Rings um sich her: ob ihm nicht ein Sterblicher jetzt, wie gerufen,
Nahete, der ihm erhellte das Grau’n beklemmender Zweifel.
Siehe, da kam sein Schwieher heran, Sohn Reguels, Jethro,[2]
Der vom nächtlichen Traum, voll Wundergesichte, getrieben,
Ob des Eidams besorgt, sich erhob, und herüber den Sandweg
Wanderte: noch ein rühriger Greis, dem silbern das Haupthaar,
Wie auch der Bart, die röthlichen Wangen umgab! Von Gestalt klein,
Schaltet’ er selbst, und immer mit Fug und Geschick, in dem Haushalt,
Und aneiferte stets das Gesind zu erneuertem Mühen.
Durch Erfahrungen weis’, erhob er die Tage der Vorzeit,
Rühmend, und schalt die Jugend im vielgesprächigen Alter.
„Moses!“ scholl es durch Wald und Gebüsch, und „Moses!“ in Horebs
Schluchten umher, wie er nahete, bis ihm das Blöcken der Lämmer
Jene verrieth, wo er saß, in hohe Betrachtung versunken.
„Ha,“ so rief er, „dem Ewigen Dank, der hier in Gefahren
Dich mit der Heerde beschirmt’! Ich eilte herüber — zu schrecklich
Tobte der Sturm, im Drang des angstergriffenen Herzens.“
Aber ihn sah der Hirt’ mit tieferforschendem Blick’ an;
Neigte das Haupt, und begann: „Ich danke dir; gütig besorgst du
Stets der Deinigen Wohl; es erblüh’t unendlicher Segen
Um dich her, und du rühmst dich den glücklichsten Vater und Gatten.
Dennoch dünkt es mich fast, ganz andere Sorgen bewegten
Deine Füß’ im Grau’n des entsetzlichen Donners herüber.“
„Nun,“ so entgegnete Jethro schnell, „Tollkühner, zu warnen
Kam ich: denn welch ein Grund, den du zur Weide gewählt hast?[3]
Hieß nicht der Horeb „Gottes Berg“ in der heiligen Vorzeit
Schon, weil Gott sich auf ihm einst offenbarte dem Volk hier?
Keiner wagt’ es zuvor — auch der frömmsten und mächtigsten Hirten
Keiner vor dir, Vermessener, ihm mit der Heerde zu nahen;
Doch erwäge die Schuld, und reize den Herrn nicht zur Rach’ auf!“
Moses schwieg. Wohl winkt’ ihm Jethro drei- und auch viermal,
Antwort heischend; er schwieg. Da sprach, sich ereifernd, der Greis so:
„Du verstummst, daß ich jetzt, ob solchem Frevel bekümmert,
Dich zur Rede gestellt? Ich werde so lange nicht weichen,
Bis du nicht öffnest die Brust, die verschlossene: denn nicht verhehl’ ich’s,
Was mich heran durch Sturm und Wetter getrieben. Entfloh’n sind
Vierzig der Jahr’, seit du, der scheuumirrende Fremdling,
Midians[4] Fluren betratst. Da waren der Töchter mir sieben —
Ach, versagt blieb mir der männliche Sproß’, in des Abends
Kühlerem Hauch die Heerd’ im Felde zu tränken, beschäftigt.
Sie zu verdrängen, erschien die Hirtenschar von den Söhnen
Amalek’s, die den Brunnen erspähten zuvor, und die Weiber
Bebten vor Angst; doch dir, Gewaltigem, mußten die Hirten
Weichen: sie floh’n! Du, füllend sofort zur Tränke die Rinnen,
Labtest die Heerde mit kühliger Fluth, vor den staunenden Töchtern.
Daß ich sie schalt, die allein heimkehrten, und nicht auch den Fremdling
Riefen zum gastlichen Mahl; daß dir der dankbare Vater
D’rauf zur Gattinn sein liebliches Kind, die holde Zipora,
Ohne Geschenk,[5] Kaufgeld, und Habe gegeben — des Priesters
Tochter, um welche im Land die erlesensten Jünglinge freiten,
Weißt du. Ha, sie gebar dir zwar den einzigen Sohn nur:[6]
Denn die Mutter wirft ja dem Leu’n die Jungen nur einmal!
Aber er wächst dir, blühend, heran, und mit Reichthum gesegnet
Ward ich, seit in dem Feld’ und daheim mit emsigem Mühen
Du die Sorge getheilt, die auf mir, dem Reichen an Jahren,
Lastete. Sieh’, und dennoch trübte noch stets in des Lebens
Stillumkreisendem Lauf, wie den heiteren Himmel im Herbst oft
Nebelgewölk umflort, ob deiner ein heimlicher Kummer
Meine von Angst ergriffene Brust! Du staunest? Nicht hast du
Mir noch entdeckt: woher du, ein irrender Fremdling, gekommen?
Nicht, weß’ Landes und Stammes du sey’st? Was dich von Aegyptens
Fruchtbaren Auen zu uns, g’en Midian, führte? Vielleicht nur
Schreckliche Schuld? Entflohst du dort den dräuenden Strafen?
Oder, bist du sogar, tollkühner Hirt an des Horebs
Berghöh’n, auch ein Abgötter noch im heimlichen Herzen:
Obgleich lange geprüft, du fromm erscheinest, und schuldlos?“
Moses fuhr bei dem Wort’ in die Höh’, und zerriß an der Brust sich,
Stöhnend, das Kleid.[7] Sein Aug’ entflammte sich, wie des Gewölks Nacht,
Die der leuchtende Blitz durchfährt, da er fürchterlich aufschrie:
„Ich, ein Abgötter, ich? Das fehlte noch! Fluch und Verwünschung
Ueber mich, so ich es bin! Entfleuch, sonst nah’ ich dir schrecklich!“
Rief’s, und blickte dem Greis’ in die thränenumflossenen Augen,
Die mit der rosigen Gluth auch die heilige Ruhe des Abends
Spiegelten. Sieh’, er erschrack vor sich selbst, und seiner Entrüstung;
Faßt’ ihm die Hand, und sprach: „Verzeih’n, ehrwürdiger Vater,
Wirst du das raschere Wort dem Sohn’: ein schmähliches floh dir
Von den Lippen zuvor. Wer könnte mit Ruh’ es ertragen,
Der in dem glühenden Haß des Götzengräuels erwachsen,
Heilige Sehnsucht nährt ihn rings von der Erde zu tilgen?
Aber sie zehrt, wie Schwefel und Harz in den unteren Räumen
Brennend, mir nun schon des Herzens gewaltige Kraft auf;
Schon erfüllt mich die Angst und Verzweiflung: völlig verworfen
Habe der Herr sein Volk, das er, wie ein Adler die Jungen
Auf den Fittigen, liebend, empor in die bläuliche Luft trägt,
Einst auf den Händen trug, wenn Noth und Gefahr es bedrängte.
Doch“ (er ließ sich jetzt, wo er stand, gehaltener nieder)
„Eben ersehnt’ ich den Mann, dem ich nun endlich des Busens
Tiefverschlossenen Gram enthüllete; wunderbar