Kiel in der Geschichte. Oliver Auge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oliver Auge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783529092534
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der Kaiserhof in Berlin stets ein achtsames Auge darauf, dass in Kiel alles mit rechten Dingen zuging. Selbst die Annahme von Geschenken wurde von Berlin aus genau kontrolliert.

      Die Stadt Kiel zeigte jedenfalls über alle Bevölkerungsgruppen hinweg eine anhaltend große Begeisterung für das hier residierende Prinzenpaar, das als Stellvertreter des Kaiserhauses wahrgenommen wurde. Die Begeisterung legt nahe, dass die Anwesenheit des preußischen Prinzen dazu beitrug, dass die Bevölkerung die preußische Herrschaft über die Stadt und das Land mehr und mehr akzeptierte und sich mit dieser gar identifizierte. Der Kilia-Brunnen mit seiner allegorischen Frauengestalt, den die Stadt dem Ehepaar zur Hochzeit schenkte und der auf Prinz Heinrichs Wunsch im Innenhof des Schlosses aufgestellt wurde, war das steingewordene Symbol für diese Treue der Stadt zum Kaiserhaus. Zur positiven Grundeinstellung trug sicher auch bei, dass der Hof von Prinz Heinrich einen nicht unbedeutenden Wirtschaftsfaktor in der Stadt darstellte. So ließ sich allein der Kieler Marstall durch 30 feste Lieferanten und Handwerker, unter anderem Schmiede, Sattler oder Futterlieferanten, versorgen. Neben der hohen Nachfrage, die durch den Hof selbst entstand, war es gut für das Geschäft, sich »Hoflieferant« nennen zu können, z. B. für die Wäschefabrik Meislahn, die Bett- und Tischwäsche an den Hof lieferte. Obwohl es gar nicht so viele offizielle Berührungspunkte zwischen dem Hof und der Stadt gab – diese beschränkten sich auf Ereignisse wie die Einweihung der örtlichen Kirchen, wie beispielsweise die der Ansgarkirche im Jahr 1903 oder der St. Jürgenkirche 1904, bei denen Prinz Heinrich anwesend war –, nahm die Stadt stets einen regen Anteil am Hofgeschehen. Trotzdem lässt sich dieses aus heutiger Sicht nur schwer rekonstruieren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Prinz Heinrich ganz anders als sein kaiserlicher Bruder, der sich zum ersten modernen Medienstar entwickelte, kamerascheu war. Unter Paul Fuß (*1844; †1915), seit 1888 Bürgermeister bzw. seit 1890 Oberbürgermeister Kiels, organisierte die Stadt immer wieder Huldigungen für den Prinzen in Form von Aufmärschen oder Umzügen. Dies geschah etwa aus Anlass von Heinrichs Ostasienreise, deren Beginn im Dezember 1897 ebenso aufwändig gefeiert wurde wie deren Ende im Jahr 1900. Der Festumzug bei Heinrichs Rückkehr nach Kiel zählte ganze 8000 Personen. Zudem veranstaltete die Stadt einen Fackelzug anlässlich der Silberhochzeit des Prinzenpaares im Jahr 1913. Die Stadtwerke scheuten keine Kosten und sorgten durch modernste Beleuchtungstechnik für eine glanzvolle Illumination der ganzen Stadt. Die hierfür nötigen Gasbrausen waren eigens aus Berlin besorgt worden. Es verwundert angesichts dessen wenig, dass Prinz Heinrich als ein Aushängeschild der Stadt schon 1911 im Zusammenhang mit der damaligen Rathauseinweihung zum Kieler Ehrenbürger gemacht und dass die im Jahr darauf fertiggestellte Holtenauer Hochbrücke nach ihm benannt wurde. Neben Kircheneinweihungen besuchte der Prinz auch die Einweihungsfeiern von Schulen und übernahm ferner den Vorsitz örtlicher Vereine. Zu nennen ist z. B. der Golfklub Kitzeberg. Im Yacht-Club war er lange Jahre als Vizekommodore aktiv. Dessen Mitglieder trugen ihre eigene Kluft, zu der nicht von ungefähr die bekannte Prinz-Heinrich-Mütze gehörte. Einen Namen machte sich Prinz Heinrich ebenfalls dadurch, dass er das Seemannsheim in der Flämischen Straße im Jahr 1895 initiierte und dass er einer der ersten Autofahrer Kiels war. Ähnlich technikbegeistert wie sein älterer Bruder übernahm er auch die Schirmherrschaft der Internationalen Motorbootausstellung, die im Jahr 1907 in Kiel stattfand. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass er natürlich auch den Segelsport und die Regatten bei der Kieler Woche rege förderte.

      Mit dem Ersten Weltkrieg kamen Jubel und Huldigungseifer der Kieler jedoch mehr und mehr zum Erliegen. Als schließlich während des Matrosenaufstands im November 1918 die roten Fahnen auf den kaiserlichen Schiffen gehisst wurden, ergriff den im Schloss befindlichen Prinzen die Panik und er floh mit seiner Familie im eigenen Auto auf sein Gut Hemmelmark bei Schleswig. Auf dem Weg dorthin kam es auf der 1894 fertiggestellten Levensauer Hochbrücke zu einem verhängnisvollen Schusswechsel: Ein Matrose wurde dabei getötet, Prinzessin Irene durch einen Streifschuss leicht verletzt.

      Damit war die Zeit, in der Kiel Fürstenresidenz war, ein für alle Mal beendet. Nichts brachte dies sinnfälliger zum Ausdruck als der Einzug der städtischen Arbeitsnachweisstelle in das Erdgeschoss des Schlosses und die Nutzung der Pferdeställe und der Remise des Schlosses als Kartoffellager. 1928 wurde das Schloss immerhin Sitz der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Dahinter stand die Idee, das Schloss zu einem Kulturzentrum des Landes machen. Diese Konzeption wurde in der NS-Zeit weiterentwickelt und dann nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem das Schloss 1944 größtenteils zerstört worden war, tatsächlich realisiert. In dem ab 1961 in der Architektursprache der Nachkriegszeit weitgehend neu errichteten und 1965 während der Festwoche zum 300-jährigen Gründungsjubiläum der Universität offiziell eingeweihten Schlossbau fanden Versammlungs- und Ausstellungsräume, das Landesamt für Denkmalpflege, die Landesbildstelle, die Schleswig-Holsteinische Landeshalle und weitere öffentliche Einrichtungen ihren Platz. Dem Konzept zufolge sollte aus dem Schloss, das über Jahrhunderte das Zuhause adeliger Stadt- und Landesherren gewesen war, ein Ort demokratischer Landeskultur werden. Das Konzept ging lange auf. Heute wird das Gebäude, das 2003 vom Land an Privathand verkauft wurde, vor allem für Konzerte, Messen und ähnliche öffentliche Veranstaltungen genutzt. Auch ein Restaurant befindet sich darin. Mittlerweile ist der vielgenutzte Konzertsaal freilich wiederum in die Jahre gekommen, und das ganze Gebäude müsste grundlegend renoviert werden. Dies nimmt die Stadt Kiel gegenwärtig zum Anlass, die Einbettung des Schlosses in seine Umgebung noch einmal zu über- und vielleicht neu zu denken. Das Land hat eine nennenswerte finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt.

      Kiel war allerdings über lange Strecken seiner Geschichte nicht nur ein Fürstensitz-, sondern auch eine Hansestadt – übrigens neben Lübeck die einzige im Bereich des heutigen Schleswig-Holsteins. Diese scheinbar widersprüchliche Verbindung – scheinbar, weil die meisten Hansestädte wie Kiel niemals volle Autonomie und Souveränität erlangten, sondern immer auch landes- bzw. stadtherrliche Städte blieben –, bringt das mittelalterliche Stadtsiegel bestens zum Ausdruck. Umrahmt von der Umschrift »SIGILLUM : CIVIUM : KILENSIUM«, was »Siegel der Kieler Bürger« bedeutet, ist darauf ein Schiff in vollen Segeln auf hoher See zu sehen. Es handelt sich nicht um die Darstellung einer Kogge, sondern eines älteren Schiffstypus. Die Koggen waren freilich die Schiffe, mit denen die Hansekaufleute ihren gewinnbringenden Fernhandel übers Meer betrieben. Sie stehen sinnbildlich für die Hanse. Am Heck des Schiffes auf dem Siegel sitzt in zeittypischer Kleidung ein Steuermann mit zum Schwur erhobener Hand als Fingerzeig auf die eidlich zusammengefügte Fahrgemeinschaft der Kaufleute zur See. Am Schiffsbug ist hingegen das Nesselblatt als Wappen der Grafen von Holstein zu sehen, die, wie gesagt, die Stadtherren waren. Kiel gerät im Kontext der Hansegeschichte 1283 erstmalig in den Blick. In diesem Jahr nämlich erhielt die Stadt gemeinsam mit Hamburg vom dänischen König Erich V. Klipping (*um 1249; †1286) je eine Vitte, also einen Heringslandeplatz, in Falsterbo. Die Heringsmessen in Schonen nahmen innerhalb des Ostseehandels eine ganz herausragende Position ein und trugen nicht unwesentlich zum handelspolitischen Aufstieg Lübecks und der anderen wendischen Hansestädte bei. Kiel erhielt die Verbindung zu den Messen lange aufrecht, wie man weiß: Noch zum Ausgang des 15. Jahrhunderts lässt sich die Anlandung von Hering aus Schonen im Kieler Hafen nachweisen.

      Schon im Jahr darauf, 1284 also, war Kiel dann Vertragspartner der Städte Lübeck, Hamburg, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Demmin, Anklam und Stettin in einem Landfriedensbündnis zur Sicherung der Verkehrswege zu Wasser und zu Lande. Helmut G. Walther möchte Kiel deswegen von da an »mit gutem Grund« als Hansestadt bezeichnen, was er zusätzlich dadurch untermauert, dass Kiel 1295 an einer hansischen Entscheidung beteiligt war: Der Kieler Rat trug damals einen Beschluss mit, der Lübeck zur übergeordneten Rechtsinstanz für das hansische Handelskontor in Nowgorod machen wollte. Offenbar hatten also Kieler Kaufleute Handelsinteressen bis nach Russland hinein. Doch hat Thomas Hill jüngst einer solchen Charakterisierung Kiels als Hansestadt für das späte 13. Jahrhundert widersprochen. Erst ab 1356, als sich durch die feste Etablierung des Hansetages als politisches Forum der Hanse auch eine Städtehanse herauskristallisierte, könne man von einer Hansestadt Kiel sprechen.

      Kiel hatte sich mit dem bereits beschriebenen, 1315 erfolgten dynastischen Umsturz im Hause der Schauenburger in bester Weise arrangiert. Es hatte von den gräflichen Profiteuren Gerhard III. und Johann III. die Zusicherung erhalten, den Kieler Stadtvogt künftig nur aus den Reihen der eigenen Bürger und im Einverständnis mit dem Rat zu wählen. Auch sollte das stadtherrliche Befestigungsrecht fortan