Neunter Abschnitt
Constantin und die Kirche
Man hat öfter versucht, in das religiöse Bewusstsein Constantins einzudringen, von den vermutlichen Übergängen in seinen religiösen Ansichten ein Bild zu entwerfen. Dies ist eine ganz überflüssige Mühe. In einem genialen Menschen, dem der Ehrgeiz und die Herrschsucht keine ruhige Stunde gönnen, kann von Christentum und Heidentum, bewusster Religiosität und Irreligiosität gar nicht die Rede sein; ein solcher ist ganz wesentlich unreligiös, selbst wenn er sich einbilden sollte, mitten in einer kirchlichen Gemeinschaft zu stehen. Das Heilige kennt er nur als Reminiszenz oder als abergläubische Anwandlung. Die Momente der innern Sammlung, die bei dem religiösen Menschen der Andacht gehören, werden bei ihm von einer ganz andern Glut aufgezehrt; weltumfassende Pläne, gewaltige Träume führen ihn glatt auf den Blutströmen geschlachteter Armeen dahin; er gedenkt wohl, sich zur Ruhe zu setzen, wenn er dieses und jenes erreicht haben wird, was ihm noch fehlt, um alles zu besitzen; einstweilen aber gehen alle seine geistigen und leiblichen Kräfte den grossen Zielen der Herrschaft nach, und wenn er sich einen Augenblick auf sein wahres Glaubensbekenntnis besinnt, so ist es der Fatalismus. Man will sich nur im vorliegenden Fall nicht gerne davon überzeugen, dass ein Theologe von Bedeutung, ein Forscher zwar von geringer Kritik, aber von grossem Fleisse, ein Zeitgenosse, der den Ereignissen so nahe stand, dass Euseb von Caesarea durch vier Bücher hindurch eine und dieselbe Unwahrheit hundertmal sollte wiederholt haben; man beruft sich auf eifrig christliche Edikte, ja auf eine Rede des Kaisers »An die Versammlung der Heiligen«, welche im Munde eines Nichtchristen ganz undenkbar wäre. Allein die Rede wurde, vorläufig bemerkt, weder von Constantin verfasst noch jemals abgehalten666, und in den Edikten liess er teilweise den christlichen Priestern freie Hand; Eusebius aber, obschon ihm alle Geschichtsschreiber gefolgt sind, hat nach so zahllosen Entstellungen, Verheimlichungen und Erdichtungen, die ihm nachgewiesen worden, gar kein Recht mehr darauf, als entscheidende Quelle zu figurieren. Es ist eine traurige, aber sehr begreifliche Tatsache, dass auch die übrigen Stimmführer der Kirche, soviel wir wissen, die wahre Stellung Constantins nicht verrieten, dass sie kein Wort des Unwillens hatten gegen den mörderischen Egoisten, der das grosse Verdienst besass, das Christentum als Weltmacht begriffen und danach behandelt zu haben. Wir können uns lebhaft vorstellen, wie glücklich man sich fühlte, endlich eine feste Garantie gegen die Verfolgungen gewonnen zu haben, allein wir sind nicht verpflichtet, nach anderthalb Jahrtausenden die damaligen Stimmungen zu teilen.
Als die Reminiszenz, welche Constantin aus dem Hause des Chlorus mitbrachte, erscheint der tolerante Monotheismus667, welchem dieser ergeben war. Das erste selbständige religiöse Lebenszeichen gewährt dann668 der Besuch Constantins in dem Apollstempel zu Autun (308) vor seinem erneuten Angriff gegen die Franken; er scheint das dortige Orakel befragt und reiche Geschenke dargebracht zu haben. Dieser Apollsdienst steht vielleicht mit jenem Monotheismus des elterlichen Hauses nicht im Gegensatze, insofern etwa schon Chlorus sein höchstes Wesen als Sonnengott auffasste. Auch der Neffe Julian669 wusste von einem besondern Helioskultus des Constantin zu melden. Dass hiebei an die Personifikation der Sonne als Mithras670 zu denken ist, schliessen wir aus dem bekannten constantinischen Münzreverse, welcher den Sonnengott mit der Inschrift SOLI. INVICTO. COMITI darstellt. Wer mit antiken Münzen zu tun gehabt hat, weiss, dass unter fünf constantinischen Stücken wohl vier keine andere Rückseite haben als diese, woraus mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hervorgeht, dass dieser Stempel bis zum Tode des Kaisers beibehalten wurde671. Ausserdem kommen Victorien, der Genius populi Romani, Mars und Juppiter mit verschiedenen Beinamen, sowie eine Anzahl weiblicher Personifikationen am häufigsten vor. Dagegen müssen die Münzen mit unzweideutigen christlichen Emblemen, die er geprägt haben soll, überhaupt noch gefunden werden672. In der Zeit, da er neben Licinius herrschte, erscheint die Figur des Sonnengottes mit der Inschrift COMITI. AVGG. NN., das heisst »dem Begleiter unserer beiden Kaiser«, und auch viele Münzen des Crispus und des Licinius selbst haben noch den gleichen Revers. Fortwährend nennt sich Constantin auf Inschriften und auf Münzen Pontifex maximus673 und lässt sich als solcher mit verschleiertem Haupt abbilden; in den Gesetzen der Jahre 319 und 321674 erkennt er den heidnischen Kultus noch als zu Rechte bestehend an und verwahrt sich nur gegen den geheimen, gefährlichen Gebrauch der Magie und der Haruspicin, während er das Beschwören des Regens und des Hagels gestattet und bei Blitzschlägen auf öffentliche Gebäude das Gutachten der Haruspices ausdrücklich verlangt. Zosimus, wenn wir dem Heiden des fünften Jahrhunderts glauben dürfen, bestätigt diese Befragung heidnischer Priester und Opferer in noch weiterem Umfange und lässt sie bis zur Tötung des Crispus dauern (326), welche nach seiner Ansicht der wahre Termin für Constantins sogenannte Bekehrung wäre.
Diesem allem steht aber entgegen, dass Constantin seit dem Kriege mit Maxentius (312) nicht bloss die Duldung des Christentums als einer erlaubten Religion eintreten liess, sondern in der Armee ein Sinnbild verbreitete, wobei sich zwar jeder seine eigenen Gedanken machen konnte, das aber die Christen auf sich beziehen mussten. Die verschlungenen Buchstaben Χ und Ρ, welche den Anfang des Wortes Christus (ΧΡΙΣΤΟΣ) ausmachen, wurden, wie es heisst, noch vor dem Kriege an den Schilden der Soldaten angebracht675. Zugleich oder erst später wird an einem grossen Feldzeichen, an einer Heerfahne dasselbe Monogramm, von Gold und Juwelen umgeben, befestigt, worauf dieses Feldzeichen einen besondern, wunderlichen Kultus erhält und den Kriegern die grösste Siegeszuversicht einflösst. Bald werden für alle Heere dergleichen Feldzeichen (labarum, semeion) angefertigt; einer eigenen Garde wird die Bewahrung des Idols in der Schlacht anvertraut; man widmet ihm sogar ein eigenes Zelt, in welches sich der Kaiser vor jeder wichtigen Affäre geheimnisvoll zurückzieht. Sollte dies alles nicht die Bedeutung eines öffentlichen Bekenntnisses haben?
Zunächst beachte man, dass Constantin sich mit diesem Abzeichen nicht an die Bevölkerungen, sondern an das Heer wendet. Dasselbe kannte ihn bereits aus den Frankenkriegen als einen glücklichen und bedeutenden Feldherrn, es gehörte ihm teilweise schon vom Vater her an und hätte sich alle beliebigen Symbole und Embleme von seiner Seite gefallen lassen. Unter den Galliern und Briten, welche dabei waren, gab es sicher viele Christen und indifferente Heiden, und den Germanen war die Religion des Führers vollends ganz gleichgültig. Von seiner Seite aber war es ein Versuch, der ihn vorderhand zu gar nichts verpflichtete als zu der Toleranz, die in seinen bisherigen Gebieten tatsächlich schon herrschte und die er dann auch über die eroberten ausdehnte. Christus konnte ihm als Gott neben andern Göttern gelten, die Bekenner desselben als Untertanen neben den Dienern der Heidengötter. Wir wollen die Möglichkeit nicht leugnen, dass Constantin eine gewisse Superstition zugunsten Christi in sich habe aufkommen lassen, ja dass er diesen Namen vielleicht mit seinem Sonnengott in eine konfuse Verbindung brachte; es kam ihm aber gewiss ausschliesslich