Merkwürdig ist die rasche theoretische Steigerung der Ansprüche, welche der einmal über die Gesellschaft emporgehobene Klerus an sich und andere stellte. Bereits war vom Cölibat die Rede; der Staat musste die früher auf den ehelosen Stand gesetzten Bussen aufheben723; und wenn nicht auf dem Konzil von Nicaea gerade ein Ascet, Bekenner und Dämonenbanner ohnegleichen, der alte blinde Paphnutius724, sich dagegen erhoben hätte, so wäre vielleicht schon damals ein für alle Geistlichen bindender Beschluss durchgegangen. Die Ordination oder Weihe erhielt immer mehr einen mystischen Wert und wurde im Verhältnis zu Menschen und Dingen sogar magisch, als Mitteilung übernatürlicher Kräfte aufgefasst. Im Innern der Priesterkaste selber wurden die alten Unterschiede geschärft und neue geschaffen; der Presbyter schied sich vom Diakon, der Bischof vom Presbyter; unter den Bischöfen selbst gab es je nach dem Rang ihrer Städte auch sehr verschiedene Stufen des Einflusses, der sich dann hauptsächlich in den fünf (spätern) Patriarchensitzen Rom, Alexandrien, Antiochien, Konstantinopel und Jerusalem konzentrierte. Um das bischöfliche Amt als solches in einem höhern Werte zu erhalten, schaffte man nicht lange nach Constantin den untersten Grad, die sogenannten Landbischöfe (χωρεπίσκοποι), das heisst, die Bischöfe der Flecken ohne Stadtrang, völlig ab. Je nach der Wichtigkeit eines Ortes, dem Ehrgeiz der Betreffenden und der etwa schon vorhandenen Parteiung war die Bischofswahl bisweilen eine Sache des heftigsten Kampfes, der in einzelnen Fällen die ganze Kirche erschütterte. Was sich vordrängte und durchsetzte, war selten das Beste; rhetorische und politische, namentlich finanzielle Talente, ja der persönlichste Einfluss trugen fortan gar zu oft über den wahrhaft Berufenen den Sieg davon. – Nach unten hin erweiterte sich die Hierarchie nicht bloss wie bisher durch die Klassen der Türhüter und Akoluthen, sondern durch eine grosse handfeste Dienerschar, die sogenannten Parabolanen oder Fossores, das heisst Krankenwärter und Totengräber, deren in Konstantinopel allein bei tausend, in Alexandrien etwa die Hälfte waren.
Dieser mächtigen und reichen Kirche fehlte es bald auch nicht mehr an der glänzendsten äussern Repräsentation; der Kultus wurde verherrlicht durch die prächtigsten Kirchenbauten und durch ein imposantes Ritual; das Leben der höhern Geistlichen wurde (wenigstens in den grossen Städten) ein fürstliches. Doch traten diese sehr natürlichen Konsequenzen erst unter den Söhnen Constantins und später deutlich zutage. Vorzüglich in einer Hinsicht konnte man inne werden, welcher Mittel der Macht der Staat sich entäussert hatte; die ganze, unermessliche Beneficenz mit ihrem Einfluss auf die Massen lag, zum Teil durch seine Schenkung, in den Händen der Geistlichen, welche an vielen Orten Armenhäuser, Gasthäuser, Pfrundhäuser, Waisenhäuser, Spitäler und andere gemeinnützige Anstalten gründeten, während der Staat mit dem einzelnen nur noch durch Soldaten und gewalttätige Steuereinnehmer in Berührung kam.
Wer wollte es diesem Klerus auf die Länge wehren, wenn er sich nach Bekehrung der heidnischen Majorität als Staatsregierung konstituierte? Welche Mittel behielt der Herrscher überhaupt noch übrig, um der Herr, wenigstens nicht der Diener oder gar der Pensionierte seiner Priester zu bleiben? Bereits hatten in der Apostelkirche zu Konstantinopel der Kaiser und die dortigen Bischöfe zugleich ihr Begräbnis, »sintemal das Priestertum an Ehren der Herrschaft gleich ist und ihr an heiliger Stätte sogar vorangeht725«.
Bei näherer Betrachtung findet man, dass doch für den Kaiser und seine Macht auf alle Weise gesorgt war. Zum ersten erscheint es als ein Glück für den Imperator, dass das Alte Testament, so oft es auch die Könige und die Hohenpriester von Israel im Zwiespalt schildert, doch keine theokratische Revolution gegen das Königtum als solches meldet, sondern die Abschaffung des letztern Gott und dem König von Babylon anheimstellt. An das alttestamentliche Staatswesen nämlich wurde jeden Augenblick appelliert als an das einzige nicht heidnische Praecedens; man übersah ganz wie zur Zeit der englischen Puritaner, dass dasselbe einem vergangenen, besondern Volkstum entsprochen hatte; das Neue Testament aber, an welches man sich gewiss lieber gewandt hätte, lässt sich bekanntlich weder auf Staatsformen noch auf Nationalitäten ein, weil seine Bestimmung eine universelle ist.
Solange nun der Kaiser sich als rechtgläubig geben konnte, war ihm nichts anzuhaben; was er sonst als Mensch und Regent war, kam weiter nicht in Betracht. Auf die Stellung Constantins selber, dem unmässig geschmeichelt wurde, darf sich die Geschichte weiter nicht berufen, es blieb aber auch zugunsten späterer Kaiser eine Theorie des göttlichen Rechtes übrig, welche der Vergötterung heidnischer Imperatoren nichts nachgab und sie an Aufrichtigkeit bei weitem übertraf. »Wenn der Kaiser den Namen Augustus empfangen hat«, heisst es gegen das Ende des vierten Jahrhunderts726, »so ist man ihm wie einem gegenwärtigen und leibhaftigen Gott Treue und Gehorsam und rastlosen Dienst schuldig. Denn im Frieden und Krieg ist es ein Dienst Gottes, wenn man dem treu anhängt, der auf Gottes Anordnung herrscht.«
Aber auch materiell war das Kaisertum mit seiner barbarisierten und in religiösen Dingen neutralen Kriegsmacht und seinem Verwaltungssystem gar zu stark etabliert, als dass es der reinen Priesterregierung zu weichen gebraucht hätte.
Und endlich war Constantin besonnen oder glücklich genug gewesen, sich selber zum Haupt und Zentrum der Kirche zu machen und seinen Nachfolgern ausser dem übrigen Erbe der Macht auch diese Position wohlbefestigt zu hinterlassen.
Wir kennen bereits seinen Anspruch, sich als »gemeinsamer Bischof« zu gebärden. Dies war keine blosse Redensart; die Kirche hatte wirklich keinen andern Mittelpunkt. Zunächst zeigte sich dies bei den Bischofswahlen, auf welche in allen wichtigern Fällen der Hof einen massgebenden Einfluss ausüben konnte, indem die Bischöfe der betreffenden Provinz, welche sich versammelten und der verwaisten Gemeinde einen neuen Hirten vorschlugen, auf kaiserliche Wünsche Rücksicht nahmen, weil sie selber durch kaiserliche Gunst noch höher zu steigen hoffen konnten. Um ihre Stellung ganz auszunützen, hätte diese Kirche vor allem einer höhern Denkweise bedurft. Ferner war bei den grossen Reichssynoden der Kaiser schon im Vorteil, insofern er Zeit und Ort festsetzte, noch mehr aber, insofern gar manche nur seinen Willen zu erraten suchten, um demgemäss zu stimmen. War er nicht selbst anwesend, so schickte er seine Kommissäre mit grossen Vollmachten hin, und schliesslich behielt er sich seine Genehmigung vor, ohne welche kein Konzilsbeschluss gültig war, mit welcher er dagegen zum Reichsgesetz erhoben wurde. Und am Ende waren die Synoden mit ihrer Gleichheit des Stimmrechtes ein treffliches Mittel, der Übermacht der vornehmern Bischofsstühle entgegenzuarbeiten, sobald dieselbe dem Hofe irgend bedenklich erschien.
Die Idee eines Konzils, wie sie sich schon in den ersten Jahrhunderten des Christentums ausgebildet hatte, war eine erhabene: dass auf einer Versammlung der Vorsteher christlicher Gemeinden, wenn sie sich zu wichtigen gemeinschaftlichen Beratungen andächtig vorbereitet, der Geist Gottes ruhe. Ein Gefühl dieser Art wird über jede Versammlung kommen, deren Beschäftigung die höchsten Dinge betrifft und deren Mitglieder vielleicht jedes einzeln das Leben an die Sache gewagt hat oder wagen wird. Allein die Zeit der triumphierenden und verweltlichten Kirche, deren Konzilien immer häufiger und glänzender wurden, zeigt im wesentlichen sehr rasch das Bild der traurigsten Ausartung.
Der erste grosse Anlass war das Konzil von Nicaea (325), dessen Hauptziel die Beseitigung der arianischen Streitigkeiten sein sollte. Es ist eines der unleidlichsten Schauspiele in der ganzen Geschichte, die kaum aus den Verfolgungen gerettete Kirche, vorzugsweise der östlichen Reichslande, vom heftigsten Kampf über das Verhältnis der Personen in der Dreieinigkeit ganz in Beschlag genommen zu sehen. Orientalischer Starrsinn und griechische Sophistik, die sich in die Bischofsstühle geteilt, martern sich und den Buchstaben der Schrift, um irgendein Symbol hervorzubringen, welches das Unbegreifliche begreiflich und irgendeine Auffassung desselben allgemeingültig machen soll;