Der Verkehrspolizist. Dieter Schäfer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Schäfer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783864766664
Скачать книгу
wäre sie mit dem Kopf auf der Windschutzscheibe oder dem Fahrzeugholm aufgeschlagen und hätte schwerste Verletzungen davongetragen.

      Weniger Glück hatte ein 51-jähriger Radfahrer. Im Oktober 2018 fuhr dieser an gleicher Stelle, morgens um halb sieben, bei Dunkelheit, bei Rotlicht über die Fahrradfurt.

      Er wurde dabei von einem Pkw auf der linken der beiden Fahrspuren umgefahren. Obwohl dem Mann diese Gefahr wegen der roten Ampel bewusst sein musste, querte er dennoch leichtfertig die Fahrbahn. Er trug keinen Helm und zog sich deshalb schwerste Kopfverletzungen zu.

       Kontrollkampagne „Monat der Fahrradsicherheit“

      Es war, als hätte ich in ein Wespennest gestochen.

      Das Schock-Video und die von allen regionalen Print- und Digital-Medien übernommene Berichterstattung wurde allein am folgenden Wochenende mehr als 110.000 Mal aufgerufen und vielfach im Netz geteilt.

      Natürlich interessierte mich das Echo der digitalen Medien. In 174 bis Montag verfassten Kommentaren spiegelt sich das zerrissene Bild der Verkehrsteilnehmer. Mit zum Teil aggressiven und hasserfüllten Kommentaren bashen Autofahrer auf Radfahrer und umgekehrt. Mehr als Dreiviertel der Kommentare sind dabei kontra Radfahrer und weniger als 20 Prozent pro. Ganz wenige suchen mäßigend den Ausgleich. Von der Vorgabe des § 1 der Straßenverkehrsordnung, dass bei der Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht geboten ist, sind die Kommentierenden weit entfernt.

      Zur Monatsmitte mussten meine Verkehrspolizisten schon 722 Verstöße ahnden. Die kontroverse Auseinandersetzung im Netz ging weiter. Neben der wiederkehrenden Forderung, in Städten nur noch Tempo 30 und Schrittgeschwindigkeit für Autos zuzulassen, argumentierte ein Radenthusiast ernsthaft, man müsse den Autofahrern eine Mitschuld geben, wenn Radfahrer bei Rot über die Ampel fahren. Sehe der Autofahrer einen Radfahrer, der bei Rot quert, müsse er seine Geschwindigkeit reduzieren, weil er mit weiteren Radfahrern rechnen müsse, die bei Rot fahren!

      Das stellt dann aber den Vertrauensgrundsatz der StVO total auf den Kopf. Kein Wunder, dass ob solcher skurrilen Einstellungen mehr Radfahrerkontrollen gefordert werden.

       Regeln? Sind für Verlierer.

       Wer auf deutschem Asphalt unterwegs ist, erlebt Drängler, Raser, Rowdys, die Donald Trumps der Straßen. Regeln? Sind für Verlierer…

       Ein Grund für die wachsende Wut ist zunehmende Platznot. Auf den Straßen wird es immer voller und enger, vor allem in den Städten. So stieg in den vergangenen zehn Jahren das Verkehrsaufkommen in Städten um 300 Millionen Personenkilometer pro Tag – ein Zuwachs von fast 20 Prozent…

       Auch die Radfahrer haben aufgerüstet, mit schnellen E-Bikes, riesigen Lastenrädern und robusten Mountainbikes pflügen sie sich ihren Weg durch die Ballungsräume, oft mit dem Gefühl moralischer Überlegenheit: Wir sind die Guten, wir fahren umweltfreundlich …

      Dabei bewegt sich ein jeder in seiner persönlichen Filterblase. Radfahrer und Fußgänger tragen Kopfhörer und starren auf ihre Handys, im Auto gibt es meist keine akustische Rückkoppelung mit dem Gegenüber. Entscheidende Elemente der menschlichen Kommunikation fehlen.

      Einige Prognosen sagen bis 2030 einen weiter anwachsenden Kraftfahrzeugverkehr in den Städten voraus. Trotz Bekenntnis zu fahrradfreundlichen Städten können viele Kommunen den Mobilitätsmix hin zu umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln nicht von heute auf morgen realisieren. Städte wie Amsterdam oder Kopenhagen beweisen, dass zur verkehrspolitischen Entscheidung auch eine konsequente Stadtplanung mit der Schaffung von Infrastruktur für den erwünschten Zuwachs von Radverkehr einhergehen muss. Solange die Landflucht anhält und die Städte wachsen, solange das Auto bei vielen noch Symbol für Wohlstand ist, werden sich viele nicht mit dem Fahrrad als priorisiertem Fortbewegungsmittel im städtischen Binnenverkehr zufriedengeben. Tägliche Staus und Parkplatznot werden weiter zunehmen und sind gegenseitiger Rücksichtnahme im Straßenverkehr abträglich. Und dann wird die Polizei als gesellschaftliches Stresskorrektiv gebraucht.

      Wie ging nun mein Überwachungsmonat zu Ende?

      Nüchtern betrachtet zeigt das Ergebnis von 1.557 Verwarnungen und Anzeigen gegen Radfahrer in den beiden Metropolen der Kurpfalz gerade wegen der täglichen Kontrollen deutlich auf, dass man allein mit polizeilichen Mitteln und innerhalb eines Monats ein eingefahrenes Massenverhalten nur sehr zögerlich ändern kann.

      Wir haben deshalb Woche für Woche Bilanz gezogen und mit den Überwachungsergebnissen die kontroverse Diskussion in der Bürgerschaft und insbesondere im Netz befeuert. Der Riss in den Stadtgesellschaften ist dabei unverkennbar.

      Eigentlich fordert die Straßenverkehrsordnung gegenseitige Rücksichtnahme von allen Verkehrsteilnehmern. Leider gibt es eine auffällige und nicht gerade kleine Minderheit unter den Radfahrern, die jedes Vorurteil bestätigt. Dazu kommen die reflexartigen Forderungen, doch erst einmal die Verstöße der Autofahrer zu ahnden. Dem widerspreche ich, denn der Kraftfahrzeugverkehr ist, auch weil Verstöße über das Kennzeichen verfolgt werden können, ganzjährig im Fokus der verkehrspolizeilichen Überwachung.

      Erfreulich war das Ergebnis einer erneuten Zufallsbefragung zum Ende des Kontrollmonats bei acht Fahrradhändlern in Heidelberg. Die Kunden berichteten positiv über die Aktion und auch die Händler lobten unisono die Maßnahmen. Viele wünschen sich häufigere Kontrollen. Fünf Händler stellten einen merklichen, nicht nur jahreszeitlich bedingten, Anstieg des Verkaufs von Fahrradbeleuchtungen fest. Auch das hatten wir bereits 2014 erlebt.

      Ich muss in diesem Zusammenhang immer wieder auf den Grundgedanken unserer Aktion plus5 hinweisen. Dieser empfiehlt allen Verkehrsteilnehmern, sich bewusst 5 Minuten mehr Zeit zu nehmen, um defensiv und regeltreu an das gesetzte Ziel zu kommen. Und das funktioniert. Ich habe tatsächlich Rückmeldungen hierzu, dass man viel gelassener ankommt.

      Natürlich musste ich ankündigen, dass diese Aktion im nächsten Frühjahr wiederholt wird.

      Unterstützt wurde das Vorhaben durch die Radunfallstatistik. In Heidelberg war die Zahl der verunglückten Radler um mehr als 14 Prozent, in Mannheim gar um über 22 Prozent gestiegen.

      Die Hauptunfallursachen bei den Radfahrern ließen häufig Unaufmerksamkeit und fehlende Regeltreue vermuten.

      Bei den Autofahrern führt der vergessene Schulterblick oft zum Zusammenstoß mit Radfahrern.

      Also begannen wir gleich am Aschermittwoch im März mit den Überwachungsmaßnahmen, um ein Zeichen zu setzen. Und natürlich führte die Hitliste der Verstöße wieder das Geisterfahren und das Missachten roter Ampeln an.

      Die Verstoßrate war nicht ganz so hoch wie im November. Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtete:

      Doch das Ergebnis ist auch mit Einschränkungen