Invisible Sue - Plötzlich unsichtbar. Markus Dietrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Markus Dietrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783961859962
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hob sich augenblicklich.

      »Haben Sie tausend Dank«, sagte Christoph und kämpfte innerlich gegen einen Lachanfall. Der Sicherheitsmann nickte nur kurz und erleichtert. Christoph und Sue fuhren los und konnten sich kaum mehr halten vor Lachen. Sue wischte sich den Ketchup aus dem Gesicht und biss genüsslich in ihren inzwischen kalt gewordenen Hotdog.

      »Ich glaube, ich leide an Ketschupritis«, kicherte sie.

      »Hoch ansteckend. Hab ich gelesen«, sagte ihr Vater. Wieder mussten sie lachen. Manchmal war es dann doch lustig, auf Papas Spiele einzugehen, dachte Sue.

      Die erste Hürde hatten sie also genommen. Im Radio war noch immer Direktor Drills Stimme zu hören. Monoton und gelangweilt. Christoph drehte die Lautstärke wieder hoch, während der Bus zwischen den modernen Stahlglasfassaden ins Herz der DEC vordrang.

      »Stellen Sie sich vor, Ihr Körper reagiert mit einem eigenen, nennen wir es Schutzschild«, referierte Drill. »Um das allerdings genauer zu erklären, habe ich Ihnen heute einen Experten, wenn nicht sogar den Experten mitgebracht. Bitte begrüßen Sie mit mir eine der erfolgreichsten Genetikerinnen und Mutations­forsche­rinnen, Dr. Maria Hartmann.«

      Sues Lächeln erstarb. Da war sie. Ihre Mutter. Gleich würde sie reden und nicht mehr aufhören, wie immer, wenn sie über ihre Forschung sprach. Applaus war zu hören und Drill fuhr fort: »Maria, man könnte Ihre Erfindung in einem Satz zusammenfassen: Der Mensch 2.0.«

      Vielleicht sollten sie mal eine Mutter 2.0 erfinden. Dann hätte Sue ein Problem weniger. Dafür eine Mutter, die sich um ihre Kinder und die Familie kümmerte und nicht dauernd in der Welt herumflog und Vorträge hielt.

      Überraschung

      Die DEC war eine der modernsten Forschungseinrichtungen des Landes. Gebaut auf dem Gelände eines alten stillgelegten Stahl­werks, von dem es rund um Markholm Dutzende gab. Jonas Drill hatte mit ihnen ein gigantisches Vermögen angehäuft. Als allerdings die Nachfrage nach Stahl eingebrochen war, entschied sich Drill, einen riesigen Forschungscampus zu errichten, was ein sehr cleverer Schachzug gewesen war. Hunderte der besten Wissen­schaftler der Welt kamen nach Markholm, um hier an supergeheimen Forschungen zu experimentieren. So wie Sues Mutter. Aber was genau in diesen Laboren geschah, das wusste Sue nicht. In den wenigen Momenten, in denen ihre Mutter mit ihr sprach, erklärte sie ihrer Tochter nur, dass es geheim sei und sie zudem noch viel zu jung war, um das alles zu verstehen. Und Sue hatte sich nicht die Mühe gemacht, weiter nachzufragen.

      Ihre Mutter sah sie, wenn überhaupt, nur am Wochenende, und auch dann saß sie meistens vor ihrem Computer. Im Urlaub waren sie schon lange nicht mehr, und seit ihre Eltern dieses furchtbar alte Haus in einem Vorort von Markholm gekauft hatten, war ihr Vater hauptsächlich damit beschäftigt, es bewohnbar zu machen. Aber alles, was ihr Vater, der im wahren Leben Vollblutmusiker war und Kontrabass spielte, zustande brachte, waren oberflächliche Schön­heits­repara­turen. Wie oft war sie ­morgens schon aufgewacht, weil Regentropfen ihre Stirn herunter­liefen, da das Dach undicht war.

      »Beeil dich. Sie wird jeden Moment kommen. Und wenn wir dann nicht fertig sind, war alles umsonst.« Die Stimme ihres Vaters holte Sue zurück in die Gegenwart.

      Sie hatten endlich das Labor der Mutter im vierten Unter­geschoss erreicht. Keine Fenster, nur eiskaltes blaues Licht. High­tech-Computer und Messgeräte surrten mit permanentem leisen Piepen. An der Decke riesige, silbern folierte Lüftungskanäle, und zwischen den Schreibtischen beleuchtete Glaswände mit Formeln und Zahlen in roter Leuchtschrift. Das Licht war gedämpft, einzelne Arbeitsplätze kühl beleuchtet. Alles wirkte wie die Brücke eines gigantischen Raumschiffs.

      Menschen waren nicht zu sehen. Anscheinend lief die Presse­konferenz noch. Ihre lang geplante Überraschung konnte also durchaus noch gelingen. Sue stellte das schwarze Paket und die noch nicht ganz aufgetaute Schwarzwälder Kirschtorte auf einem der Tische ab. Während ihr Vater die Kerzen aus der Tasche zauberte und sie in die Torte steckte, holte Sue einen Lappen und wischte die Formeln und Zahlen von der Glaswand ab.

      »Ich glaub, das ist keine so gute …«, Christoph sah zu Sue hinüber, die aber bereits die halbe Wand leer gewischt hatte, »… äh … Idee!«

      Sue hatte ihn überhaupt nicht gehört und war voll darauf kon­zen­triert, dass ihre Überraschung klappte. Sie liebte ihre Mutter, auch wenn sie das niemals laut sagen würde. Und sie hasste es, dass Maria – sie weigerte sich eigentlich, das Wort Mutter zu benutzen –sie einfach ignorierte oder, wenn sie sie wahrnahm, wie ein Kleinkind behandelte. Aber diese Überraschung heute war ihre Idee gewesen. Sie hatte alles bis ins kleinste Detail geplant und freute sich auf den Gesichtsausdruck ihrer Mutter, wenn die zurückkam und das hier sah.

      Mit einem roten Stift wollte sie gerade die Worte »Happy Birthday« an die gläserne Wand schreiben. Sie kam allerdings nur bis »Happy Bi…«, da zündete ihr Vater bereits die Kerzen an. Wobei der Begriff Kerze nicht ganz richtig war.

      »Die sieht aber komisch aus, Sue.« Christoph beäugte den großen blauen Gegenstand in der Mitte der Torte argwöhnisch. Vielleicht hätte er auf seine Tochter warten sollen. Vielleicht. Doch sein Feuer­zeug war schneller. Eine Stichflamme schoss aus der vermeintlichen Kerze in die Höhe und Christoph konnte im letzten Moment gerade so ausweichen, sonst wären seine Augenbrauen dahin gewesen. Silberner Rauch und bunte Funken schossen an die Decke und hüllten das Labor augenblicklich in einen dunstigen Schleier.

      »Was zum Henker ist das?«

      »Ein bengalisches Feuer.« Sue ließ den Stift fallen und rannte zum Tisch hinüber. Ihr Vater sah sie entsetzt an. »Ein was???«

      »Von Silvester! Hab ich aufgehoben.« Beide waren hilflos. Mit ohrenbetäubendem Lärm sprangen die Feuermelder an. Das Echo ihres lauten Heulens hallte im Raum.

      »Sie wird uns umbringen«, sagte Sue panisch.

      Ihr Vater nickt nur. Das würde sie, in der Tat.

      Happy Bi…

      Zur selben Zeit, als Christoph und Sue das Labor betraten, lief der Abend für Maria Hartmann außerordentlich gut. Das, was sie heute den Wissenschaftlern und Experten in dem viel zu großen Saal der DEC zu sagen hatte, war eine kleine Sensation. Tag und Nacht hatte sie die letzten Wochen daran gearbeitet, Messreihen ausgewertet, immer und immer wieder die Daten überprüft, sich mit ihrer Assistentin Lenia gestritten und wieder vertragen. Insgeheim träumten sie schon vom Nobelpreis.

      Und nun stand es direkt vor ihr. In dem gut gekühlten Schutz­behälter aus Metall. Die kleine Ampulle mit der blau schimmernden Flüssigkeit. Das Superserum: NT26D.

      Applaus war zu hören. Maria trat auf die Bühne, räusperte sich kurz und schaute in den dunklen Zuschauerraum. Das Licht der Scheinwerfer blendete sie. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Alle warteten auf die angekündigte Sensation.

      Jonas Drill lächelte ihr aufmunternd zu und Maria sagte ins Mikro: »NT26D, wie wir unser Projekt etwas nüchtern nennen …«

      In dem Moment brach der Alarm los. Der Ton war so grell, dass sich einige die Ohren zuhielten. Eine Stimme bat monoton, sich sofort zu den Ausgängen zu begeben. Ein Feuer musste ausgebrochen sein. Alle liefen durcheinander und hasteten nach draußen.

      Nur Maria überlegte nicht lange, schnappte sich Lenia und den Behälter mit der blauen Flüssigkeit und rief: »Wir müssen die Daten retten. Schnell!« Lenia wollte protestieren, aber Maria ließ das nicht zu. Sollten die Daten zerstört werden, wäre ihre Forschung um Jahre zurückgeworfen.

      Währenddessen kämpften Sue und Christoph noch immer mit dem bengalischen Feuer. Vielleicht hätten sie wegrennen sollen. Jetzt war es zu spät …

      Die Tür flog auf. Maria und Lenia betraten das Labor und blieben wie angewurzelt stehen.

      Christoph winkte ihnen verlegen zu und sagte: »Hi!«

      »Christoph …« Maria fehlten die Worte.

      Sue hatte