Kiel in der Geschichte. Oliver Auge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oliver Auge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783529092534
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deswegen explizit ausstellte. Ein halbes Jahr zuvor hatten beide die Kieler Grafschaft untereinander aufgeteilt, wobei der Segeberger Teil an Gerhard III., der Kieler an Johann III. gefallen war. Johann II. indes, der als Gefangener in die Kieler Burg geführt worden war, konnte aber von dort fliehen und begab sich zum Markgrafen von Brandenburg, der seinerseits wiederum mit dem dänischen König verfeindet war. Als beide Kontrahenten, der dänische König und der Markgraf von Brandenburg, 1317 den Frieden von Templin miteinander schlossen, wurde die besagte Teilung der Kieler »Beute« zwar bestätigt, doch immerhin wurde Johann II. die Nutznießung der Einkünfte von Kiel und Umland als Versorgung bis zu seinem Lebensende zugesprochen. 1318 kehrte er daher nach Kiel zurück und verbrachte hier seinen Lebensabend, bis er 1321 verstarb. Erst mit seinem Tod endete die Funktion Kiels als einer gräflichen Hauptresidenz, und die Stadt fiel endgültig an seinen Vetter Johann III.

      Seither fungierte die Kieler Burg lediglich als Nebenresidenz bzw. als Witwensitz, so z. B. für Anna von Mecklenburg-Schwerin (*1343; †1415), die Gemahlin von Johanns III. Sohn Adolf VII. (*um 1327; †1390), oder für Sophia von Pommern (*1498; †1568), zweite Ehefrau Herzog Friedrichs I. (*1471; †1533). Bereits um 1500 war zu diesem Zweck die mittelalterliche Burg zum großen Teil abgerissen und durch einen repräsentativen Renaissanceneubau, das sogenannte Neue Haus, mit einer Fürsten- und Jungfrauenstube, einem großen Treppenturm und einem Tanzsaal ersetzt worden. Zwischen 1558 und 1568 fügte Friedrichs Sohn Adolf I. (*1526; †1586) diesem Ensemble einen stattlichen Erweiterungsbau ebenfalls im Stil der Renaissance hinzu, der eigentlich aus vier parallelen Giebelhäusern mit zwei Treppentürmen zur Landseite und zwei Erkertürmchen zur Förde hin bestand und mit einem reichen Giebelschmuck ausgestattet war. Dieses Schloss bildete dann die erhabene Bühne für die pompöse Gründungsfeier der Kieler Universität Anfang Oktober 1665. Der Friedrichsbau wich nach seinem teilweisen Einsturz 1685 einem nüchternen Neubau aus zwei rechtwinklig aneinanderstoßenden Flügeln, für dessen Entwurf der Schweizer Festungsbaumeister Dominicus Pelli (*1657; †1728) verantwortlich zeichnete. Der bis heute erhaltene Westflügel erhielt später fälschlicherweise den Namen »Rantzaubau«. Die innere Ausstattung des Neubaus, der nunmehr der wohlhabenden Herzoginwitwe Friederike Amalie als Wohnsitz diente, war den zeitgenössischen Berichten zufolge ungemein prächtig.

      Zwangsläufig spielte Kiel nach dem Nordischen Krieg im Restherzogtum Holstein-Gottorf zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Rolle einer Hauptresidenz. Für Kiel war dies ein Glücksfall, denn dadurch wurde es rangmäßig aufgewertet und konnte es auf einen wirtschaftlichen Aufschwung hoffen: Ein fürstlicher Hof brachte im Regelfall den lokalen Konsum in Fahrt. Nicht zuletzt setzte man auf russisches Kapital, denn der Fürst und Stadtherr Carl Friedrich hatte sich am 20. Mai 1725 in St. Petersburg mit einer Tochter Zar Peters des Großen namens Anna Petrowna vermählt. Die Feier fand zwar nicht in Kiel statt, wurde jedoch auch hier groß gefeiert: In Abwesenheit des Brautpaares fand am 8. Juli 1725 eine Hochzeitszeremonie in der Nikolaikirche statt. Das Hochzeitspaar selbst blieb noch zwei weitere Jahre in St. Petersburg und kam erst am 26. August 1727 nach Kiel, nachdem Peter der Große gestorben und ein Aufenthalt am russischen Zarenhof für Carl Friedrich und Anna Petrowna daraufhin zu unsicher geworden war. Durch eine am Hafen errichtete, reich geschmückte Ehrenpforte mit den Initialen CFA wurden die Eheleute freudig von den Kielern empfangen. Unglücklicherweise waren die Lebensumstände in Kiel und seinem Schloss zu diesem Zeitpunkt offenkundig aber mehr als bescheiden und nicht gerade für eine Frau geeignet, die im dritten Monat schwanger und obendrein lungenkrank war. Der ohnehin schon angegriffene Gesundheitszustand von Anna Petrowna verschlechterte sich nach der Geburt des Sohnes und Thronfolgers Carl Peter Ulrich so rapide, dass sie keine drei Monate später, am 15. Mai 1728, starb. Aus diesem Anlass ließ ihr verwitweter Gemahl für die Dauer eines Jahres täglich drei Stunden lang alle Glocken in der Stadt läuten. Der kleine Sohn wuchs nun als Halbwaise in Kiel auf. Viel weiß man nicht über seine damaligen Lebensumstände, doch scheint er lebhafte Aufnahme in der städtischen Gesellschaft gefunden zu haben. So weiß man z. B., dass er 1732 – vierjährig – zum Schützenkönig der Brunswiker Schützengilde von 1638 erkoren wurde. Auch 1756/57 war er nochmals ihr König. Doch da lebte Carl Peter Ulrich schon lange gar nicht mehr in Kiel. Vielmehr hatte ihn seine kinderlose Tante, die russische Zarin Elisabeth, 1742 an ihren Hof nach St. Petersburg geholt, wo er fortan zu ihrem Thronfolger erzogen wurde. Tatsächlich sollte er den Zarenthron 1762 auch besteigen, diesen jedoch nur für ein knappes halbes Jahr innehaben.

      Seine an seinem Sturz und Tod offenbar nicht ganz unschuldige Frau und Nachfolgerin, Katharina II. die Große, hinterließ in Kiel dann einige bauliche Spuren, auch wenn sie selbst rund 2000 Kilometer davon entfernt residierte. Sie beschloss bereits 1763 die Renovierung des inzwischen stark heruntergekommenen Kieler Schlosses und beauftragte zu diesem Zweck den für den Neubau der Hamburger Michaeliskirche oder Hamburger Michels verantwortlichen Architekten Ernst Georg Sonnin (*1713; †1794). Ein in die Schlossmauer eingelassener Gedenkstein erinnert heute noch daran. Bei dieser Baumaßnahme wurde der als mittlerweile altmodisch empfundene reiche Renaissanceschmuck am Schloss beseitigt. Auch einen Teil der Gewölbe entfernte man, darunter dasjenige in der Schlosskapelle, das von Granitsäulen getragen worden war. An ihre Stelle traten ganz im Stil der Zeit schlichte Fassaden und Stuckdecken. Derart baulich verändert bzw. modernisiert gab das Kieler Schloss dann am 16. November 1773 die passende Bühne für die offizielle Übergabe der Herrschaft über Holstein-Gottorf an den dänischen König ab. Dieser Tausch war im August 1773 zwischen Russland und Dänemark im Vertrag von Zarskoje Selo vereinbart worden. Von diesem Zeitpunkt an bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war Kiel keine fürstliche Residenz. Das Kieler Schloss wurde als Sitz der gesamtstaatlichen Verwaltung genutzt. Zudem beherbergte es Räumlichkeiten der Universität; so fand hierin ab 1775 die Universitätsbibliothek ihre neue Heimstatt. Später, im 19. Jahrhundert, wurde die bedeutende Gipsabdrucksammlung der Universität im Schloss untergebracht. Auch sei nochmals daran erinnert, dass 1848 die konstituierende Landesversammlung hier tagte und späterhin, ab 1866/67, der Oberpräsident der preußischen Provinz Schleswig-Holstein seinen Sitz im Schloss nahm. 1838 hatte das Schloss dabei eine schwere Heimsuchung durch einen Brand erfahren. Das Feuer zerstörte weite Teile der Anlage, darunter die ehrwürdige Schlosskapelle.

      Zum Ausgang des 19. Jahrhunderts wurde Kiel freilich erneut zum Fürstensitz und das Kieler Schloss zur herrschaftlichen Residenz. Ab 1888 nämlich diente das Schloss dem kaiserlichen Bruder Prinz Heinrich von Preußen und seiner Familie als ständiger Wohnsitz. Heinrich war bereits 1877 mit Kiel in Kontakt gekommen, als er als knapp 15-Jähriger in die Kaiserliche Marine eingetreten war. Seither wuchs der Hohenzollernspross in die Rolle einer preußischen Integrationsfigur für Kiel und Schleswig-Holstein hinein, was umso schwerer wog, als anfänglich die preußische Herrschaft über Schleswig-Holstein von der Mehrheit seiner Einwohner abgelehnt wurde. Diese integrative Rolle bringt ein monumentales Historiengemälde des Künstlers Carl Saltzmann (*1847; †1923) von 1886 mit dem Titel »Zurück im Heimathafen«, das für den Neubau der Marineakademie in Kiel im Jahr 1888 bestimmt war, bestens zum Ausdruck. Auf seiner rund neun Meter breiten Bildfläche zeigt es nämlich Heinrichs umjubelte Rückkehr von einer anderthalbjährigen Auslandsfahrt auf der Glattdeckskorvette namens »Olga« am 13. März 1884 nach Kiel. Im Hintergrund ist selbstverständlich das Kieler Schloss zu sehen.

      Ab 1888 musste Heinrich jedoch seinen Ruf als überregional bekannte Propagandafigur für die Marine an seinen älteren Bruder, Kaiser Wilhelm II., abtreten. Denn dieser war von der Seefahrt so begeistert, dass er selbst diese Rolle zu übernehmen wünschte. In Kiel aber gründete Heinrich mit seiner Frau Irene von Hessen (*1866; †1953), die er am 24. Mai 1888 geheiratet hatte, eine eigene Hofhaltung. Im Jahr davor war die Schlossanlage durch Hofbaurat Albert Geyer (*1846; †1938) eigens dafür umgebaut worden. Heinrich hatte zwar bereits seit 1879 über eine Wohnung im Schloss verfügt, nachdem der Oberpräsident nach Schleswig versetzt worden war, doch nun entstand eine repräsentative Residenz für den Kaiserbruder und seine Familie. Diese wurde auch mit Wohn- und Schlafräumlichkeiten ausgestattet, in denen die kaiserlichen Majestäten untergebracht werden konnten, die Kiel des Öfteren besuchten. Das Herzstück des Schlosses bildete seinerzeit der sogenannte Wappensaal: eine neugotische Halle, die ganz im historistischen Stil der Zeit eingerichtet war. In den folgenden Jahren entfaltete sich ein stattliches höfisches Leben in Kiel mit zahlreichen Repräsentationsterminen, vor allem während der Kieler Woche und der Festballsaison im Winterhalbjahr. Diesem Hof stand Freiherr Albert