Das Urteil über sein christliches Bekenntnis und seine Taufe auf dem Sterbebette wird vollends jeder nach eigenem Maßstab beurteilen müssen716.
Die grossen äussern Veränderungen, welche die Stellung und daher auch die Verfassung der christlichen Kirche durch Constantin erfuhr, sind bekannt genug und können hier nur in Kürze wiederholt werden. Die Geistlichen (clerici) wurden gleich zur Zeit der ersten Toleranzedikte tatsächlich als Stand, als Korporation anerkannt, was von unermesslicher Wichtigkeit für die ganze Entwickelung der Kirche sein musste. Sie hatten sich selber wohl schon längst zu dieser Bestimmung vorbereitet, indem sie einerseits sich von den Laien isolierten, andererseits durch Gemeinsamkeit vieler Amtsgeschäfte, namentlich durch das Synodenwesen, den Charakter einer Körperschaft erwarben. Doch der einstweilen bloss tolerant gewordene Staat hätte darauf nicht so vollständig einzugehen nötig gehabt? Er konnte, so scheint es, den Klerus als Stand ignorieren und sich direkt an die Gemeinden wenden? – Allein Constantin fand den Klerus schon so eigentümlich zur Macht organisiert und durch die Verfolgung so sehr gehoben vor, dass er entweder durch diese Korporation und ihren hohen Kredit herrschen oder sie über kurz oder lang zum Feinde haben musste. Er gab ihr daher alle möglichen Garantien der Gunst bis zu einer Art Mitherrschaft, und dafür waren die Geistlichen die ergebensten Verbreiter seiner Macht und ignorierten es völlig, dass er noch mit einem Fusse im Heidentum stand, ja dass seine Hände über und über mit Blut befleckt waren.
Er übernahm mit diesem Verhältnis auch dessen bedenkliche Schattenseiten. Aus der Verfolgung war neben den edlern sittlichen Folgen auch ein böser Geist des Haders aufgestiegen; die Partei der schwärmerischen Hingebung wurde zur fanatischen Opposition nicht bloss gegen diejenigen, welche in der Verfolgung verleugnet oder die heiligen Schriften ausgeliefert hatten, sondern auch gegen die durch erlaubte Mittel christlicher Klugheit Geretteten; darob entstand in Nordafrika die donatistische, in Ägypten die meletianische Spaltung fast noch während der Verfolgung selbst. Es waren die ersten Anlässe für den bloss toleranten Kaiser, in positiv kirchlichen Streitigkeiten zu intervenieren, denn von Neutralität konnte, nachdem er sich einmal mit der Kirche eingelassen, natürlich keine Rede mehr sein. Constantin zeigte hier wie später, bei der viel umfassenderen arianischen Spaltung, in der Regel grossen Takt (s. unten); er erklärte sich zwar für die eine Partei, gestattete derselben aber keinerlei strafende Machtübung gegen die andere. Die Einheit der Kirche wäre ihm ohne Zweifel wünschbar gewesen, weil sie als Parallele zur Einheit der Macht erschien; allein er wusste sich auf eine hadernde und getrennte Kirche gar wohl einzurichten und war weit entfernt, die Kaisermacht selber zu kompromittieren durch Hartnäckigkeit und Strenge für oder wider Dinge und Menschen, die ihm keinen Fanatismus einzuflössen imstande waren. Das Verhalten der Christen gegen Verfolgungen jeder Art hatte er gründlich beobachtet; gerade die beiden eben genannten Spaltungen wären durch nichts so unfehlbar gesteigert worden als durch neues Martyrtum. Freilich musste er ahnen, dass nicht alle seine Nachfolger sich hierin so unabhängig halten würden; hiessen sie einmal Christen, so war vorauszusehen, dass sie auch persönlich dem Eifer für oder gegen streitige Lebensformen der Kirche anheimfallen mussten. Doch zeigte die Folge, dass die Kaisermacht anderweitig stark genug gegründet war, um hier selbst durch die extremsten Versuche (wie zum Beispiel der Bilderstreit des achten Jahrhunderts) sich nicht aus den Fugen heben zu lassen.
Die Geistlichen als Korporation oder Stand erhielten zunächst von Constantin die Befreiung von allen öffentlichen Verpflichtungen (munera)717 (313 und 319), welche teils in lästigen Ämtern, teils in Abgaben bestanden oder in dem verrufenen Dekurionat beides vereinigten. (Dem sofortigen Zudrang der befreiungslustigen Reichen zum geistlichen Stande musste schon im nächsten Jahre [320] durch ein ganz rohes allgemeines Verbot begegnet werden, welches dann wahrscheinlich nicht selten umgangen wurde.) Das zweite bedeutende Zeichen korporativer Anerkennung erhielt die Kirche durch die Erlaubnis Erbschaften anzunehmen (321)718, welche ihr denn auch nicht fehlten. Später, wahrscheinlich nach dem Siege über Licinius719 wurde der Kirche geradezu eine bedeutende Staatsbesoldung, vorzüglich in Landstücken und Kornrenten, ausgeworfen. War ihr auf diese Weise eine reichliche Existenz und die Gründung eines grossen Besitzes gesichert, so gab der Staat auch noch ein Stück seiner Macht in den Kauf; die Christen hatten bisher ihre Streitigkeiten, ehe sie vor den weltlichen, heidnischen Richter gingen, gerne durch die Bischöfe, als eine Art Friedensrichter, schlichten lassen, von deren Spruch sie noch immer appellieren durften; dieses Appellationsrecht hob Constantin auf und machte die Entscheide der Bischöfe, wenn man sich einmal an diese gewandt, obligatorisch. Dadurch war jede Konkurrenz des weltlichen Richters mit dem geistlichen abgeschnitten und einschliesslich auch die Gelegenheit zu einem Streit zwischen beiden, welcher jetzt gleich gefährlich gewesen wäre, mochte der weltliche Richter noch Heide oder schon Christ sein. Diese Erwägung allein erklärt das so ausserordentliche, jedem kräftigen Staatswesen scheinbar so gefährliche Zugeständnis. Constantin hat hier, wie in der Behandlung des Kirchlichen überhaupt, nicht etwas Neues aus eigener Wahl eingeführt, sondern das auch ohne ihn Vorhandene konstatiert und geregelt. Es ist leicht, vom Standpunkt moderner Theorien aus ihn zu tadeln, dass er die Kirche und den Staat nicht schärfer getrennt hielt720, allein was sollte er machen, wenn durch einen allgewaltigen Drang der Zeit die Kirche ihm unter den Händen zum Staat und der Staat zur Kirche wurde? Wenn jeder christliche Beamte in seinem Geschäftskreise, jeder Richter auf seinem Tribunal durch Vermischung religiöser und bürgerlicher Gesichtspunkte an seiner Pflicht irre werden konnte? Wenn die Interzession eines Bischofs oder eines für heilig geachteten Einsiedlers721 für oder gegen irgendeinen Menschen, irgendein Verhältnis alles in Konfusion zu bringen vermochte? Die Theokratie, welche sich hier entwickelte, war nicht das Werk des einzelnen kirchenschützenden Kaisers und ebensowenig die bewusste Gründung einzelner besonders schlauer Bischöfe, sondern das grosse, notwendige Resultat eines weltgeschichtlichen Prozesses. Von einem höhern Gesichtspunkt aus darf man es ja wohl beklagen, dass das Evangelium zu einem Gesetz gemacht wurde für die, welche nicht daran glaubten, und gerade durch einen Herrscher, welcher innerlich nicht berührt war von dem