Psychiatrie in Bewegung. Mario Gmür. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mario Gmür
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783907301074
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oder Gruppe der Schizophrenien. In: Aschaffenburg, G. Handbuch der Psychiatrie. Leipzig: Deuticke, 191.

      4.Kernberg O. F.: Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus. Suhrkamp Verlag, 1978.

      5.Kohut H.: Narzissmus. Eine Theorie der Psychoanalytischen Behandlung narzisstischer Persönlichkeitsstörungen. Suhrkamp Verlag 1973.

      6.Conrad K.: Die beginnende Schizophrenie, 1. Aufl., G. Thieme Verlag, Stuttgart, 1958.

      3.Texte von Schizophrenen

      Aus: Die Gefühle befinden sich im Gehirn, Verlag Signathur, 2016

      Immer wieder wurde beobachtet, dass bei Künstlern von hohen Graden mit Ausbruch der schizophrenen Psychose die Produktivität versiegte. Die Schizophrenie verkürzte die Zeit ihres produktiven Schaffens. Strindberg, Hölderlin, Nerval, van Gogh sind Beispiele dafür. Umgekehrt nehmen wir immer wieder verwundert zur Kenntnis, dass Menschen ohne künstlerische Ambitionen und Aktivitäten in der schizophrenen Erkrankung kreativ produktiv werden. Der Schizophrenie wohnt ein eigentümlicher schöpferischer Zug inne. Dieser ergibt sich aus dem Streben des sich auflösenden Ichs nach integrierenden Gestalten und Gestaltungen. Bilder von chronisch kranken, dauernd hospitalisierten schizophrenen Patienten haben durch die Sammlungen von Morgenthaler (Adolf Wölfli), Prinzhorn und Navratil (die Künstler von Gugging) Weltberühmtheit erlangt. Schon der Kulturphilosoph Malraux meinte, dass Darstellungen von Geisteskranken zu den eindrucksvollsten Kunstgattungen zu zählen seien.

      Im Vergleich zu Bildnereien von Geisteskranken ist der Wert ihrer sprachlichen Darstellungen zu wenig erkannt und anerkannt worden. Die Texte von schizophrenkranken Menschen fristen ein Schattendasein. Dabei ist das, was Schizophrene uns zu sagen haben, von höchstem Interesse. Und wie sie es sagen oftmals von einem ganz besonderen literarischen Reiz.

      Ein Merkmal der schizophrenen Sprache ist zum Beispiel, dass Worte aus ihrem gewöhnlichen Bedeutungszusammenhang herausgelöst werden und sich zu neuen unvermuteten Sinnverbindungen zusammenfinden.

      Aus dem Mund eines Schizophrenen kommt oft die Wahrheit, wie aus dem Mund des Kindes oder des Betrunkenen, bei denen gängige Konventionen und Zensuren noch nicht oder nicht mehr wirksam sind. Oder es ist eine andere Wahrheit, die uns auch angeht.

      Die meisten in der Psychiatrie tätigen Psychiater, Krankenschwestern, Psychologen und Sozialarbeiterinnen erhalten in ihrem beruflichen Alltag von schizophrenen Patienten und Patientinnen gelegentlich Texte aller Art zu lesen: Gedichte, Alltagsreimereien, Briefe, Aphorismen, Tagebuchnotizen, Traktate, Abhandlungen, Pamphlete, Rechtsschriften, öffentliche Aufrufe u. a. m. Als Psychiater schien mir, dass man aus Gehalt und Sprache solcher Schriften mehr über die Schizophrenie erfährt als aus psychopathologischen Lehrbüchern der Psychiatrie. In meiner Vorlesung an der Universität Zürich liess ich von Zeit zu Zeit – durchaus in didaktischer Absicht – einen Teil meiner Privatsammlung von einem Schauspieler vortragen. Und ich glaubte beim studentischen Publikum im Hörsaal eine Faszination festzustellen, wie ich sie oft in Theatersälen bei der Aufführung von Werken von Normaldichtern nicht erkennen konnte. Die vielgestaltige schizophren schillernde Landschaft zog durch den tiefen Ernst der Aussagen und die eigenartig verspielte Sprache die Zuhörer in den Bann. Was ist es, was mich daran hinderte, diese Texte einfach auf die Seite zu legen? Es ist die Unbeirrbarkeit, mit der diese Menschen ihre Zweifel äussern und ihre eigene Welt bauen.

      Schizophrene Menschen sind in der Geschichte bis in die heutigen Tage immer wieder ausgegrenzt und eingesperrt worden. In den modernen Gesellschaften erfolgt das Bemühen um ihre Integration durch Psychopharmaka, Arbeitstherapie und Sozialhilfe. Dies reicht aber nicht hin. Ein psychotischer Patient sagte mir einmal in einem Anflug bitter-ironischer Selbstcharakterisierung: «Ich bin vom Kopf bis zum Fusse auf Lithium eingestellt.» Integration kann nicht nur mit harten und kalten technischen Methoden erfolgen, indem wir die Eigenart schizophrener Menschen schlicht beseitigen, sondern nur, wenn wir uns vor ihrer Andersartigkeit verneigen. Eine Andersartigkeit, von der wir oft mehr in uns selbst haben, als wir meinen. Jeder Empathiezuwachs, den wir durch vorurteilsloses Hinhören und Hinsehen erreichen, ist ein Beitrag zur Humanisierung unseres Lebens und Zusammenlebens. Auch aus diesem Grunde ist es gut, wenn die Texte schizophrener Menschen den Weg aus dem Hörsaal auf die Bühne finden, die die Welt bedeutet.

      HEROINSUCHT

      4.Die Konzeptualisierung der Methadon-Behandlung von Heroinabhängigen

       Von Dr. med. Mario Gmür, Oberarzt, Sozialpsych. Dienst der PUK Zürich

      Aus: Schweizerische Ärztezeitung, Nr. 32, 8. August 1979

      Fallen Menschen bereits in jugendlichem Alter einer Suchtkrankheit anheim, die ihre Entwicklung zu gesunden Erwachsenen durch Verwahrlosung, Gefängnisstrafen oder gar Tod beeinträchtigt, so sind wir aufgefordert, alle möglichen therapeutischen Massnahmen zu erwägen und nötigenfalls zu realisieren. Die Behandlung von Heroinabhängigen mit Methadon ist seit Jahren Gegenstand einer teils heftig geführten Kontroverse, an der sich neben Ärzten ein weiterer Kreis von Drogenfachleuten verschiedener Berufsgattungen beteiligt. Leider ist diese Auseinandersetzung oftmals belastet von überbordenden Emotionen, Vorurteilen und unrealistischen Erfolgserwartungen. Unbiegsames Festhalten an der Abstinenzideologie hier, unreflektierte Methadon-Freudigkeit dort verhinderten die Heranbildung eines fundierten Methadon-Behandlungskonzeptes und hinterliessen mancherorts ein wahres Methadon-Debakel. Das Aufkommen illegaler Methadon-Märkte zufolge unkontrollierter Methadon-Abgabe, die Begünstigung primärer Methadon-Sucht durch zu extensive Indikationsstellung und die Enttäuschung falscher Hoffnungen als Folge mangelhaft formulierter therapeutischer Zielvorstellungen haben bei vielen Therapeuten eine tiefe Verunsicherung hervorgerufen. Eine ernsthafte Behandlungsmethode läuft dadurch Gefahr, um ihre Chance gebracht zu werden. Im Bestreben, einen Beitrag zur Versachlichung der Methadon-Diskussion zu leisten, möchte ich mich daher aus eigener therapeutischer Erfahrung mit Methadon-Patienten und gestützt auf die angelsächsische Methadon-Literatur zu Fragen von Indikationsstellung, Konzeptualisierung und praktischer Durchführung äussern. Es liegt mir fern, von der Warte eines expertenhaften Besserwissertums zu dozieren, wohlwissend, dass ich in einen offenen Meinungsbildungsprozess eingreife und das in einem Stadium, wo stichfeste Erfolgskontrollen noch ausstehen. Ein Entwurf zu einer Konzeptualisierung und Strukturierung der Methadon-Behandlung ist jedoch gewiss nicht verfrüht, wenn es gilt, Entartungen Einhalt zu gebieten, die für den engagierten und aufmerksamen Therapeuten bereits vor dem Eintreffen statistischer Bestätigungen erkennbar sind. Meine untenstehenden Ratschläge und Tips sind als Rezepte zu verstehen, die sich aus meinem eigenen Entwurf zu einer strukturierten Methadon-Behandlung ableiten und von jedem Therapeuten nach eigenem Gutdünken eingelöst oder abgeändert werden müssen.

      Der Stellenwert der Methadon Behandlung in der Suchttherapie

      Die Hilfe für Heroinabhängige verlangt eine Pluralität von Behandlungsmöglichkeiten. In einem solchen Rahmen nimmt auch die Methadon-Behandlung neben anderen Therapien einen bedeutenden Platz ein. Im Unterschied zu Entzugsbehandlungen ist sie auf weite Sicht nicht auf Drogenfreiheit ausgerichtet, sondern strebt die Stabilisierung der Sucht an, indem sie die Beschaffungsnot des Heroinabhängigen behebt. Sie ist nicht eine blosse pharmakologisch-medizinische Behandlung, sondern als eine sozial-therapeutische Massnahme zu gestalten, die vom Therapeuten psychagogisches Geschick und Engagement verlangt. Im Vergleich zu einer auf Drogenfreiheit ausgerichteten Entzugsbehandlung stehen die Phasen von Heilung (Suchtfreiheit) und Rehabilitation in einer umgekehrten Reihenfolge: zuerst Rehabilitation, erst dann, allenfalls in mehrjähriger Entfernung, Suchtfreiheit. Erst wenn der Methadon-Patient nach jahrelanger Methadon-Behandlung sich innerlich und äusserlich von der Drogenszene entfremdet und eine soziale Integration über längere Zeit erfahren hat, ist er allenfalls zur Abstinenz bereit. In der Fachliteratur besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Lebensqualität eines suchtfreien Exfixers als höher einzustufen ist als diejenige eines Methadon-Patienten, diejenige eines Methadon-Patienten hingegen als besser zu bewerten ist als die eines Heroinabhängigen (1,