GRAHAMS PRÜFUNG (Survivor). A.R. Shaw. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.R. Shaw
Издательство: Bookwire
Серия: Survivor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351691
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einen magischen Gegenstand. Bang fuhr dichter an Graham heran, nur für den Fall, dass tatsächlich ein Dokkaebi erschien. Er dachte sich, dass Graham wahrscheinlich besser kämpfen konnte als er.

      Rasch näherten sie sich der Hauptstraße. Von dort aus konnten sie in beiden Richtungen entlang des Highways verlassene Fahrzeuge sehen. Die Straße führte geradewegs auf Campos' Tankstelle zu. Dort war Licht, aber in diesem Augenblick war niemand zu sehen. In der Ferne erhellte das allgegenwärtige Leuchten des Feuers im Westen die Dunkelheit. Jeden Tag schien es ein wenig zu wachsen.

      Bang vermisste seine Mutter. Er wollte nicht hier sein, schon gar nicht nachts in der Dunkelheit. Aber er versuchte, den Wunsch seiner Mutter zu erfüllen. Sie hatte ihn gebeten, Graham zu folgen und ihm zu helfen, wo er nur konnte. Bang klammerte sich an diesen Gedanken, aber sein Herz sehnte sich schmerzhaft nach seiner Mutter. Er wollte nach Hause. Am Anfang hatte er Graham gehasst, aber nachdem er ihn weinend im Flur gesehen hatte, wusste er, dass auch ihm das Herz schwer war. Vielleicht ist er gar nicht so ein schlechter Kerl, dachte er. Immerhin hatte Graham Bang vor den Hunden gerettet. Und weil es der Wunsch seiner Mutter war, Graham zu vertrauen, beschloss er, bei ihm zu bleiben.

      7| Marcy, Macy und Sheriff

      Die Ereignisse zwangen Marcy und Macy, das Autofahren zu lernen. Eine Woche nach der anderen war ins Land gegangen. Jetzt hielten sie es nicht länger aus, auf ihren Vater zu warten. In der vorletzten Nacht war ihre Mutter am Virus gestorben. Sie hatten sie auf dem Fußboden im Bad gefunden, nachdem sie es geschafft hatten, die verschlossene Tür zu öffnen. Ihre Mutter hatte sich eingeschlossen, um die Mädchen zu schützen. Aber obwohl das Virus überall war, im ganzen Haus, in der Luft, wurde keine von beiden krank. Sie trugen ihre tote Mutter ins Bett. Eine packte sie unter den Schultern, die andere an den Füßen. Mehrmals mussten sie anhalten, denn sie war schwerer, als sie gedacht hatten. Sie waren beide eher schmächtig, auch wenn sich die Zwillinge mit ihren fünfzehn Jahren einredeten, wirklich ziemlich stark zu sein.

      Danach wuschen sie das Gesicht ihrer Mutter mit einem kühlen Waschlappen und deckten sie zu. Da sie nicht wussten, was sie sonst tun sollten, beschlossen sie, sich auf den Weg zu ihrem Vater zu machen. Sie wechselten sich dabei ab, ihn anzurufen, aber er ging nie ans Telefon. Da sie das schon von ihm kannten, versuchten sie es weiter.

      »Irgendwann muss er abnehmen, oder?«, fragte Marcy ihre Schwester.

      So viele waren in ihrer Nachbarschaft gestorben. Jetzt, da auch ihre Mutter tot war, wurde ihre Angst immer größer. Nachdem sie sich in den Schlaf geweint hatten, wachten sie in einer neuen Realität auf. Ihr Vater lebte in einer Wohnung in Issaquah. Um dorthin zu gelangen, mussten sie auf dem Highway in Richtung Süden fahren. Auf dieser Route waren sie schon viele Male unterwegs gewesen, hinten im Auto ihrer Mutter. Sie holten den Autoschlüssel aus ihrer Handtasche. »Sie würde wollen, dass sich Dad jetzt um uns kümmert«, sagte Macy.

      Die Familie Williams von nebenan war verschwunden. Zumindest hatte gestern niemand auf ihr Klopfen geantwortet. Kein menschliches Geräusch war zu hören gewesen, nur das Kläffen und Knurren der verwilderten Hunde. Zu allem Überfluss waren sie mitten in der Nacht von lauten Schreien geweckt worden, die von der Straße kamen. Die Mädchen waren nach unten gelaufen, um durch die vorderen Fenster nach draußen zu sehen. Dort war ein Mann ihre Straße entlang gerannt, verfolgt von mehreren Hunden. Er hatte die ganze Zeit geschrien, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Dann waren noch mehr Schreie zu hören gewesen, und danach nichts mehr. Die Mädchen hatten sich aneinandergeklammert und sich nicht getraut, die Tür zu öffnen. Was mit dem Mann geschehen war, mochten sie sich lieber nicht vorstellen. Nachdem die Stille zurückgekehrt war, hatten sich beide wieder in den Schlaf geweint, diesmal auf dem Sofa im Wohnzimmer.

      Jetzt gingen sie nicht einmal mehr alleine ins Bad, so sehr fürchteten sie sich. Schließlich entschieden die Zwillinge, sich auf eigene Faust auf den Weg zu ihrem Vater zu machen. Auch er würde vermutlich nichts dagegen haben, wenn sie das Auto nahmen. »Das ist ein Notfall«, rechtfertigte Marcy ihren Plan. »Und in Notfällen gelten neue Regeln.«

      Unzählige Male hatten sie ihren Eltern beim Autofahren zugesehen, also konnte es so schwer nicht sein. Da sie eine ganze Weile bei ihrem Vater bleiben würden, packten sie ihre Reisetaschen bis obenhin voll. Heute hatten sie lange geschlafen. Jetzt versuchten sie, sich zu beeilen, damit sie noch vor Einbruch der Dunkelheit bei ihrem Vater ankamen.

      Macy schlug vor, zuerst zu fahren, woraufhin Marcy sagte: »Du weißt, wie das funktioniert. Wir müssen Stein-Schere-Papier spielen.«

      Macy rollte mit den Augen, begann das Ritual aber doch. Ihr altes, beinahe zeremonielles Spiel schien ihr jetzt kindisch, aber auf diese Weise hatten sie stets ihre Streitigkeiten lösen können. Einen eineiigen Zwilling zu haben, brachte etliche Nachteile mit sich. Marcy war dominanter, Macy zurückhaltender. Macy lag die Bemerkung auf der Zunge, dass sie jetzt alt genug seien, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Aber sie sagte nichts und verhinderte so den andernfalls unvermeidlichen Streit.

      Macy entschied sich für Stein, und Marcy, wie konnte es anders sein, natürlich für Papier. »Immer gewinnst du«, murrte Macy. Manchmal schien es ihr, als könne Marcy ihre Gedanken lesen. War es nicht genug, dass sie sich wie ein Ei dem anderen glichen, mit ihren blauen Augen und ihrem blonden, gewelltem Haar? Es war einfach nicht fair. Aber vielleicht war es genau das, was sie zusammen und am Leben gehalten hatte. Macy schämte sich dafür, dass sie wütend auf ihre Schwester war. Es würde tatsächlich auch ihren Tod bedeuten, sollte Marcy wie ihre Mutter am Virus sterben und sie völlig allein zurücklassen.

      Marcy nahm Macy die Autoschlüssel aus der Hand, während sie in die angebaute Garage liefen. Bevor sie mit der Fernbedienung das Garagentor öffneten, achteten sie darauf, dass die Autotüren geschlossen waren. Marcy stellte ihren Sitz so weit nach vorne wie möglich und warf einen prüfenden Blick nach links, um zu sehen, ob sie im Rückspiegel etwas erkennen konnte. Gerade so kam sie mit ihren Füßen an die Pedale.

      »Leg deinen Sicherheitsgurt an, Macy, das könnte holprig werden.«

      Bevor Marcy den Zündschlüssel umdrehen konnte, riet Macy ihr: »Du musst den Schalthebel auf D stellen, wie Mom es immer tut.«

      »Ich weiß, ich passe auch auf, was sie tut. Was sie getan hat, meine ich«, sagte Marcy mit einer Stimme, in die sich ein leichtes Zittern einschlich. Sie drehte den Schlüssel, hörte, wie sich das Auto viel zu laut beschwerte, und ließ endlich los. »Oh, jetzt läuft es«, sagte sie. Dann bewegte sie den Schalthebel auf D, aber nichts passierte. »Okay, wie bringen wir das Ding zum Fahren?«, fragte sie.

      »Du musst auf die Pedale treten. Ich glaube, das linke ist die Bremse und das rechte das Gas. Versuch mal, ein wenig aufs Gas zu treten«, sagte Macy.

      Vorsichtig betätigte sie das Pedal auf der rechten Seite. Der Motor wurde lauter, aber das Auto bewegte sich kein Stück. Sie nahm den Fuß wieder weg. Macy bemerkte, dass sich neben dem Schalthebel noch ein weiterer Hebel befand. »Das muss die Handbremse sein!« Sie griff danach und drückte den Hebel nach unten. Das Auto begann, die abschüssige Einfahrt zur Straße hinunter zu rollen. Marcy schrie auf, und Macy rief: »Tritt auf die Bremse!«

      Als Marcy mit voller Kraft auf das Bremspedal trat, riss es beide Mädchen nach vorn. Es fehlte nicht viel, und sie wären gegen das Armaturenbrett geprallt. Zitternd saßen sie da und blickten aus dem Fenster. Die Straße schien immer noch endlos weit weg. Macy fiel auf, dass sie Publikum hatten. Es bestand aus einem einzelnen neugierigen Hund, einem hechelnden Boxer. Auf den ersten Blick sah er aus wie jeder andere der einst vielgeliebten Familienhunde in ihrer Nachbarschaft. Diesen hier hatte sie schon oft an der Leine zusammen mit seinem Besitzer gesehen.

      Dann sah sie, wie sich am Ende der Straße weitere Hunde näherten und rief: »Schau, da hinten kommen noch mehr! Schnell, wir müssen das Garagentor zumachen, damit sie nicht ins Haus können!«

      Gerade rechtzeitig schloss sich das Garagentor hinter ihnen, nachdem sie den Knopf auf der Fernbedienung betätigt hatten. Ein blutbefleckter Akita tauchte auf, fletschte die Zähne und knurrte die Mädchen an. Das Knurren ermutigte sein Gefolge, es ihm gleich zu tun. Selbst der gemütliche Boxer fing an zu knurren. »Nichts