Invisible Sue - Plötzlich unsichtbar. Markus Dietrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Markus Dietrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783961859962
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sie jäh. Und ihr Gesicht spiegelte in keinster Weise Freude wider.

      »Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?«

      Dann fiel ihr Blick auf die Tafel, auf der Sue die Formeln abgewischt hatte.

      »Verdammt … Das … Nein …« Wie eine Furie rannte sie zur Tafel.

      »Es sollte eine Überraschung werden«, sagte Christoph. »Sorry.«

      »Ist euch eigentlich klar, was ihr da gerade angerichtet habt?«, fragte Maria.

      »Nein. Aber du weißt schon, dass du heute Geburtstag hast, oder?«, entfuhr es Sue, und sie biss sich im selben Moment auf die Lippen, als sie Marias wilden Blick sah. »Mit dir …«, und Maria betonte jedes einzelne Wort, »… habe ich überhaupt nicht ge­redet.«

      Sue schluckte. Ihr Hals war ganz trocken. Die Überraschung war leider in die Hose gegangen. »Wir haben gedacht, du freust dich. Aber du denkst mal wieder nur an deine Arbeit.«

      Maria ignorierte Sue und ging zu ihrem Mann. »Es war meine Idee«, sagte der, »ich hab die Kerzen angezündet.« Aber Maria schüttelte nur den Kopf. »Christoph, wir schreiben hier Geschichte.«

      Sie nahm den Behälter mit NT26D, ging zum Ausgang, drehte sich noch einmal um und sagte: »Ihr müsst jetzt gehen, bitte.« Dann verließ sie schnurstracks den Raum. Christoph zwinkerte Sue zu, sagte »Warte kurz. Ich klär das« und stolperte seiner Frau hinterher.

      Sue war wütend. Sie musste an Supermoon denken, an Carol, an Eileen und natürlich an ihre Mutter. Dann schrie sie, so laut sie konnte, dass sogar die Reagenzgläser auf den Tischen zitterten. »Dann geh doch dahin, wo der Pfeffer wächst.«

      Wütend schmiss sie den Teller mitsamt der Torte in hohem Bogen weg. Er landete auf der Konsole eines riesigen Computer­terminals und die Torte sackte langsam wie weißschwarzer Schleim nach unten. Ein rotes Licht sprang an.

      Schwarzwälder Kirsch

      Später wusste sie nur noch, dass sie geistesgegenwärtig zum Computerterminal gerannt war und versucht hatte, die Sahne und den Teig mit ihren Händen von der leuchtenden Tastatur zu wischen. Aber das verbesserte die Situation jetzt nicht mehr. Vielmehr wurde im Raum plötzlich alles rot, Alarmsirenen erklangen und die emotionslose Computerstimme säuselte erneut etwas von Notfall und Reaktor.

      Der Reaktor. Sue fasste sich an den Kopf, der noch immer schreck­lich dröhnte. Sie nahm alle Geräusche seit dem großen Knall nur noch dumpf und mit einem furchtbaren Piepen wahr.

      »Temperatur im Bioreaktor erreicht kritischen Wert«, hatte sie eine Computerstimme sagen hören und versucht, auf dem Touch-Pad des Terminals herumzudrücken, um den Computer abzuschalten, bevor ihre Mutter zurückkam. Was sie nicht wusste: Alle Türen zum Labor hatten sich wegen des erneuten Alarms automatisch verriegelt. Natürlich nur zur Sicherheit für diejenigen, die auf der richtigen Seite der Tür standen.

      »Notabschaltung initiiert«, dröhnte die Stimme weiter.

      Sue befand sich zu diesem Zeitpunkt leider auf der falschen Seite der Tür und bekam nicht mit, dass Christoph und Maria verzweifelt versuchten, die versperrten Ausgänge zu öffnen, um ihre Tochter zu retten.

      Sue rief laut: »Geh aus!« Nichts passierte. »Scheiße«, fluchte sie.

      Eine männliche, sehr auf jedes Wort bedachte Stimme mit antiquiert wirkender Betonung sagte: »Ich mische mich ja nur ungern ein, aber Sie sollten auf keinen Fall weitere Knöpfe drücken.« Sue sprang von der Konsole weg und sah sich um. Das Labor war leer, niemand zu sehen.

      »Wer ist da?«, fragte sie.

      »Warnung. Reaktor überhitzt.«

      Sue schloss die Augen. Das war doch alles nur ein echt fieser Traum. Was würde Supermoon jetzt tun? Ohne Wasser und ohne die Kraft des Mondlichts sicher nicht sehr viel. Also probierte sie es noch einmal mit dem Touchpad. Wieder räusperte sich die tiefe Stimme, dieses Mal ungeduldiger: »Wie ich bereits anmerkte: Das ist wenig zielführend. Der Reaktor kann nur noch manuell heruntergefahren werden.« Manuell. Wie bei Spock in »Zorn des Khan«, schoss es Sue durch den Kopf. Im Maschinenraum der Enterprise. Allerdings bezahlte Spock diesen heldenhaften Einsatz mit seinem Leben.

      »Wenn ich Ihnen einen Rat geben dürfte«, erklärte die Stimme weiter, »verschwinden Sie von hier. Begeben Sie sich umgehend zum Ausgang!«

      Sue schaute zur Schleuse am Reaktorraum. Die schwere Metalltür war offen. Weißer Dampf stieg aus den Ritzen hervor und eine Warnleuchte schoss rote Blitze in den Raum. »Der Reaktor kann nur noch manuell heruntergefahren werden«, wiederholte Sue leise murmelnd. Sie musste es einfach probieren. Vielleicht konnte sie diesen ganzen von der Schwarzwälder Kirschtorte ausgelösten Wahnsinn noch irgendwie stoppen.

      Sie rannte los. Hinein in die Schleuse. Der Raum dahinter war so groß wie mehrere Fußballfelder und man konnte kaum das Ende sehen. In der Mitte stand ein mindestens drei Stockwerke hohes metallenes Monster, ummantelt mit mehreren blauen Wassertanks, die vibrierten, Rauch spuckten und zu kochen schienen. Der Reaktor.

      Sue verspürte keine Angst. Ohne weiter über die Konse­quen­zen nachzudenken, rannte sie zum Bedienfeld des Reaktors. Seine roten Zeichen und Zahlen verkündeten den baldigen Unter-

      gang.

      »Mit Verlaub«, sagte die Stimme, »das war nicht der Ausgang, von dem ich sprach.« Gut erkannt, dachte Sue. Laut sagte sie lediglich: »Halt die Klappe.« Wie konnte sie den Reaktor herunterfahren? Es gab nirgendwo einen Exitknopf.

      Sie schluckte und rief: »Kannst du mir helfen?«

      Keine Antwort. Sue wiederholte ihre Frage. Wieder nichts. Sie konnte die Hitze des Reaktors deutlich spüren. Schweißtropfen rannen über ihre Stirn, ihre Augen brannten. Der Boden unter ihren Füßen zitterte.

      »Hallooooo? Rede mit mir.« Sie sah sich um.

      »Sie befahlen mir, die Klappe zu halten«, antwortete die Stimme.

      Jetzt war diese künstliche Intelligenz auch noch beleidigt. Das wurde ja immer besser, dachte Sue.

      »Mann … Sorry. War nicht so gemeint. Kannst du mir nun helfen? Ja oder Nein?«

      »Ich bedaure. Die Temperatur im Reaktorkern ist bereits zu hoch. Ich rate noch einmal eindringlich dazu, den Raum zu verlassen.« Wie um die Antwort zu unterstreichen, platzte direkt über Sues Kopf eine Zuleitung und dicke, blau fluoreszierende Flüssig­keit regnete auf sie nieder. Sue schrie auf. Die Flüssigkeit war eiskalt und zwirbelte auf der Haut. Sie spürte, wie sie ihre Schulter herabtropfte und ihren Arm herunterlief. Knapp über dem Hand­gelenk klaffte eine blutende Fleischwunde, die wohl von einem der herumfliegenden Metallteile verursacht worden war. Die blaue Flüssigkeit vermengte sich mit ihrem Blut zu einem dunklen Etwas.

      »Bitte verzeihen Sie meine Wortwahl, Miss Susanne. Aber bringen Sie sich verdammt noch mal in Sicherheit!«

      Das musste ihr die K.I. jetzt nicht zweimal sagen. Sue hatte den Ernst der Lage sehr wohl erkannt und rannte voller Angst los. Sie spürte ihren Herzschlag. Das Brummen war jetzt wesentlich lauter. Irgendwo platzten weitere Leitungen. Funken schossen in alle Richtungen. Die gläserne Haut des Tanks bekam Risse. Immer mehr Flüssigkeit drang nach außen.

      Sue hatte die Schleuse zum Reaktorraum fast erreicht, da gab es einen markerschütternden Knall und die Tür der Schleuse schloss sich. »Nein … nein … Halt!« Das konnte doch alles nur ein böser Traum sein. Sue rannte schneller. Sie spürte den Boden unter ihren Füßen kaum noch, streckte instinktiv die Hand aus und prallte dann mit voller Wucht gegen die Stahloberfläche der verschlossenen Schleusentür. Gefangen. Zum zweiten Mal an diesem Tag. Und dieses Mal würde wohl niemand kommen, um die Tür zu öffnen. Sie spürte grelles Licht und die Druckwelle der Ex­plosion.

      Dann verlor sie das Bewusstsein.

      Blaues Licht

      »Pflaster