Der Verkehrspolizist. Dieter Schäfer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Schäfer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783864766664
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vergleichen und im März wurde weniger intensiv kontrolliert, ordnet Verkehrspolizeichef Dieter Schäfer das Resultat ein. Sorge bereite zudem, dass viele Radfahrer weiterhin verbotenerweise links fahren. „Obwohl die Unfallgefahr laut Unfallforschung, um das bis zu Zehnfache steigt und dies auch eine der Hauptunfallursachen für Radfahrende in beiden Städten darstellt, nahmen die Verstöße prozentual deutlich zu“, sagte Schäfer.

      Wenn man positiv denkt, könnte man daraus schließen, die Regeltreue habe zugenommen.

       Das Kalkutta-Phänomen

      Bei all den entstehenden Konflikten zwischen Radfahrern, Autofahrern und Fußgängern zeigt sich jedoch auch ein Paradoxon. Dort, wo am meisten geschimpft und geklagt wird, ereignen sich die wenigsten Unfälle. In Heidelberg ist die Plöck eine durch Studenten hoch frequentierte Fahrradstraße. Jeder kann auf Anhieb von einem Beinah-Unfall berichten und wie rücksichtslos die Radfahrer dort unterwegs sind. Die Statistik zeigt jedoch ein anderes Bild. Es passieren nahezu keine Unfälle oder diese werden, warum auch immer, polizeilich nicht gemeldet.

      Das gleiche Phänomen ergab sich in Mannheim, als versuchsweise in der westlichen Oberstadt innerhalb der Quadrate die Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radfahrer freigegeben wurden. Es dauerte nur wenige Wochen, bis auch die anderen drei Quadranten innerhalb des Ringes von den Radlern erobert wurden. Jeder schimpft nun über jeden. Aber es passieren so gut wie keine Unfälle mehr.

      In Vorträgen spreche ich dann oft vom Kalkutta-Phänomen. Es scheint keine Regeln zu geben und dennoch funktioniert der Verkehr. Der Grund ist wohl, dass jeder weiß, wenn er unaufmerksam ist, dass er Schaden nehmen kann. Also wird aufgepasst, dafür aber umso heftiger geschimpft.

      Das funktioniert innerorts allerdings nur in 30er-Zonen oder verkehrsberuhigten Bereichen. Dort wo 50 Stundenkilometer erlaubt sind, ist bei einem Unfall die Aufprallwucht zu groß. Ich bin fest überzeugt, wenn wir die Menschen überzeugen könnten, unsere Städte in den Nebenstraßenbereichen komplett auf 30 km/h und die Wohngebiete auf Schrittgeschwindigkeit herunterzuregeln, würden sich schwere Unfälle schlagartig halbieren. Und wenn wir ehrlich sind, können wir tagsüber eh nur selten schneller fahren.

      Die Realität zeigt jedoch, dass der politische wie auch der gesellschaftliche Konsens noch nicht in Sicht ist.

       Der Fahrradhelm

      Ein Phänomen überschattet jedoch den Fahrradsektor. Die Frage nach dem regelmäßigen Tragen eines Fahrradhelmes entzweit selbst die Radlobbyisten. Ich nehme es vorweg, ich bin gegen eine Helmpflicht für Radfahrer. Eine solche würde eine Überwachungsflut zur Durchsetzung des Helmtragens notwendig machen. Die Polizei ist personell dazu nicht in der Lage und so wäre der Verwarnungstatbestand das Papier nicht wert.

      Dennoch plädiere ich für das Helmtragen – aus Vernunftgründen. Auch hier kann ich von einem Paradoxon berichten. Das Betriebsgelände der BASF in Ludwigshafen erstreckt sich über eine sehr große Fläche. Die Distanzen zwischen den einzelnen Produktionsstätten und Verwaltungsgebäuden werden mit einer großen Flotte von Werksfahrrädern zurückgelegt. Aus Gründen der Unfallvermeidung ist dabei das Tragen eines Fahrradhelmes vertraglich festgeschrieben. Kein BASF-Mitarbeiter würde deshalb eine Abmahnung riskieren. Die Helmtragequote auf dem Betriebsgelände beträgt 100 Prozent. An der Pforte wird nach Feierabend dann aber der Helm abgelegt und der Nach-Hause-Weg häufig mit dem Privatfahrrad ohne Helm zurückgelegt – welch ein Widerspruch.

      Fatal wirkt sich allerdings die Kollision Pkw-Front gegen Fahrrad seitlich aus. Hier bilden sich die Kategorien bei geringer Geschwindigkeit von ca. 15 km/h und bei mittlerer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h ab. Letztere enden meist besonders schwer.

      Auffällig bei allen untersuchten Unfällen ist, dass bei Helmträgern das schlimmste festgestellte Verletzungsmuster die schwere Gehirnerschütterung war. Logischerweise hatte demnach keiner der Getöteten einen Helm getragen.

       Trennung der Verkehrsströme – Die neue Brücke

      Nach mehr als fünf Jahren aktionplus5.de in der Fahrradstadt Heidelberg komme ich zum ernüchterten Schluss: Erwachsene, gebildete Radfahrer lassen sich nur unter dem Druck ständiger Überwachung zur Einhaltung der Verkehrsregeln bewegen. Dazu ist die Polizei bei 30 Prozent Binnenverkehrsanteil personell und auf Dauer nicht in der Lage. Lässt der Überwachungsdruck nach, nehmen die Verstöße wieder zu.

      Stadtplaner sollten das beachten, wenn sie Unfallgefahren nachhaltig reduzieren wollen. Einige Städte machen es vor. Ein bisschen hier, ein bisschen da hilft kommunalpolitisch nicht. So kommen wir als Verkehrspolizei leider immer nur unserer traurigen Chronistenpflicht nach. Deshalb sind auch im Binnenverkehrsnetz in Heidelberg Radschnellwege und eigene Trassen die Lösung.

      Die RNZ schrieb am 16.05.2017 „Mehrheit der Heidelberger Stadträte will eine eigene Fahrradbrücke – Im Stadtentwicklungs- und Verkehrsausschuss gab es nur eine Gegenstimme“. Die AG plus5 war als Lobbyist von Beginn an Befürworter einer eigenständigen Brücke.

      Stand 2018 zeigte sich anhand der Unfallentwicklung der letzten 5 Jahre, dass sich nach rückläufigen Verletztenzahlen bei prozentualem Anstieg des Anteils der Radfahrer deren Verunglücktenrate wieder deutlich erhöht hatte. Dies korrespondierte auch mit der Verschuldensfrage. Radfahrer waren 2018 in 62 Prozent aller von der Polizei erfassten Radunfälle Verursacher oder Mitverursacher.

      Beleuchtet man bei allen beteiligten Verkehrsarten nur die 40 Prozent der Unfälle zwischen Radfahrern und Kraftfahrzeugen, liegt ihr Verursacheranteil allerdings deutlich niedriger, bei rund 30 Prozent.

      Schon zu diesem Zeitpunkt war die Leistungsfähigkeit der Nord-Süd-Verbindung ins Neuenheimer Feld bei bis zu 14.000 Fahrradfahrten pro Werktag erschöpft. Verkehrsstörungen, insbesondere in den Morgenstunden, sind zwischen Hauptbahnhof und Berliner Straße wegen der ständigen Rechtsabbiege-Konflikte an der Tagesordnung.

      Risikooptimierungen für alle Verkehrsarten sind deutlich ausgereizt.

      Engeneering, sprich Verkehrslenkungsmaßnahmen und Ampelschaltungen im gegenwärtigen Verkehrsnetz, verbessern die Leichtigkeit des Verkehrs nicht wirksam.

      Enforcement, sprich die Verfolgung von Verkehrsverstößen durch die Polizei, scheitert an der schieren Masse der täglichen Verkehrsverstöße.

      Education, sprich Verhaltensänderungen zur Unfallreduzierung ist mittelfristig möglich, auf lange Sicht aber sehr aufwendig und deshalb nachhaltig kaum erreichbar.

      Der