GRAHAMS PRÜFUNG (Survivor). A.R. Shaw. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.R. Shaw
Издательство: Bookwire
Серия: Survivor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351691
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es um ihn herum still und er nicht durch seine Arbeit abgelenkt war, konnte er wieder diese Stimmen hören. Wie böse Geister waren Sie hinter ihm her. Deshalb beschäftigte er sich, so gut er konnte, die ganze Zeit, von morgens bis abends. Er mähte den Rasen, reinigte die Häuser und wusch das alte Blut mit dem Hochdruckreiniger von den Bürgersteigen. Die niemals endende Arbeit sorgte dafür, dass die Stimmen fernblieben.

      Sein Vater wäre sehr böse auf ihn gewesen, dass er seine Medizin nicht nahm. Aber wenn er sehen könnte, wie schön die Stadt jetzt war, würde ihn das vielleicht etwas milder stimmen. Nur für den Fall, dass sein Vater auch aus dem Jenseits ein Auge auf ihn hatte, arbeitete er, als wäre der Teufel hinter ihm her. Er betete darum, dass sein Vater nicht eine von den Stimmen war. Diese Vorstellung bereitete ihm mehr Angst als alles andere. »Bitte nicht«, wimmerte er, denn der bloße Gedanke daran ließ ihn zittern. Ich muss mich mehr anstrengen, meine Pillen zu finden, dachte er. Er hatte bereits alle Einfamilienhäuser durchsucht, denn ganz sicher hatte es noch jemanden gegeben, der das gleiche Medikament benötigt hatte.

      Als Nächstes würde er sich das Apartmenthaus gegenüber vornehmen. Dafür hatte er bisher noch keine Zeit gehabt. Aber wegen der unangenehmen Sache, die dort geschehen war, dachte er schon eine Weile darüber nach, das Haus bis auf den Grund niederzubrennen.

      Eines Tages hatte er dort eine Frau gefunden, die noch lebte. Er hatte sie schreien gehört, als sie vor einem verwilderten Hund davongelaufen war. So schnell er konnte, war er zu ihr gerannt und hatte das verdammte Vieh erschossen. Dann hatte sie ihn in ihre Wohnung eingeladen und sich bedankt. Zuerst hatte er gedacht, dass sie eine gute Bürgerin abgeben würde. Aber als er sie näher kennenlernte, wurde ihm klar, dass das nicht funktionierte. Sein Vater hätte sie als die Sorte erkannt, die herumhurte, wie seine Mutter. Sie trug diese kurzen Röcke und Tank-Tops, keine netten Damenkleider wie Mrs. Walker, die nebenan gewohnt hatte. Es war sehr traurig gewesen, dass sie gestorben war.

      Er hatte versucht, der Frau zu erklären, dass sie eine Gegenleistung erbringen musste. Aber sie hatte ihn nur beschimpft. Niemand durfte ihn mehr beschimpfen. Er hatte ihr gesagt, dass sie die Stadt sofort verlassen sollte, aber das hatte sie nur noch wütender gemacht. Dann hatte sie ihn einen »Psycho« und ein »verrücktes Arschloch« genannt. Er erinnerte sich daran, wie er sie daraufhin am Arm gepackt hatte in der Absicht, sie wie ein Gentleman nach draußen zu führen. Aber sie hatte angefangen zu schreien und ihm auf die Brust geschlagen. Dann hatte sie ihn überrascht, seine Männlichkeit durch die Jeans gepackt und zugedrückt, woraufhin er sofort hart geworden war. Campos hatte sie gegen die Wand gedrückt, aber sich dann daran erinnert, dass sein Vater immer gesagt hatte, er dürfe sich dort nie berühren lassen. Also hatte er sie am Hals gepackt. Danach war er ein wenig ohnmächtig geworden.

      Als er wieder zu sich kam, hatte sie an der mit Blut bespritzten Wand gelehnt. Ihr Kopf war säuberlich vom Rumpf getrennt. Dann hatte er das blutverschmierte Beil in seiner linken Hand entdeckt, von dem ihr Blut heruntertropfte und den weißen Teppich befleckte.

      Er hatte geweint. Nicht für das Mädchen, sondern für sich selbst. Denn er wusste mit Sicherheit, dass die Stimmen zurück waren. Er hatte nicht vorgehabt, sie zu töten. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, es getan zu haben. Noch nie hatte er einen Menschen umgebracht. Er hatte ihre Leiche wie all die anderen in den brennenden Müllcontainer geworfen. Dann war er in sein kleines Haus zurückgekehrt, um das an seiner Haut klebende, langsam trocknende Blut abzuwaschen. Noch einige Zeit hatte er die Auswirkungen ihrer Berührung gespürt. Sein Vater wäre sehr wütend auf ihn gewesen. Er hatte sich wirklich sehr gewünscht, sie an sich zu ziehen, aber die Stimme seines Vaters war immer stärker geworden. Campos hatte gewusst, dass der Vater ihn beobachtete. Es machte ihm immer noch große Angst.

      Für heute hatte Campos vor, alles verdorbene Obst und Gemüse sowie das vergammelte Fleisch und die ranzigen Milchprodukte aus dem kleinen Supermarkt auf die Straße zu schaffen. Er wünschte, er hätte sich eher darum kümmern können. Jetzt würde es eklig werden. Die Maden waren auf dem Vormarsch – und er hasste Maden. Deshalb machte er mit den Leichen stets kurzen Prozess und verbrannte sie einfach. Er konnte sie unmöglich alle begraben. Sie zu verbrennen war die einzige Möglichkeit, den Maden Einhalt zu gebieten.

      »Puh«, entfuhr es ihm, als er die Ladentür öffnete. Unmittelbar drohte der Brechreiz die Oberhand zu gewinnen. Er zog sich das Halstuch über Mund und Nase, um den Gestank ein wenig zu lindern. Nachdem er seine Arbeitshandschuhe angezogen hatte, schnappte er sich einen Einkaufswagen und schob ihn mit quietschenden Rädern am Zeitungsständer vorbei, um mit der Obst- und Gemüseabteilung anzufangen. Er würde sich bis zur Fleischtheke vorarbeiten und sich dann das Regal mit den Milchprodukten vornehmen.

      Er hatte bereits das Feuer in seinem großen Stahlmüllcontainer geschürt, den er mit einem Abschleppseil an dem kleinen Radlader seines Vaters befestigt und so zu einer fahrbaren Verbrennungsanlage gemacht hatte. Jeden Tag schleppte er ihn langsam dorthin, wo er gerade arbeitete. Auf diese Weise musste er das, was er entsorgen wollte, nicht über weite Strecken tragen.

      Da war dieser eine vorlaute Kerl gewesen, der ihn »Seine königliche Durchgeknalltheit Campos der Erste« genannt hatte. Erst hatte er ihm in den Bauch geschossen und ihn dann, noch lebendig, in den brennenden Müllcontainer geworfen. Die Schreie waren länger zu hören gewesen, als Campos gedacht hatte. Aber das war diesem Herumtreiber ganz recht geschehen. Er hatte versucht, Campos zum Narren zu halten. »So etwas wie kostenloses Benzin gibt es hier nicht«, hatte er ihm mitgeteilt.

      Campos hätte nie etwas in dem Laden mit bloßen Händen berühren können, aber mit seinen großen Arbeitshandschuhen konnte er furchtlos tief in die schleimigen, von Maden bedeckten Regale greifen. Nachdem er das vergammelte Obst und Gemüse in den Wagen geworfen hatte, schob er ihn zur Tür hinaus auf den Parkplatz, auf dem das Feuer loderte. Dann warf er alles in die Flammen und ließ die Funken zum dunkler werdenden Himmel aufstieben. Es war ein Anblick, der ihm das Herz erwärmte. Dann lief er zurück in den Laden, um die nächste Fuhre zu holen.

      Zum Glück fand er trotz der durch die Pandemie ausgebliebenen Lieferungen noch genug Lebensmittel, die in Ordnung waren und ihn und vielleicht fünf weitere Menschen durch den Winter bringen konnten. Im nächsten Frühjahr würde er einen großen Garten anlegen. Er brauchte viele Arbeiter, die ihn bewirtschafteten. In seiner Stadt gab es mehr als genug Arbeit, und Campos hoffte, dass bald ein paar anständige neue Bürger auftauchen würden, damit er seine Pläne in die Tat umsetzen konnte.

      9| Die Konfrontation

      Als Graham auf seinem Rad langsam zwischen den liegengebliebenen Autos hindurch navigierte, spürte er, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Er flüsterte Bang zu, sich ruhig zu verhalten und besser auf Grahams linke Seite zu wechseln. Unterhalb der Überführung konnten sie entfernt so etwas wie kämpfende Hunde hören. Graham sorgte sich, Bang könnte erschrecken und laut aufschreien. Weder die Hunde noch Campos durften wissen, dass sie hier waren.

      Während sie sich ihren Weg durch die dicht gedrängten Autos suchten, sondierte Graham das Gebüsch und die immergrünen Bäume neben dem linken Seitenstreifen. Kein schlechter Platz, um den Jungen und die Ausrüstung zu verstecken. Dann könnte er sich allein auf den Weg machen und die Lage an der Tankstelle auskundschaften. Sie stiegen die leichte Böschung hinunter und liefen durch die Büsche und Bäume, um das beste Versteck zu finden.

      Graham holte sein Fernglas hervor. Auf dem Bauch kroch er durch das feuchte Gras an den Rand der Steigung, um die Straße hinab zur Kreuzung und die dahinterliegende Tankstelle sehen zu können. Aber es standen so viele Autos kreuz und quer, dass es fast unmöglich war, eine klare Sichtlinie zu bekommen. Der Geruch, der von einigen Autos ausging, ließ Graham vermuten, dass ihre ursprünglichen Besitzer noch darin waren. Unzufrieden kroch er zurück zu Bang, der ihre Habseligkeiten bewachte.

      »Du musst genau hier bleiben. Ich bin nur kurz weg, bis ich herausgefunden habe, welchen Weg wir nehmen können. Pass gut auf unsere Sachen auf.«

      Bang lehnte sich an einen Baum, der ihm etwas Schutz bot, und Graham versicherte ihm noch einmal, dass er bald zurück sein würde. Der Junge sah nicht besonders glücklich aus, aber er nickte und hockte sich mit Pfeil und