Der Verkehrspolizist. Dieter Schäfer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Schäfer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783864766664
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      Manchmal ist es wirkungsvoller, das polizeiliche Gegenüber mit etwas Unerwartetem zu konfrontieren, auch mal an die Grenzen der Verhältnismäßigkeit zu gehen und damit zu provozieren. Auch eine negative Diskussion befasst sich mit dem Kern des Themas, führt zum Nachdenken und veranlasst vielleicht beim ein oder anderen ein Umdenken.

      Die erste Fahrradsaison mit der aktionplus5.de war vergangen. Für die Wortführer der Radfahrer-Lobby war sie immer noch zu einseitig auf Radfahrer fixiert. Aus den aktionsbezogenen Reaktionen auf Facebook war jedoch zu schließen, dass die schweigende Mehrheit den Ansatz begrüßte.

       Die Psychologie des Wegeunfalls

      Erklärungen findet man in den wissenschaftlichen Untersuchungen von Prof. Dr. Markus Hackenfort von der Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften. 2011/12 hat er die Risikofaktoren im Züricher Radverkehr untersucht

       Sich sicherheits- oder regelwidrig verhaltende Radfahrende schätzen die Gefahr der vorliegenden Situation signifikant geringer ein, als sich regelgerecht verhaltende Radfahrende. …

      Ehemals Erzieher von Beruf, gibt er in seinen Vorträgen bestechend einfache, aber überzeugende Erklärungen für das Gefährlichkeitsurteil und das Routineverhalten der Radfahrer.

      Die sich herausbildende Routine überlagert das Gefahrenbewusstsein. Wer tagein und tagaus immer die gleiche Strecke fährt, merkt sich jede Kleinigkeit im Straßenraum. Aus dieser Vertrautheit erwächst der Spruch: Den Weg fahr ich im Schlaf! Routine reduziert aber auch die Gehirnfunktion. Das Gehirn taktet nicht mit gleichbleibenden Impulsen reihum wie ein Computer, sondern teilt und reduziert damit die Aufmerksamkeit. Der Mensch glaubt in seiner Routine, mehrere Dinge gleichzeitig machen zu können, multitaskingfähig zu sein. Diese Selbstüberschätzung führt zu einem falschen Gefahrenradar. Verändert sich nur eine Situation gegenüber der erlebten Routine, kommt es unweigerlich zum Konflikt und schlimmstenfalls zu einem Unfall.

      Bei der Unfallaufnahme hören dann meine Kollegen des Öfteren die Entschuldigung: „Da ist doch noch nie einer von rechts rausgekommen!“

      Sind nun viele unterschiedliche Verkehrsteilnehmer gleichzeitig auf ihrem Weg, summieren sich natürlich die Gefahrensituationen. Passt nur einer nicht auf, kann es zum Unfall kommen.

      Ursächlich ist dabei auch das unterschiedliche Geschwindigkeitsniveau. Die Gemütlichen radeln mit einem Schnitt von 12 km/h. Die Masse bringt es auf etwa 18 km/h. Und dann gibt es die Sportlichen, die selbst auf dem Weg von und zur Arbeit den Wettkampf suchen und immer einen 30er Schnitt fahren müssen.

      Seit einigen Jahren kommen nun auch die Pedelecs dazu, mit denen auch ungeübte und ältere Radfahrer mithalten können.

      Künftig mischen sich auch noch die E-Tretroller in die Fahrradpulks. Teils mit 12 km/h, aber auch mit flotten 20 km/h sind sie nicht nur eine echte Alternative für den letzten Kilometer. Unter den diskutierten Aspekten wird es sicher zu Konflikten im Verkehrsraum kommen.

      Für alle gilt dennoch: Schnelles Fahren im Pulk, Überholen auf dem Radweg oder unter Einbeziehung des Gehweges, Geisterradeln und Missachten von roten Ampeln bringen innerstädtisch nur Minutenvorsprung.

      Dafür setzt sich der Radler selbst und andere unter Stress. Die Unfallgefahren steigen. Das partnerschaftliche Miteinander im Straßenverkehr nimmt Schaden.

       Freizeitunfälle

      Neben den Pendlerunfällen fällt der Fokus natürlich auch auf das Phänomen der Freizeitunfälle. Exemplarisch möchte ich einen Radunfall am Vatertag 2016 im Wohngebiet des Stadtteils Neuenheim herausgreifen.

      Ein 50-Jähriger aus der Gundolfstraße im ruhigen Stadtteil Neuenheim hatte sich mit einem Bekannten zu einer Ausfahrt mit dem Rennrad verabredet. Kurz nach 13 Uhr kehrten sie nach einer 60-km-Tour zurück.

      100 Meter vor der Haustür näherten sich die beiden der Seitzstraße. Aus dieser fuhr eine 30-Jährige mit ihrem VW-Golf von zu Hause los und hatte an der Einmündung zur Gundolfstraße Vorfahrt vor den beiden Radfahrern.

      Wegen eines verbotswidrig von einer Anwohnerin im 5-Meter-Bereich abgestellten Pkw mussten die Radfahrer mittig der Fahrbahn fahren. Durch die Sichtbehinderung konnten sich die Kontrahenten erst viel zu spät erkennen.

      Der vordere Radfahrer stieß vorne rechts gegen den VW-Golf, wurde aufgegabelt und durchschlug mit seinem Kopf die Windschutzscheibe. Der hintere Rennradler kollidierte ebenfalls mit dem Golf, wurde aber nach hinten abgewiesen.

      Zum Glück trugen beide einen Helm. Der 50-Jährige trug eine leichte Gehirnerschütterung sowie eine Kopfplatzwunde davon, der zweite Radler eine schmerzhafte Steißbein-Prellung. Ohne Helm wäre der Unfall mit schwersten Kopfverletzungen ausgegangen.

      Solche Unfälle im vertrauten, wohnortnahen Verkehrsraum sind aufgrund des Routineverhaltens der Beteiligten kaum präventabel bzw. vermeidbar.

      Warum das so ist, habe ich oben erläutert. Deshalb lasse ich auch nicht nach zu empfehlen, die Regeltreue zur persönlichen Routine zu machen.

       Statistische Gefahrenstellen im Verkehrsraum

      Das sind örtlich begrenzte Bereiche im Straßennetz, die durch eine erhöhte Konzentration von Unfällen auffällig sind. An diesen Stellen erreicht oder überschreitet die Anzahl der gleichartigen Unfälle einen Grenzwert.

      Dabei kann es sich um einen Knotenpunkt oder einen kurzen Streckenabschnitt einer Straße handeln, bei dem die Zahl gleicher Unfallarten, gleicher Unfalltypen oder gleicher Unfallursachen diesen bestimmten Wert überschreitet. Es werden also nur Unfallereignisse erfasst. Eine Häufung von Unfallgefahren an einer bestimmten Stelle wird daher erst spät erkannt.

       Die Furt am Gaisbergtunnel

      Eine solche erwähnenswerte Gefahrenstelle hat sich mitten in der Stadt, am östlichen Ende des Adenauerplatzes, entwickelt. Die parallel zur Bundesstraße 3, der Rohrbacher Straße, verlaufende Gaisberg-Straße ist ausgewiesene Fahrradstraße. Sie mündet in Nordrichtung mit leichtem Gefälle an einer ampelgeregelten Fahrrad- und Fußgängerfurt. Der querende Fahrzeugverkehr verlässt den Adenauerplatz zweispurig in den Gaisberg-Tunnel. Wenn die Ampel für Fußgänger und Radfahrer auf Rot springt, erhält der Autoverkehr drei Sekunden später Grün.

      An einem sonnigen Sommerabend im Juli 2016 fuhr ein junger Mann mit seinen Pkw von der Kurfürstenanlage über den Adenauerplatz in Richtung Tunnel.

      Für uns als Polizei ein glücklicher Zufall, zeichnete er seine Fahrt mit einer Dash-Cam auf. Er nähert sich der Fußgänger- und Radfahrerfurt an der Gaisberg-Straße. Auf dem linken Fahrstreifen wartet ein Pkw an der Haltlinie.

      Die Ampel springt auf Rot/Gelb und im letzten Augenblick huscht noch ein Radfahrer bei Rot über die Furt, sodass der wartende Pkw noch nicht losfahren kann.

      Die Ampel springt auf Grün und der junge Mann ist an der Querung, als plötzlich von rechts eine junge Radfahrerin ohne Geschwindigkeitsverminderung die Furt quert. Sie hat den Blick nach vorne gerichtet und macht einen völlig entspannten Eindruck. Der Pkw erwischt die Radfahrerin etwa mittig der Motorhaube. Die Radfahrerin wird hochgewirbelt, dreht sich um ihre Körperachse und wird mit Vorwärtsdrall seitlich über die Motorhaube abgeworfen. Das Fahrrad wird spektakulär etwa 20 Meter weit nach vorne links katapultiert.

      Die junge Frau hatte unglaubliches Glück. Sie trug keinen Helm. Der wartende Pkw konnte jedoch wegen des zuvor querenden Radfahrers nicht losfahren, sodass sie eine Ausrollzone