Gerade in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens gibt Constantin noch einige sehr deutliche Zeichen unchristlicher, ja unmittelbar heidnischer Sympathien. Während er und seine Mutter Palästina und die grossen Städte des Reiches mit den prachtvollsten Kirchen schmücken, lässt er in dem neuen Konstantinopel doch auch heidnische Tempel bauen; zwei davon, die der Göttermutter und der Dioskuren, können blosse Ziergebäude für die als Kunstwerke darin aufgestellten Bilder gewesen sein, der Tempel und das Bild der Tyche dagegen, der vergöttlichten Personifikation der Stadt, sollten einen eigentlichen Kultus geniessen. Bei der Einweihung der Stadt wurden erweislich heidnische Geheimbräuche gefeiert, wie denn diese ganze wichtige Angelegenheit von allerlei Superstitionen bedingt war, die bei den spätern Schriftstellern vergebens mit christlicher Andacht zugedeckt werden. (S. d. folg. Abschn.)
Auch andern gestattete Constantin noch die Erbauung heidnischer Tempel. Eine Inschrift698 des umbrischen Städtchens Spello (zwischen Foligno und Assisi), welche ihres befremdlichen Inhalts wegen lange für unecht gegolten hat und durch die nachlässige und barbarische Schreibung dieses Vorurteil zu rechtfertigen schien, ist höchst wahrscheinlich ein durchaus echtes Denkmal dieser Gunst gegen die Heiden, und zwar aus den zwei letzten Lebensjahren des Kaisers. Er erlaubt den Hispellaten, seinem Geschlecht, das er bekanntlich gens Flavia nannte, einen prächtigen Tempel zu bauen699, und bedingt sich nur aus, dass derselbe nicht »durch den Trug ansteckenden Aberglaubens« befleckt werde, worunter sich jeder denken konnte, was er wollte. Auch über das heidnische Priestertum des Ortes und über die Verlegung der Festspiele von Bolsena nach Spello gibt er einlässlichen Bescheid, mit ausdrücklicher Nennung der Gladiatoren. In denselben Jahren spricht er auch gewisse heidnische Priesterkollegien, die Sacerdotes und lebenslänglichen Flamines, von den lästigen Lokalämtern frei, zu welchen man sie, insonderheit in Afrika, christlicherseits nötigen wollte700. Ohne Zweifel mit seinem Vorwissen darf der Senat noch im Jahr 331 den zerfallenen Concordientempel701 wiederherstellen, einzelner Götteraltäre aus den nächst vorhergehenden Jahren zu geschweigen.
Ja, das Heidentum tritt dem Herrscher in dieser letzten Zeit auch persönlich sehr nahe. Der Neuplatoniker Sopater, ein Schüler des Iamblichus, erscheint in seiner Nähe mit allen Ansprüchen eines hochmütigen griechischen Sophisten; »die andern Menschen sind ihm zu gering; er eilt an den kaiserlichen Hof, um ohne weitere Umstände über Constantins ganzes Tun und Denken einen herrschenden Einfluss zu üben702. Der Kaiser ist auch bald von ihm gänzlich eingenommen und lässt ihn zu seiner Rechten sitzen, zum allgemeinen Neid und Ärgernis der Höflinge«. So weit Eunapius, dem freilich so wenig als dem Philostratus unbedingt zu glauben ist, wenn er mit vornehmen Konnexionen der Philosophen prahlt. Hier liegt aber etwas Wahres zugrunde; Sopater hat jedenfalls ein bedeutendes Verhältnis zu Constantin gehabt703. Dass er es war, der die Sühnung wegen der Hinrichtung des Crispus verweigerte, lassen wir ganz beiseite; unleugbar aber wurde er bei den Einweihungszeremonien von Konstantinopel gebraucht. Später, jedenfalls nach 330, stürzte ihn der Gardepräfekt Ablavius, welcher bei der Hungersnot in der neuen Hauptstadt dem Kaiser die Meinung beigebracht haben soll, Sopater halte durch seine grosse Wissenschaft die Winde gefesselt, die den ägyptischen Korntransport über das Meer befördern sollten. Jedenfalls liess Constantin den Sophisten hinrichten. Ob aber der blosse Hofneid des Ablavius dies bewirkte704, darf nach einer Notiz bei Suidas wohl bezweifelt werden; »Constantin«, heisst es, »tötete den Sopater, um zu beweisen, dass er in der Religion nicht mehr heidnisch gesinnt sei. Denn früher war er mit jenem sehr vertraut gewesen«. – Wir werden bei einem andern Anlass (zur Geschichte des Athanasius) die Vermutung wiederholen müssen, dass die christlichen Priester dem alternden Kaiser einigermassen furchtbar geworden waren und dass er seine so lange bewahrte persönliche Freiheit in den letzten Jahren nicht mehr durchgängig behaupten konnte.
Manche glauben sogar annehmen zu dürfen, dass Constantin die heidnischen Opfer zuletzt irgendwann ganz verbot705; und wenn Euseb (IV, 25) Rücksicht verdiente, so wären ausser den Opfern auch die Befragung von Orakeln, die Aufrichtung von Götterbildern und die Feier der Mysterien durchaus abgeschafft worden. Dass irgendeinmal seit dem Jahr 326 ein Gesetz gegen die Befragung der Orakel gegeben wurde, bestätigt auch Zosimus (II, 29). Allein es muss bei all diesem706 merkwürdig durch die Finger gesehen worden sein. Auch wenn das Dekret für Spello unecht wäre, so blieben noch Indizien genug übrig. Gerade die Haupturkunde für den massenhaften Fortbestand der Opfer und Mysterien, die Schrift des christlichen Firmicus, stammt aus den nächsten Jahren nach Constantins Tode, dessen Söhne mit den heftigsten Worten erst zu dem aufgefordert werden, was der Vater schon getan haben soll: »Haut sie zusammen, mit dem Beil zusammen, diese Tempelzierden! Zur Schmelze, zur Münze mit diesen Göttern! Alle Weihgeschenke sind euer, nehmt und braucht sie707!«
Es sind indes allerdings schon unter Constantin Tempel aufgehoben und zerstört und Götterbilder eingeschmolzen worden708. Ein Heiligtum wie das der Himmlischen Göttin zu Aphaca im Libanon (S. 204) verdiente nichts Besseres, als dass Soldaten hingeschickt wurden, die alles dem Boden eben machten (um 330); der Ort war in der Tat »nicht wert, dass ihn die Sonne beschien«. Schon bedenklicher war die Schleifung des berühmten Asklepiostempels zu Aegae in Cilicien, wo bis damals eine Menge Menschen sich um der Kurträume willen einfanden. Wahrscheinlich hatte der Gott (der »Seelenirrer«, wie ihn Euseb nennt) sich auch auf politische Fragen eingelassen709. In Heliopolis, wo ein kaum minder unzüchtiger Kultus vorkam als in Aphaca, blieb es beim blossen Verbot und bei der gewaltsamen Stiftung eines Bistums, dem dann erst durch Geld eine Gemeinde geworben wurde710. Anderwärts kam es vor, dass bekehrte Bevölkerungen aus eigenem Antrieb die Heidentempel des Ortes niederrissen und dafür die offizielle kaiserliche Billigung ernteten; Maiuma, die Hafenstadt von Gaza, erhielt den Namen Constantia, ein anderer phönicischer Ort den Namen Constantina, wahrscheinlich um eines solchen Verdienstes willen711.
Ausserdem hat Constantin aus Raubsucht oder Geldnot, wie es scheint, viele Tempel plündern lassen. Zwar verhehlt Euseb hier wieder den Grund und die wahre Ausdehnung dieser Spoliationen, allein er verrät sich wider Willen. Es ist nämlich bei ihm zunächst gar nicht von Marmorstatuen die Rede, sondern von lauter solchen Bildern, deren Inneres aus einem besondern Stoffe bestand – Euseb meint: aus Schädeln, Totenbeinen, alten Lumpen, Heu, Stroh u. dgl. –, es handelt sich aber offenbar nur um den hölzernen etc. Kern oder das hohle innere Gestell von sogenannten Chryselephantinstatuen das heisst Bildern von Gold und Elfenbein, dergleichen der olympische Zeus eines war. In der Lobrede auf Constantin (Kap. 8) wird dies dann in vollem Umfang zugestanden: »die kostbaren Teile wurden eingeschmolzen und der formlose Rest den Heiden gelassen, zum ewigen Angedenken ihrer Schmach712«. Welche und wieviele Werke (vielleicht der besten griechischen Kunst!) dieses von der Kostbarkeit des Stoffes unzertrennliche Schicksal traf, erfährt man nicht näher. Übrigens nahm Constantin für die Ausschmückung seiner neuen Hauptstadt allerdings auch mit Götterbildern ohne höhern Materialwert vorlieb, wie wir sehen werden; von den ehernen zum Beispiel heisst es a. a. O.: »Man führte sie wie Gefangene fort, diese Götter abgelebter Fabeln, an Stricken wurden sie fortgeschleppt!«