Macy sah Bissspuren auf seinen Hinterläufen. Als sie mit der Hand über seine Brust fuhr, spürte sie, wie die Rippen deutlich hervorstanden. »Kein Wunder, dass er so viel hechelt. Er hat Durst! Mal sehen, ob wir etwas Wasser für ihn finden können«, sagte Macy.
»Wie sieht es aus, Sheriff, hast du Wasser im Auto?«, fragte sie ihn, als sie aufstand. Er erhob sich, trottete zu der offenstehenden Tür des Autos und winselte leise beim Anblick des toten Polizisten.
»Oh, das tut mir leid, Sheriff. Ist das dein Herrchen?«, fragte Macy.
Der Hund setzte sich auf seine Hinterpfoten und blickte die Mädchen an. »Er möchte, dass wir dem Polizisten helfen«, meinte Marcy.
»Es tut mir so leid, Sheriff, aber wir können nichts für ihn tun«, sagte Macy. Sie schaute durch das hintere Fenster auf ihrer Seite und bemerkte eine graue Decke auf dem Rücksitz. Langsam griff sie in das Innere des Autos, zog die Decke heraus, faltete sie auseinander und legte sie mit einem Blick auf Sheriff über den verfallenden Körper seines ehemaligen Besitzers. Daraufhin legte sich Sheriff vor der Fahrertür auf den Boden. Sein Kopf ruhte wieder auf seinen Pfoten. Macy streichelte ihm das Fell. Sie konnte seine Trauer nachfühlen und hatte Mitleid mit ihm.
Sie wandte sich Marcy zu und sagte: »Wir sollten zuerst versuchen, eins der anderen Autos zu starten. Wenn das nicht funktioniert, müssen wir diesen Mann aus dem Auto ziehen. Aber ich glaube nicht, dass Sheriff das gefallen würde. Was meinst du?«
Macy nickte. Es wäre nicht klug, wenn sie riskierten, den Hund zu verärgern. Sie liefen zu einem Polizeiauto auf der anderen Seite der Straße. Es saß niemand darin, weder lebendig noch in einem anderen Zustand. Die Schlüssel lagen auf dem Beifahrersitz. Macy drückte Marcy die Schlüssel in die Hand, doch Marcy sagte: »Du bist dran. Du wirst merken, dass es gar nicht so einfach ist.«
Die Sonne begann unterzugehen. »Es ist bald dunkel«, sagte Marcy. »Wir müssen uns beeilen.«
Auf der Suche nach Wasser öffneten sie die Türen und den Kofferraum. Sie hatten Glück. Im Kofferraum fanden sie eine halbe Kiste mit Wasserflaschen. Macy nahm zwei Flaschen heraus, ging zum Hund zurück, öffnete eine davon und bot Sheriff Wasser aus ihrer flachen Hand an. Seine raue Zunge kitzelte fürchterlich, als er das Wasser gierig hinunterschlürfte. Wieder und wieder schüttete sie Wasser in ihre Hand, so lange, bis Sheriff den Inhalt beider Flaschen ausgetrunken hatte.
Macy lief zurück zum Auto, um die Türen und die Kofferraumklappe zu schließen, als Sheriff überraschend auf den Rücksitz sprang. »Ähm, er will wohl mit uns mitkommen«, meinte Marcy.
»Hm, seine Entscheidung, schätze ich. Ich werde doch nicht einem Polizeihund sagen, was er tun oder lassen soll, oder?«
Sie schlossen den Kofferraum und die Türen. Als Sheriff nicht protestierte, startete Macy den Wagen. Mit dem Vorteil, dass sie ihrer Zwillingsschwester beim Fahren zugesehen hatte, steuerte sie das Auto problemlos rückwärts. Dann bremste sie vorsichtig und hielt an, um ihren Sitz so weit nach vorn wie möglich zu stellen, ohne dass es ihre Sicht beeinträchtigte. Sie gab erneut Gas, wendete das Auto und begann, in Richtung Issaquah zu fahren. Nun, da die Straße frei vor ihnen lag, würden sie rasch da sein.
8| Der Wahnsinnige
Horacio Campos war gerade damit fertig geworden, das letzte Schild in die feuchte Erde zu hämmern. Es war Teil der Grenze, die sein Reich umgab. Auf dem Schild war in großen Buchstaben zu lesen: BETRETEN VERBOTEN. Darunter stand: EINDRINGLINGE WERDEN ERSCHOSSEN, gefolgt von: WAREN UND VORRÄTE SIND EIGENTUM VON BÜRGERMEISTER CAMPOS.
Nun, da er die Schilder aufgestellt hatte, würde jeder wissen, dass diese kleine Stadt ihm gehörte. Ganz und gar ihm, mit allen Wohnhäusern und Gebäuden und allem, was darin war. Er würde keine Ausreden gelten lassen von irgendwelchen Eindringlingen, die die Regeln missachteten und es versäumten, die Maut zu zahlen, die er eingeführt hatte. »Hier gibt es nichts mehr auf Kosten des Hauses, wie diese beiden Trottel dachten, die hier einfach so, ohne zu bezahlen, hindurchspazieren wollten,«, grummelte er laut. Schon bevor er die Schilder aufgestellt hatte, gab es Regeln. Es musste immer Regeln geben.
Nur weil die Meisten tot waren, hieß das noch lange nicht, dass die wenigen Überlebenden sich einfach alles nehmen konnten. Immerhin war er es, der die wilden Tiere fernhielt, einschließlich der Hunderudel. Er sorgte für Strom und fließendes Wasser. Wenn sie dafür bezahlten, würde er ihnen auch Benzin verkaufen. Er hielt komplette Häuser bereit, sogar mit den dazugehörigen Autos, die er den Wenigen anvertrauen würde, die er als gute Bürger einschätzte. Sie mussten dafür nur ihren Teil bezahlen – entweder indem sie arbeiteten oder etwas zum Tausch mitbrachten. Wenn sie Proviant oder Waren benötigten oder seine Stadt durchqueren wollten, dann mussten sie zuerst beweisen, dass sie in der Lage waren zu zahlen.
Campos, der hier aufgewachsen und dessen Vater der Elektriker des Ortes gewesen war, wusste, dass einen die Menschen oft ausnutzten, wenn man es zuließ. Er hatte nicht vor, das zuzulassen. Einst hatte dieses Land seinem Großvater gehört, einschließlich der Tankstelle, an der er arbeitete.
Die Regierung hatte ihm seinen Besitz gestohlen, nachdem sein Großvater ihr erstes Angebot ausgeschlagen hatte. Damals in den Siebzigern hatten sie behauptet, das Land würde für den Schwachsinn benötigt, den sie »Stadterneuerung« nannten. Aber in Wirklichkeit hatten sie ihn einfach »zum Wohle der Öffentlichkeit« enteignet, nachdem sie nur die Hälfte dessen geboten hatten, was das Grundstück wert war. Sein ganzes Leben hatte er als Farmer dieses Land bestellt. Großvater hatte sich so aufgeregt, dass er auf der Stelle an einem Herzinfarkt gestorben war. Campos' Vater war als Waise im Alter von fünfzehn Jahren zurückgeblieben.
Voller Bitterkeit hatte ihm sein Vater davon erzählt, wie es gewesen war, seinen sterbenden Vater in den Armen zu halten, während die Mutter sich die Augen ausweinte. Aber ihre Tränen waren rasch getrocknet. Bald darauf hatte sie fröhlich herumgehurt und ihren Sohn alleingelassen. Campos hatte von da an für sich selbst sorgen müssen. Er erinnerte sich daran, wie sein Vater geschworen hatte, dass er sich das Land eines Tages zurückholen würde.
Sein Vater war zur Marine gegangen. Dort hatte er Elektriker gelernt und war dann in seine Heimat zurückgekehrt. Er hasste es, die Männer bedienen zu müssen, die einst für seinen Vater auf der Milchfarm gearbeitet hatten.
Als das Virus zugeschlagen und das große Sterben begonnen hatte, dem auch sein Vater zum Opfer gefallen war, hatte Campos beschlossen, dass jetzt die Zeit der Abrechnung gekommen war. Nun gehörte das Land wieder seiner Familie, und er hatte nicht vor, es sich von irgendjemandem noch einmal nehmen zu lassen. Sein Vater wäre so stolz auf ihn gewesen, wenn er nur das Virus überlebt hätte. Er wäre nie mehr wütend auf Campos gewesen.
Tag und Nacht hatte Campos aufgeräumt. Allein die Leichen zusammenzutragen und zu verbrennen hatte mehrere Tage gedauert. Damit sie nicht verwilderten, hatte er alle Haustiere getötet und sie zusammen mit ihren Besitzern verbrannt. Da der Ort jetzt ihm gehörte, sollte er schön sein. Wie in der guten alten Zeit sollte er aussehen, genauso, wie es sein Vater immer beschrieben hatte.
Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hatte er geschuftet, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Sogar in alle Häuser war er gegangen, hatte die Betten gemacht, Wäsche gewaschen und staubgesaugt. Er hatte sich jedes einzelne Zimmer vorgenommen, alten Plunder entsorgt, sauber gemacht und die Häuser soweit vorbereitet, dass sie die neuen Bürger in Empfang nehmen konnten, sobald er sie geprüft und für würdig befunden hatte.
Sein Vater war kein Freund von Wohltätigkeit gewesen. Für Campos galt das Gleiche. Vor allem nicht gegenüber den letzten beiden, die in die Stadt gekommen waren. Er war bereit, jedem Neuankömmling Arbeit anzubieten, aber er duldete keine faulen Säcke. Er wusste, dass sein Vater das nicht gutheißen würde.
Eine Sache beunruhigte Campos etwas, seitdem das Virus zugeschlagen hatte und die Lebensmittelläden leer geworden waren: Es gab keine Medizin mehr. Er war in die Apotheke eingebrochen, hatte aber keine Flasche finden können, auf der wie auf seiner Trilafon stand. Aber seine Medizin nicht mehr nehmen zu können