den Widerhall seiner Äusserungen gleichsam zusammengekittet wird. Unsere Entgegnung auf die «unsinnigen» Manifestationen des Patienten darf durchaus einmal «unsinniger» Natur sein, wenn sie nur in irgendeiner Weise partnerschaftlich und stimmig ist. Bei der Echotherapie müssen wir oft unseren Realitätsstandpunkt zurückstellen und gewissermassen mitschizophrenieren. Zeigt hingegen der Patient deutliche Anzeichen einer normalen Patienten/Therapeuten-Beziehung, wobei er uns als «Vertreter der Realität» betrachtet, so ist unser Versuch einer Sinngebung seiner schizophrenen Äusserungen angebracht, indem wir seine befremdlichen Botschaften, etwa durch Analogiedeutungen, in eine für ihn verständliche Sprache übersetzen, die sich an ähnlichen Phänomenen der Realität orientiert. Das Hauptmerkmal an dieser Übersetzungsarbeit liegt darin, dass wir ihm als Vertreter der Realität gegenübertreten, mit der Bereitschaft, seine Signale aus dem «schizophrenen Weltall» auf unsere «Bodenstation der Realität» zu empfangen und zu verstehen. Sinngebung kann aber auch heissen, dass die Veränderung des Patienten, eine psychopathologische Symptomatik, mit einer fassbaren Veränderung der Lebenssituation verknüpft wird und die funktionelle, adaptive Bedeutung deutlich gemacht wird.

       Akute schizophrene Erkrankungen

       (Ersterkrankungen und Rezidive, die sich ambulant gut behandeln lassen – was tun?)

      Akute schizophrene Erkrankungen, Ersterkrankungen oder Rezidive, verlangen von uns dreierlei Massnahmen:

      1.die Einleitung einer antipsychotisch-neuroleptischen Medikation.

      2.die Entlastung am Arbeitsplatz und in der Familie durch Vermittlung einer Tagesstruktur für den Patienten.

      3.Besprechung der fassbaren psychosozialen Konflikte in der Familie und der übrigen Umwelt.

      Die psychiatrische Klinik vermag im allgemeinen diese Aufgaben zu erfüllen. Wird aber, aus welchen Gründen auch immer, von einer Hospitalisierung Abstand genommen, so haben ambulante Behandlungsmöglichkeiten diese Leistung zu erbringen. Bei akuten psychotischen Krisen sollte eine unter Umständen tägliche Sprechstunde die Funktion der Arztvisite im Krankenhaus übernehmen, um die Wahl und die Dosierung des Psychopharmakons vorzunehmen und kurzfristig sich ändernden Verhältnissen anzupassen. Bereits diese engmaschige Betreuung gewährleistet eine gewisse Entlastung des Milieus, bei welchem zudem durch geeignete Aufklärung Geduld und Verständnis für den langwierigen Verlauf geweckt werden kann. Die Toleranz der Angehörigen und die Tragbarkeit des erkrankten Patienten in seiner Umgebung können meistens dann entscheidend erhöht werden, wenn in einem ergotherapeutischen Atelier, einem Tageszentrum oder in einer Tagesklinik die Möglichkeit einer Betreuung für mindestens einige Stunden pro Tag eingerichtet wird. Eine schizophrene Erkrankung ist nicht selten auch Ausdruck eines schwelenden oder sich zuspitzenden Familienkonfliktes oder wird zumindest durch einen solchen verstärkt. Ein Familieninterview mit den am psychodynamischen Geschehen Beteiligten vermag manchmal in eindrücklicher Weise dem Krankheitsverlauf eine günstige Wendung zu geben. Gefördert durch familiendynamische Theorien der letzten Jahre, teils antipsychiatrischer Observanz, liegt die Schuldfrage oft in der Luft und lastet auf den Angehörigen, welche ihre pathogenen Verhaltensweisen etwa überfürsorglicher, versteckt-aggressiver oder manipulativer Art verstärken. Direkte Entlastung und Befreiung der Angehörigen von Schuldgefühlen, die dank der Autorität und des hohen Prestiges des konsultierten Arztes oder Therapeuten oft mit geringem, wenn auch zu wiederholendem Aufwand erreicht werden können, sind besonders geeignet, die Atmosphäre zu entspannen und für die Gesundung des Patienten den nötigen Freiraum zu schaffen. Die Einsicht in eigenes krankheitsbegünstigendes Verhalten kann, wegen der einsichtshemmenden Schuldgefühle und Kränkbarkeiten, in der Regel nur in kleinen Schritten, in einem mitunter langwierigen therapeutischen Prozess vermittelt werden. Die Themen einer solchen spezialisierten familientherapeutischen Intensivbehandlung lassen sich mit den Stichworten umreissen: Wahrhabenwollen der Krankheit, Familienprestige, Krankheit des Patienten als neurotisches Interesse seiner Angehörigen, und werden je nach Bereitschaft und Eignung der Betroffenen systematisch oder occasionistisch behandelt.

      Bibliographie

      1.Gmür M.: Der Schizophrene als Partner in der hausärztlichen Behandlung. Schweiz. med. Wschr. 112, 1735–1741, 1982.

      2.Griesinger W.: Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten. Stuttgart, Krabbe, 1845