Auch Constantin wusste es vielleicht nicht, aber er liess geschehen und behielt die Augen offen. So wie ihm sein heller empirischer Verstand sagte, dass die Christen gute Untertanen seien, dass ihrer viele seien, und dass die Verfolgung für eine vernünftige Staatsgewalt gar keinen Sinn mehr haben könne, war sein Entschluss gefasst. Und die praktische Ausführung darf man wohl vom politischen Standpunkte aus in hohem Grade bewundern. Das Labarum in seinen siegreichen Händen versinnlicht die Herrschaft, die Kriegsgewalt und die neue Religion zugleich. Der Korpsgeist eines Heeres, welches über eine der grössten Armeen der alten Geschichte gesiegt hat, gibt dem neuen Symbol die Weihe der Unwiderstehlichkeit.
Das bekannte Wunder aber, welches Euseb und seine Nachschreiber auf dem Zuge gegen Maxentius geschehen lassen, dürfte wohl endlich aus den geschichtlichen Darstellungen wegbleiben, weil es nicht einmal den Wert einer Sage, überhaupt keinen populären Ursprung hat, sondern erst lange hernach von Constantin dem Euseb erzählt und von diesem in absichtlich unklarem Bombast aufgezeichnet worden ist677. Der Kaiser hatte dem Bischof zwar einen hohen Eid darauf geleistet, es sei nicht ersonnen, er habe wirklich jenes Kreuz am Himmel gesehen mit der Inschrift: »Durch dieses siege!« und Christus sei ihm wirklich darauf im Traum678 erschienen usw.; allein die Geschichte weiss mit einem Eid Constantins des Grossen nicht viel anzufangen, weil er unter anderm seinen Schwager trotz eidlicher Versicherung hat ermorden lassen. Und dann ist auch Euseb nicht zu gut dazu, zwei Dritteile der Erzählung selber erfunden zu haben.
Nun bleibt offenbar in Constantins äusserem Verhalten eine grosse Ungleichheit; er nimmt das Monogramm Christi zum Abzeichen seines Heeres und lässt den Namen Juppiters auf dem Triumphbogen (S. 395 f.) auslöschen, während er auf den Münzen die alten Götter, besonders den Sonnengott als unbesiegten Begleiter beibehält und sich bei wichtigen Anlässen ganz heidnisch äussert. Dieser Zwiespalt nimmt in seinen letzten Lebensjahren eher zu als ab. Allein er wollte vorderhand beiden Religionen Garantien geben und war einstweilen mächtig genug, eine solche Doppelstellung auszuhalten.
Seine Toleranzedikte, von welchen das zweite, zu Mailand (313) in Gemeinschaft mit Licinius erlassene erhalten ist, gestatteten vorderhand nichts als die Gewissens- und Religionsfreiheit, allein das letztere gab diese unbeschränkt und unbedingt. Damit war der Begriff einer Staatsreligion vorderhand aufgehoben, bis das Christentum diese dem Heidentum abgenommene Hülle anzog. Bald riss eine Massregel die andere nach sich, besonders als Maximinus Daza dem Licinius gegenüber und später Licinius selbst dem Constantin gegenüber das Christentum anfeindeten. Die während der Verfolgung konfiszierten Versammlungsplätze und andere Grundstücke der christlichen Gemeinden wurden zurückgegeben, die Christen offenbar begünstigt und ihr Proselytismus tätig unterstützt. Ein Moment der Besorgnis vor dem Unwillen der Heiden verrät sich noch in den oben angeführten Gesetzen vom Jahre 319, in welchen der Privatgebrauch der Haruspicin und die Hausopfer strenge verboten werden, wahrscheinlich weil die geheime Befragung der Haruspices und die Opferfeste bei verschlossenen Türen politisch gemissbraucht wurden. Endlich folgt mit dem Edikt an die Provinzialen von Palästina und mit demjenigen an die Völker des Orientes nach dem letzten Siege über Licinius679 (324) eine scheinbar ganz rückhaltlose persönliche Hingabe des Kaisers an das Christentum, dessen Bekenner mit aller möglichen Gunst von den Konsequenzen der Verfolgung befreit und in ihre frühere Stellung und Habe wieder eingesetzt werden. Gegen den Polytheismus wird in diesen Aktenstücken schon nachdrücklich polemisiert; es ist die Rede von Weihestätten der Lüge, von Finsternis, von elendem Irrtum, den man eben nur noch dulden müsse usw. Allein Constantin hat hier nicht selber die Feder geführt, obgleich Euseb das Autographum gesehen zu haben behauptet; der Konzipient verrät sich wenigstens im zweiten Schreiben, in dem er den Kaiser sagen lässt, er sei zu Anfang der Verfolgung »gerade ein Knabe« gewesen, während Constantin doch im Jahr 303 fast ein Dreissiger war680. Der ganze wesentliche Inhalt aber ist wohl unmittelbar des Kaisers Werk, der sich, wie man bei näherer Prüfung bemerkt, nicht einmal als Christ hinstellt; was sich persönlich laut macht, ist der öde Deismus eines Eroberers, welcher einen Gott braucht, um sich bei allen Gewaltstreichen auf etwas ausser ihm berufen zu können. »Ich, ausgehend vom britannischen Meer und von den Gegenden, wo der Sonne vorgeschrieben ist unterzusinken, vertreibend und zerstörend durch eine höhere Gewalt die alles beherrschenden Übel, damit das Menschengeschlecht, durch meine Hülfe erzogen, zurückgerufen werde zum Kultus des erhabensten Gesetzes usw. – ich also bin bis in die Gegenden des Orients gekommen, welche, in je tieferm Unglück sie sich befanden, zu um so grösserer Hülfe mich herbeiriefen usw. – Ihr sehet alle, welche Macht und Gnade das ist, die der gottlosesten und beschwerlichsten Menschen ganzes Geschlecht hat verschwinden und untergehen lassen« usw. usw. – Dinge die auch ein erobernder Khalif unterschreiben könnte. Und auf ganz ähnliche Wendungen ist Napoleon in seinen arabischen Proklamationen in Ägypten verfallen681.
Es ist nicht unmöglich, dass Constantin in seinem ursprünglich an die Sonne und an Mithras angelehnten Deismus eine allgemeinere und deshalb vermeintlich höhere Grundgestalt aller Religionen zu besitzen glaubte. Zeitweise hat er wirklich neutrale Lebensformen für religiöse Dinge aufgesucht, welchen sich Christen und Heiden fügen sollten. Dieser Art ist der gemeinsame Sonntag und das gemeinsame Vaterunser682. »Er lehrte alle Armeen, den Tag des Herrn, welcher gerade auch als der des Lichtes und der Sonne benannt wird, mit Eifer ehren . . . Auch die Heiden mussten am Sonntag hinaus auf das freie Feld und miteinander die Hände aufheben und ein auswendig gelerntes Gebet hersagen zu Gott als Urheber alles Sieges: ‹Dich allein erkennen wir als Gott und König, Dich rufen wir als unsern Helfer. Von Dir haben wir die Siege erlangt, durch Dich die Feinde überwunden. Dir danken wir das bisherige Gute, von Dir hoffen wir das künftige. Zu Dir flehen wir alle und bitten Dich, dass Du unsern Kaiser Constantin und seine gottliebenden Söhne uns lange unversehrt und siegreich bewahrest.›« Diese Formel konnten sich auch die Christen gefallen lassen; die Heiden aber, welche an einem so ausgesprochenen Monotheismus hätten Anstoss nehmen können, waren vor allem Soldaten. Dass auch an die Mithrasgläubigen sehr speziell gedacht war, deutet Euseb mit seinem »Tag des Lichtes und der Sonne« ziemlich klar an. Wie bezeichnend lautet übrigens dieses sogenannte Gebet! Kaiser, Heer und Sieg – weiter nichts; kein Wort an den sittlichen Menschen, keine Silbe an den Römer.
Bei diesem Anlass noch ein Wort über Constantins geschichtliche Tat im ganzen683. Er wagte eine der kühnsten Sachen, die sich denken lassen, vor welcher vielleicht schon mehr als ein Imperator zurückgeschaudert war: die Ablösung des Reiches von der alten Religion, welche in ihrer damaligen Zerrüttung trotz dem obligaten Kaiserkultus keine Hilfe mehr für die Staatsgewalt sein konnte. Dies setzt voraus, dass er schon in seiner Jugend, schon vor der Verfolgung auch über die christliche Kirche ins klare gekommen sein muss; eine so kleine Minorität dieselbe gegenüber