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Die oben skizzierte Ausgangsversion der Prinzipal-Agenten-Theorie unterstellt, dass der Agent für den Prinzipal nur eine einzige (eindimensionale) Aufgabe erledigen soll. In vielen Fällen wird dies aber nicht der Fall sein und man sich vielmehr in einer Situation mit Multi-Tasking befinden. Dazu zwei Beispiele: Im verarbeitenden Gewerbe wird nicht nur die Anzahl, sondern auch die Qualität der gefertigten Werkstücke von Relevanz sein. Im universitären Kontext sollen Professoren nicht nur Forschung betreiben, sondern es sind darüber hinaus auch Aufgaben in Lehre und Administration zu erfüllen.
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Ist Multi-Tasking relevant, so können sich aus der Prinzipal-Agenten-Theorie deutlich andere Vorhersagen als im Ausgangsmodell ergeben, wenn z.B. verschiedene Tätigkeitsdimensionen für den Prinzipal unterschiedlich gut beobachtbar sind.17 Als illustratives Beispiel sei eine Situation betrachtet, in der die Tätigkeit des Agenten zwei Dimensionen hat: Quantität und Qualität der hergestellten Werkstücke. Weiterhin sei im Beispiel angenommen, dass zwar die hergestellte Quantität, aber nicht die Qualität der Werkstücke für den Prinzipal unmittelbar beobachtbar sei. Die Qualität könnte beispielsweise nicht beobachtbar sein, weil sie sich erst nach einer längeren Nutzung, z.B. in der Fehleranfälligkeit, zeigt. Setzt der Prinzipal nun monetäre Anreize für eine höhere Produktionsmenge, so könnte die Gefahr bestehen, dass der Agent weniger auf die Qualität achtet, um eine höhere Menge zu erzielen. Wenn für den Prinzipal sowohl Quantität als auch Qualität von hoher Bedeutung sind (weil etwaige Reklamationen seiner Reputation schaden würden), kann es in diesem Fall für ihn optimal sein, dem Agenten nur einen Fixlohn zu bezahlen, um ihn dadurch (indirekt) dazu zu veranlassen, auf beide Tätigkeitsdimensionen zu achten.
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Allgemeiner formuliert sagt die Prinzipal-Agenten-Theorie in einem Umfeld mit Multi-Tasking voraus, dass häufig der Verzicht auf eine erfolgsabhängige Entlohnung im Interesse des Prinzipals sein wird.
13 In der Standardversion der Prinzipal-Agenten-Theorie wird etwaige intrinsische Motivation des Agenten (d.h., dass er sich auch ohne monetäre Anreize anstrengt) also ausgeblendet. Diese Vereinfachung könnte sich beispielsweise rechtfertigen lassen, wenn man eine Situation unterstellt, in der intrinsische Motivation schon nicht mehr wirkt, sondern ein noch höheres Anstrengungsniveau erreicht werden soll. 14 In manchen Kontexten mag selbst dies nicht möglich sein. Ist dies der Fall, so sind Anreizverträge in der unten skizzierten Form nicht möglich. In diesen Fällen kann die Motivation eines Mitarbeiters möglicherweise durch das Design von Karriereoptionen beeinflusst werden: vgl. hierzu beispielsweise Gibbons/Murphy, Journal of Political Economy 1992, 468. 15 Vgl. hierzu beispielsweise Laffont/Martimort, The Theory of Incentives: The Principal-Agent Model. 16 Für einen Überblick zu diesem Thema siehe z.B. Prendergast, Journal of Economic Literature 1999, 7. 17 Vgl. Holmstrom/Milgrom, Journal of Law, Economics, and Organization 1991, 24.
IV. Empirische Evidenz zu Vergütung und Motivation
1. Anreizeffekte bei einfachen Tätigkeiten
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Nachdem im vorigen Abschnitt der theoretische Rahmen für die mikroökonomische Analyse des Zusammenhangs zwischen Vergütung und Motivation skizziert wurde, stellt sich die Frage, ob die daraus gewonnenen Vorhersagen und Empfehlungen einer empirischen Überprüfung standhalten bzw. an welchen Stellen der bisher vorgestellte theoretische Rahmen zu stark vereinfacht.
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Dass bei relativ einfachen Tätigkeiten eine Umstellung von einem Fixlohn hin zu einer erfolgsabhängigen Vergütung in der Regel zu höheren Leistungen führt, wurde u.a. in einer empirischen Studie des Anreizsystems des US-amerikanischen Unternehmens Safelite Glass Corporation eindrucksvoll bestätigt.18 Die Safelite Glass Corporation baut Windschutzscheiben und Fenster in Kraftfahrzeuge ein. In der Ausgangssituation erhielten die Mitarbeiter eine fixe, leistungsunabhängige Vergütung. Nach einem Führungswechsel wurde in den Jahren 1994 und 1995 ein Wechsel hin zu einer Stücklohnvergütung vollzogen, bei der die ca. 3000 Mitarbeiter in der Fertigung anstelle eines Stundenlohns einen Stücklohn pro installiertem Glaselement erhielten. In dem 19-monatigen Beobachtungszeitraum (vor und nach der Veränderung des Vergütungssystems) führte dies zu einer um 44 Prozent höheren Produktivität, was darauf hindeutet, dass die ursprüngliche Fixlohnvergütung für das Unternehmen nicht optimal war. Auch die Mitarbeiter profitierten im Safelite-Fall von dem Übergang zu dem Stücklohnmodell, da dadurch ihre Vergütung im Durchschnitt um 10 Prozent stieg.
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Seit der Safelite-Studie hat eine Vielzahl weiterer Studien bestätigt, dass bei einfachen Tätigkeiten eine Fixlohnvergütung in der Regel zu suboptimalen Ergebnissen führt.19
2. Mehrere Tätigkeiten
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Verschiedene neuere empirische Arbeiten wenden sich der Frage zu, welche Wirkung monetäre Anreize in einem Multi-Tasking-Umfeld entfalten. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob finanzielle Anreize für eine Tätigkeitsdimension zu geringer Leistung in den anderen Tätigkeitsdimensionen führen, wie es die Prinzipal-Agenten-Theorie vorhersagen würde.
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Dies wird von einigen empirischen Studien bestätigt. Ein Beispiel dafür ist eine empirische Untersuchung zur Vergütungsstruktur von Ärzten in der kanadischen Provinz Quebec.20 Vor dem Jahr 1999 erhielten die niedergelassenen Ärzte dort eine Vergütung pro Behandlung („fee-for-service“). Im Jahr 1999 wurde dieses System durch eine Vergütungsstruktur abgelöst, unter der die Ärzte neben einer (reduzierten) Vergütung pro Behandlung zusätzlich einen fixen Tagessatz erhielten. Administrative Daten und Umfragedaten deuten darauf hin, dass dies – im Einklang mit der Prinzipal-Agenten-Theorie – zu einer geringeren Anzahl an Behandlungen pro Arzt geführt hat, und gleichzeitig die Ärzte im Durchschnitt mehr Zeit pro Behandlung aufgewendet haben. Die Umstellung des Vergütungssystems scheint somit in diesem Kontext zu einer Quantitäts-Qualitäts-Verschiebung geführt zu haben.
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Nicht alle empirischen Arbeiten bestätigen die Multi-Tasking-Vorhersagen der Prinzipal-Agenten-Theorie aber in diesem Maße. Vielmehr gibt es auch empirische Arbeiten, in deren Kontext beispielsweise die Einführung eines Stücklohns (und damit höhere Mengenanreize) nicht zu negativen Qualitätseffekten zu führen scheinen.21 Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass sich Verhaltensanreize für die Mitarbeiter in der Regel nicht nur aus der Vergütungsstruktur ergeben. Vielmehr werden Arbeitgeber in der Regel auch Mechanismen zur Qualitätsüberwachung implementiert haben, um adverse Qualitätseffekte zu vermeiden. Ein anderer Grund, warum es nicht zu einem negativen Qualitätseffekt kommt, könnte sein, dass sich Mitarbeiter potenziellen Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen gegenüber sehen. Derartige Karriereüberlegungen können dazu führen, dass Mitarbeiter auf höhere Mengenanreize nicht mit reduzierter Qualität reagieren, um ihre Aufstiegschancen nicht zu gefährden.22
3. Monetäre Anreize und intrinsische Motivation
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Eine weitere mögliche Quelle von Leistungsanreizen